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Womit er nicht gerechnet hatte war, dass ich kämpfen konnte. Meine Nervosität fiel von mir ab, als er den ersten Schlag versuchte. Geschickt wich ich ihm aus und startete einen Gegenangriff. Dadurch, dass er grösser war als ich, hatte ich einiges mehr zu beachten, als er. In meinem Kopf konnte ich die Stimme meines Vaters hören, wie er mir Anweisungen und Tipps gab, wie damals, als er mich trainiert hatte.
Ich folgte seiner Stimme, welche wahrscheinlich meine war, und besiegte meinen Gegner innert kürzester Zeit. Seine graue Augen verengten sich zu Schlitzen, da er mit einer Niederlage gegen ein Mädchen nicht zurecht kam.

Mit einem zufriedenen Lächeln drehte ich mich um und lief zurück an meinen Platz. Milo lächelte mich an, doch das verschwand plötzlich und dann kam er schnell au mich zu. Ehe ich mich versah, schubste er mich zu Seite und fing in letzter Sekunde einen Schlag gegen meinen Hals ab. „Nächstes Mal lässt du es besser sein. Nur Feiglinge greifen Leute an, die einem den Rücken zugewendet haben.", drohte er meinem vorherigen Gegner mit angsteinflössender Stimme.

Ich sah, wie er hart schluckte, aber nicht nachgeben wollte. Endlich griff der Lehrer ein und zerrte den Jungen weg von uns. „Alles okay?", fragte Milo mich, ohne den anderen aus den Augen zu lassen. „Ja, dank dir.", liess ich die Luft aus meinen Lungen und bemerkte erst jetzt, dass ich sie angehalten hatte.
„Okay, liebe Leute. Der Unterricht für heute Morgen ist beendet.", sagte der Lehrer und zerrte den Jungen an die Seite. „Was wohl mit ihm passiert?", fragte ich mit den Gedanken ganz woanders. „Ich hoffe dem werden Manieren beigebracht.", sagte Milo mit bitterem Ton.

Mein Vater hatte mir damals immer eingetrichtert, dass nur ehrlose und schwache einem von hinten angreifen. Nämlich dann, wann man es am wenigsten erwartet. „Komm, wir gehen was essen.", meinte er bloss, als er meinen nicht so begeisterten Gesichtsausdruck sah und zog mich damit aus meinen Gedanken.
„Ich muss noch schnell auf die Toilette, hältst du mir einen Platz frei?", fragte ich ihn und ging, als er grinsend genickt hatte. Schnell huschte ich in eine Kabine und setzte mich. Auf ein mal begann mein ganzer Körper zu zittern. Es hatte mich doch mehr mitgenommen, als ich gedacht hatte und nun kam all das überschüssige Adrenalin zum Vorschein.

Die Tür öffnete sich und ein paar Mädchen kamen herein. „Hast du gesehen, wie er ihn aufgehalten hat?", schwärmte die eine und eine andere fiel ihr sofort ins Wort. „Ja. Und wie er standhaft blieb, einfach so Männlich." „Ich weiss aber nicht, wieso er noch immer mit der anderen abhängt.", sprach wieder jemand anders. „Die sind zusammen hergekommen.", erkannte ich Maleas Stimme. „Ja, aber deswegen muss er nicht mehr mit ihr abhängen. Die ist doch eh nicht sein Typ.", antwortete die vorherige. „Ach und woher willst du wissen, was sein Typ ist?!", schien Malea genervt von der anderen zu sein.

„Was ist plötzlich los mit dir?", fragte die erste, die gesprochen hatte. So viel ich heraus gehört hatte, waren es vier, inklusive Malea. „Ich finde es einfach nicht okay, wie ihr über sie spricht. Sie ist bestimmt ganz nett, wenn man sie näher kennen lernt.", verteidigte Malea mich, ohne es zu wissen. „Sag bloss, du findest ihn nicht hübsch?", platzte der zweiten förmlich der Kragen. „Doch, klar sieht er gut aus. Sehr gut sogar, aber das heisst nicht, dass ich wie ihr alle anderen kein Hirn mehr besitze, sobald er in meinem Sichtfeld erscheint.", sagte sie genervt.

Die Tür ging auf und einige Sekunden später herrschte Stille. In aller Ruhe liess ich dieses Gespräch nochmals durchlaufen. Na toll.. die meisten mögen mich nicht. Das war nichts Neues für mich, aber ich hatte gehofft, dass ich nicht ab dem ersten Tag die Aussenseiterin sein würde. Als ich die Toilette verliess, sah ich, wie die vier noch vor der Halle standen. Malea war die einzige, die Sicht auf mich hatte und ich hoffte, dass sie zu abgelenkt wäre, um mich zu entdecken.

Das Glück war nicht auf meiner Seite, denn sie sah mich bereits, als ich wenige Schritte von der Toilette entfernt war und sah leicht geschockt aus. Ihre Freundinnen bemerkten dies nicht, denn die waren zu vertieft in irgend ein Gespräch. Malea sah wie gebannt zu mir und ich konnte in ihren Augen etwas sehen, was wie Unsicherheit aussah. Sie wusste, dass ich das Gespräch von vorher mitgehört hatte. Dankend nickte ich ihr kurz zu, bevor ich in die Halle trat und mich dem Essen zuwandte.

