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Panisch schreckte ich aus meinem Schlaf und war ziemlich orientierungslos, als ich keinen von den Leuten entdeckte. Erst als mir einfiel, dass ich am Bach eingeschlafen war, beruhigte ich mich allmählich.

Stück für Stück rief ich mir meine Erinnerung an diese Geschichte hervor. Papa hatte es auch. Es könnte noch mehrere von uns geben. Daniel und ich waren also vielleicht nicht die einzigen, die dieses Monster in sich hatten. Mein Vater hatte mich trainiert, damit ich eben dies im Griff hatte und ich hatte das Training eine lange Zeit vernachlässigt.

In Gedanken an ihn und meine Mutter fasste ich an meine Kette und spielte mit dem Anhänger. Ich öffnete das Medaillon, um das Bild von ihnen zu betrachten. Lange sah ich es an, bevor ich es wieder schloss und beschloss, das Training wieder zu beginnen. Voller Tatendrang stemmte ich mich auf die Beine und wärmte mich auf.

Sobald meine Muskeln warm waren, begann ich das eigentliche Training von meinem Vater und mischte einige Übungen von Daniel dazu. Es verging eine ganze Stunde, bis die erste Person unserer Gruppe aufwachte und nochmals weitere 15 Minuten, bis mich jemand entdeckte. Und das auch nur, weil der Mann durstig war und zum Bach lief.

Er beobachtete mich eine Weile mit schrägem Blick, bevor er ohne ein Wort wieder zurück ging. Immer mit etwas Abstand kam wieder jemand, schenkte mir einen schrägen, überraschten Blick und ging wieder. Zugegeben, fühlte es sich auch komisch an. Eigentlich sollten wir uns erholen und für die nächste Jagdrunde Kräfte sammeln. Und was tat ich? Ich verpulverte sie, indem ich trainierte. Aber ich fühlte mich, als hätte ich unendlich viel Kraft.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du es tatsächlich durchziehst.", unterbrach Aiden mein Training. Mitten in der Bewegung hielt ich inne, sah zu ihm und stellte mich normal hin. „Was denn?", fragte ich etwas verwirrt. „Das Training. Daniel hat mir gesagt, dass du unbedingt fleissig dran bleiben musst.", antwortete er, als er näher kam.

„Du hast es also auch?", flüsterte er die Frage, damit es niemand anderes hören konnte und in seinem Blick sah ich Besorgnis, Bewunderung und etwas Furcht. Ich schluckte einmal leer und nickte. Es beunruhigte mich, dass dieser grosse Bär etwas Angst hatte. „Ich will nicht, dass jemandem was geschieht.", flüsterte ich zurück und hoffte, dass ich ihm die Angst nehmen konnte.

„Das will niemand.", sagte er abweisend und sah mir gefühllos entgegen. Es versetzte mir einen kleinen Stich, dass er mich in diese Schublade geworfen hatte. Ich blinzelte ein paar Mal, um meine Tränen zurück zu drängen, welche an die Oberfläche kamen. Sobald sich mein Blick wieder geklärt hatte, war von diesem Ausdruck in Aidens Gesicht keine Spur mehr zu sehen.

„Du solltest aber nichts überstürzten, ja? Komm erstmal was essen und danach schauen wir weiter.", lächelte er mich leicht an und führte mich zu den anderen Leuten, welche sich schon die Mäuler voll stopften. Nur vereinzelte hoben kurz den Blick und sahen zu mir und noch weniger warfen mir schräge Blicke zu. Hatte ich mir das vorhin bloss eingebildet?

Ich setzte mich zu Pearl, welche mich mit einem breiten Grinsen erwartete und mir etwas zu essen hinhielt. „Danke.", murmelte ich mit einem kurzen Lächeln, bevor ich mich gänzlich aufs Essen konzentrierte. „Du hast nicht bei uns geschlafen.", stellte sie fest. „Nein, ich bin am Bach eingeschlafen.", schmunzelte ich etwas verlegen.

Danach hing jeder seinen eigenen Gedanken nach, bis Aiden die Stille unterbrach und uns zusammen trommelte. „Also gut, Leute.", rief er in die Menge und alle schenkten ihm die Aufmerksamkeit. „Wir durchforsten dieses Gebiet nochmals und danach geht es an einen anderen, aber nahe gelegenen, Ort. Macht euch bereit, ich verteile euch die Aufgaben."

