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Plätschernd versuchte ich mich zu orientieren, doch die Strömung drückte mich immerzu unters Wasser. Kaum gelang es mir, meinen Kopf über Wasser zu halten und nach Luft zu schnappen, zog es mich wieder nach unten. Einmal schlug ich mit dem Rücken gegen einen Stein, der mitten im Fluss lag und mir wurde kurz schwarz vor Augen. Endlich wieder an der Oberfläche, kriegte ich genau im richtigen Moment einen Ast zu fassen, der von einem schief gewachsenen Baum hinunter baumelte.

Erst jetzt fiel mir auf, dass ich mich in einen Menschen verwandelt hatte, sonst hätte ich den Ast nicht greifen können. „Tiana! Du musst da raus kommen, da gehts tief runter!", schrie Milo zu mir rüber und deutete auf den Abhang, keine zehn Meter von mir entfernt. „Ach du scheisse..", rutschte aus leise aus mir heraus. Meine Hände schmerzten schon ziemlich, da die Strömung noch immer unerbittlich an mir riss und ich verzweifelt versuchte, mich festzuhalten.

Vorsichtig liess ich eine Hand los und versuchte nach weiter oben zu greifen, doch genau in diesem Augenblick verlor ich den Halt und fiel wieder ins Wasser. Panisch versuchte ich gegen den Strom zu schwimmen, was aber genau so viel brachte, wie den Rasen bei Regen zu bewässern.

Und dann spürte ich es. Es waren wenige Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten und mich schwerelos fallen liessen. In diesen Sekunden spielten sich einige Ereignisse meines Lebens vor meinen Augen ab. Meine Eltern, wie sie mit mir spielten, meine Eltern, wie sie sich für mich opferten, meine Flucht und die Begegnung mit Milo.

Danach kam der Aufprall, hart und unausweichlich. Die Luft wich aus meinen Lungen und bildete Blasen im Wasser. Mit meiner restlichen Kraft versuchte ich an die Wasseroberfläche zu gelangen, doch der Strudel des Wassers trieb mich immer weiter nach unten. Meine Sicht begann zu verschwimmen und mit letzter Kraft startete ich einen verzweifelten Versuch, mich zu retten.

Kräftig trat ich in die Beine und schwamm unter dem Strudel hindurch, anstatt nach oben zu gelangen, wie bei meinen gescheiterten Versuchen vorher. Plötzlich kam eine Hand in mein Sichtfeld, welche mich am Arm packte und mich aus dem Wasser zog.

Hustend und Wasser würgend liess ich mich an Land auf alle Viere fallen. Milo, welcher die ganz Zeit neben mir kauerte, hatte eine Hand auf meinen Rücken gelegt. Sobald ich wieder Luft bekam, stiegen mir Tränen in die Augen, welche ich nicht mehr zurück halten konnte. Jämmerlich, wie ein Häufchen Elend, kauerte ich am Boden und weinte. Ich zog meine Beine an mich und bettete meinen Kopf in meine Arme.
Milos warmer Körper presste sich an mich und hielt mich in den Armen, bis ich mich beruhigt hatte.

Als dann endlich die Tränen aufhörten, realisierte ich, dass Milo seine Arme um mich hatte und mir Trost spendete. Ich wollte mich schon distanzieren, als er mich zurück hielt. „Ist schon okay."
Langsam stand er auf und hielt mir eine Hand hin, um mir auf zu helfen. Dankbar griff ich danach und lächelte ihn kurz an.

Er breitete die Arme aus und bot mir lächelnd eine Umarmung an. „Komm schon. Was hast du zu verlieren?", neckte er mich, was ihm gelang. Schultern zuckend liess ich es zu und schlüpfte in seine Arme. Gegen meine Erwartung fühlte es sich überraschend angenehm an. Ich fühlte mich seit einer langen Ewigkeit endlich wieder einmal geborgen.