Mit dem Tablet in der Hand suchte ich den Tisch, an welchem Milo sass. Schwer war es nicht, denn ich musste bloss die Traube lauter Mädchen finden und schon wusste ich, wo er sass. Etwas hilflos sah er in meine Richtung, doch bevor er mir winken konnte, stellten sich noch mehr Mädels vor ihn. Angepisst atmete ich aus, bevor ich mich an einen Tisch mit reichlich Platz setzte.

So schnell ich konnte, schlang ich mein Essen runter, nur um dann wieder aufzustehen und aus der Halle zu fliehen. Endlich wieder draussen, lief ich ziellos durch die Gegend, bis ich schlussendlich an den See gelang, an welchem ich mich setzte. Lange betrachtete ich das Lichtspiel, welches in den leichten Wellen des Wassers erschien, wenn der Wind es aufwühlte.
„Du hast dich heute gut geschlagen.", durchdrang eine Stimme die Stille. Erschrocken fuhr ich herum und sah, dass Liam ein wenig hinter mir stand. „Danke.", murmelte ich und drehte mich wieder dem See zu.

„Darf ich?", fragte er und deutete auf den Platz neben mir. Tatsächlich ein Gentleman. Ich nickte und sah wieder auf den See. Auf der anderen Seite sah ich plötzlich Daniel und Rhianna, die am See entlang spazierten. Ohne Vorwarnung schubste er sie grinsend ins Wasser. Ein überraschter Aufschrei verliess sie, verstummte aber sofort, als sie das schelmische Grinsen in Daniels Gesicht sah. Er verwandelte sich schnell, als sie aus dem See trat und rannte schnell davon. Sie tat es ihm gleich, verwandelte sich ebenfalls in einen schwarzen Wolf und rannte ihm hinter her.

Wenn sie ein Wolf ist, Liam aber ein Löwe, wie Nathan, überspringt das Gen eine Generation? Ich machte mir echt Gedanken darüber, denn das könnte bedeuten, dass mein Kind vielleicht mit dem Wissen aufwachsen muss, dass es vielleicht ein Tiger wird. „Ich dachte sie ist ein Löwe..", murmelte ich gerade so laut, dass Liam es hören konnte. „Ist sie auch.", lächelte er vor sich hin.
„Hä?!", verstand ich gar nichts mehr. „Aber wieso..?" Ich war zu verwirrt um meine Frage zu vollenden. Das war doch vorher definitiv Rhianna, die ich gesehen hatte.

„Sie ist sowohl Löwe, als auch Wolf.", grinste er mich nun an. Beides? Gott, der hält mich jetzt bestimmt für ein Volltrotel..! Am liebsten wäre ich auf der Stelle vom Erdboden verschluckt worden, so unangenehm war mir das.
„Ich wusste nicht, dass das geht.", entschuldigte ich mich für meine Reaktion. „Kein Problem. Die meisten reagieren erst wie du, bevor sie verstehen, was Sache ist.", schmunzelte er und seine Augen leuchteten amüsiert. „Aber dass man sich in beides verwandeln kann, wie meine Mutter, ist eine absolute Seltenheit."

Langsam fügte sich das Puzzle in meinem Kopf zusammen und gab mir ein wenig Klarheit. „Was ist eure Schwester?", fragte ich ihn nach einem Moment des Schweigens. „Weiss nicht, sie hat sich noch nicht verwandelt. Aber sie hat noch etwas Zeit, sie ist ja erst 12.", zuckte er mit den Schultern und starrte auf den See. „Wärst du manchmal lieber ein Wolf?", stellte ich gleich die nächste Frage.

„Du bist gesprächig heute.", schmunzelte er. „Ich hab gehört, dass du nicht so der Mensch der vielen Worte bist." „Von wem?", schmunzelte ich leicht. Diese Aussage verärgerte mich kein bisschen, denn eigentlich war sie wahr. „Lisa. Sie ist die beste Freundin meiner Schwester.", verriet er mir. „Ja stimmt schon.", gab ich zu. „Aber auch bei mir gibt es Ausnahmen.", grinste ich ihn an. Er nickte verständnisvoll und sah wieder auf den See.

„Nein. Ich bin, was ich bin und würde nichts ändern wollen.", antwortete er auf meine Frage und schaute mir in die Augen. Irgendwie fühlte ich mich in seiner Gegenwart wohl und er strahlte etwas Vertrauenswürdiges aus. „Das gilt übrigens für jeden, auch für dich. Jeder ist auf seine eigene Art und Weise perfekt und wenn es jemandem nicht passt, dann gehört diese Person nicht in dein Leben." So wie er das sagte, fühlte ich es wirklich in mir drin. „So, ich muss wieder los. Danke, dass ich mich zu dir setzen durfte.", stand er auf, lächelte und verabschiedete sich von mir, bevor er weg lief.

Hybrid - Tochter einer halben WölfinWhere stories live. Discover now