Während Aiden sich immer zwei oder drei Leute schnappte und ihnen eine Aufgabe gab, beobachtete ich die Umgebung. Es war windstill heute und der Nebel sass tief über dem Boden. Den Himmel konnte man nicht erkennen, aber die Sonne versuchte ihr Bestes, den Weg zu uns zu finden. Wäre ich alleine hier, würde ich mich ziemlich unwohl fühlen, da es wirklich gruselig wirkte.

„Tiana.", zog er meine Aufmerksamkeit auf sich. Im Schlepptau hatte er einen älteren und einen jungen Mann, der etwas älter war als ich. Verwundert schaute ich mich um und erkannte, dass alle anderen schon weg waren. „Wir gehen zu viert Richtung Westen.", informierte er mich und ich nickte.
Der jüngere hob seine Hand und lächelte mir zu, während er ältere mich neugierig begutachtete.

Etwas unwohl unter diesem Blick sah ich abwartend zu Aiden, welcher es nicht übersehen hatte und genau zwischen ihn und mich trat. „Also gut, dann gehen wir.", sagte er noch und keine Sekunde später stand ein Bär vor mir, der zu mir sah und mit seinem Kopf mich mit sich winkte. Ich verwandelte mich ebenfalls und folgte dem grossen Bären auf Schritt und Tritt.

Rechts neben mir erschien ein Wolf und links von mir ein weiterer Bär. Er war nicht ganz so gross wie Aiden, aber sah genauso kräftig aus. Er sah kurz zu mir und lächelte, bevor er wieder nach vorne schaute. Es war der jüngere Mann, was hiess, der Wolf war der ältere, welcher mich noch immer unauffällig betrachtete.

„Tiana?", fragte Aiden plötzlich, kurz bevor ich begann durchzudrehen, weil der Wolf noch nicht aufgehört hatte mir die Blicke zuzuwerfen. „Hm?", antwortete ich genervt. „Fühlst du dich nicht wohl?", fragte er weiter. „Du kannst sagen, was du willst, das ist eine private Konversation, die nur wir beide hören können.", informierte er mich, als ich zögerte.

„Wieso glotzt er mich die ganze Zeit so an?", fragte ich und Aiden wusste genau, wen ich meinte. „Er ist immer so, wenn jemand neu ist.", seufzte er. „Er ist leicht misstrauisch, bis er weiss, aus welchem Holz du geschnitzt bist. Also mach dir keinen Kopf darüber."
Damit war unser Gespräch beendet und mir gelang es tatsächlich etwas besser, den Blick des Wolfes zu ignorieren.

Unsere Runde war so ziemlich erfolglos, denn wir hatten kein einziges Tier gesichtet und so gingen wir in gemütlichem Trott zurück zu den Autos. Wir waren die ersten, die zurück waren. Doch bald darauf kam schon die nächste Gruppe, welche ein Reh erledigt hatten.

Eine halbe Stunde später waren alle wieder zurück, was hiess, dass wir weiter zogen. Schnell hüpfte jeder in die Autos und war bereit, dass es weiter ging. Ich stieg wieder bei Aiden ein und entdeckte Pearl auf den Rücksitz, die mich schon erwartungsvoll angrinste.
Zu meiner Überraschung war diesmal nicht der Mann, der bisher bei uns im Wagen sass, bei unserer Gruppe, sondern Sam.

Er öffnete die Tür und musterte uns drei kurz emotionslos, bevor sich unsere Blicke trafen und ein kleines Zucken seine Mundwinkel umspielte. Dann nickte er Aiden zu und setzte sich ohne Worte auf den Beifahrersitz.

„Wir sind nicht immer die selben Leute im Wagen?", flüsterte ich die Frage zu Pearl, während die beiden Männer vorne ein eigenes Gespräch führten. Es war ein typisches Männergespräch, wie sie es führten, wenn andere dabei waren. Ein paar einzelne Worte über Sport und Autos, vielleicht noch über die Familie und dann war wieder Ruhe.

Na gut, die beiden waren die Ruhe in Person, weshalb es mich überraschte, überhaupt etwas von ihnen zu hören.
„Nein, wir wechseln immer wieder ab. Aber da du bei Aiden bleiben musst und ich mich niemandem aufdrängeln will, sind wir drei konstant beieinander.", erklärte sie mir und ich nickte.

Meine Gedanken schweiften wieder ab, als ich meinen Kopf an die Scheibe lehnte und meinen Blick nach draussen hatte. Die Umgebung verschwamm langsam und meine Augen fielen gegen meinen Willen zu.

Hybrid - Tochter einer halben WölfinDove le storie prendono vita. Scoprilo ora