„Wer war dieser Mann?", unterbrach er die Stille. Seufzend atmete ich tief durch, bevor ich ihm schweren Herzen davon erzählte. „Er hat meine Eltern getötet." An seinem Blick sah ich, dass ihm das nicht genügte und er deshalb still war, weil er mehr hören wollte.

„Vor drei Jahren kam ich von der Schule nach Hause und als ich mit meinem Vater trainieren wollte, kamen plötzlich ein paar Männer aus dem Wald hervor. Er schickte mich zu meiner Mutter, welche schon den Rucksack bereit hielt und mir befahl zu fliehen, bevor sie selbst zu meinem Vater eilte. Als ich ein letztes Mal zurück blickte, sah ich, wie sie gerade ins Geschehen stürzte, weil sie meinen Vater am Boden sah."

Milo drückte mich fester an sich, sagte aber kein Wort. Der Mann der vielen Worte sagte ausnahmsweise mal nichts. Und dafür war ich ihm umso dankbarer.
„Ich dachte, dass ich endlich nicht mehr auf der Flucht wäre.", flüsterte ich vor mich hin. „Vielleicht war das bloss Zufall. Denn ich denke kaum, dass er mit einer Schulklasse campen geht, wenn er eigentlich dich sucht. Und ausserdem war er ziemlich überrascht, dich anzutreffen.", suchte Milo einen guten Grund.
„Naja, wie auch immer. Jetzt ist er bestimmt wieder auf der Suche nach mir..", murmelte ich gegen seine Brust.
„Deshalb solltest du dich von mir fern halten. Ich bringe nur Unheil mit mir."

„Vergiss es, ich kann gut meine eigene Entscheidungen treffen.", wies er meinen Vorschlag ab. „Dann sollten wir einen sicheren Unterschlupf für die Nacht finden.", versuchte ich nicht mal ihn zu überreden, zu gehen. Wenn ich ehrlich war, wollte ich nicht, dass er nicht mehr da war. Seine Anwesenheit hatte etwas beruhigendes, was ich nicht mehr missen wollte. Er hatte sich in mein Herz geschlichen, ob ich es nun wollte oder nicht.

„Wie hast du das geschafft?", fragte ich ihn deshalb und musste grinsen, als er mich verwirrt anblickte. „Wie hab ich was geschafft?", fragte er nach.
„Ach nichts.", winkte ich die Sache ab und lief einfach weg. „He, das ist nicht fair!", schrie er mir nach, bevor er mich einholte. „Was ist denn schon fair?"
„Stimmt auch wieder.", liess er es sein.

„Wo willst du hin? Hast du Todessehnsucht?!", entfuhr es ihm empört, als ich auf den Wasserfall zu lief. Grinsend drehte ich mich zu ihm um und winkte ihn zu mir. „Na komm schon! Ich hab was gesehen, während ich fiel." Und tatsächlich befand sich dahinter eine Öffnung.
Milo, der die Öffnung nun endlich auch entdeckte, staunte nicht schlecht. „Ach du meine Fresse..", entwich es ihm.

Gerade als ich dahin klettern wollte, hielt er mich zurück. „Ich gehe. Du sollst nicht zwei Mal fast ertrinken, wenn der Felsen nicht hält."
Widerwillig liess ich ihn vor und wartete, bis er oben angekommen war.
„Jetzt du!", schrie er nach unten und schüttelte grinsend den Kopf, als er sah, dass ich schon angefangen hatte, zu ihm zu klettern.

„Du hast es nicht so mit Geduld, oder?", fragte er mich, als ich oben angekommen war. „Nein, nicht wirklich, wenn ich weiss, dass ich verfolgt werde.", antwortete ich ihm. „Jetzt, da er uns nicht entdecken wird, bin ich die Geduld pur.", versicherte ich ihm, was ein Lachen seinerseits entlockte. „Ja klar.", meinte er bloss und lachte weiter, während er in die Höhle lief.

Hybrid - Tochter einer halben WölfinWhere stories live. Discover now