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Eine Woche verging wie im Flug und langsam fühlte ich mich hier zu Hause. Freunde hatte ich zwar noch nicht gefunden, denn ich hatte noch keine Lust mich mit den Mädels zu unterhalten. Milo hingegen hatte schon Anschluss bei den Zwillingen gefunden, wobei jedoch der Typ mit den grauen Augen nicht so begeistert darüber war. Dafür gesellte sich des öfteren Liam zu mir und ab und zu Damian, welcher wie immer versuchte seinen Charme spielen zu lassen. Seit sie mit Milo befreundet waren, gehörte ich für sie ganz automatisch auch dazu.

Ich bekam auch die Übung darin, von Milo zu verschwinden, bevor all die Mädels sich um ihn drängten. Dass ich Übung darin hatte, hiess aber nicht, dass es mir gefiel, dass das Schwärmen noch nicht nachgelassen hatte. Jedoch gelang es Milo immer öfter, sich ebenfalls vor den Mädels zu verstecken und immer dann genossen wir die Pausen etwas abseits und gut versteckt.

Heute war ein Tag, an welchem es ihm nicht gelungen war. Eigentlich hatten wir vor, schnell unser Essen zu holen und uns an einen ruhigen Ort zu stehlen, bevor die Mädels ihn sahen. Doch kaum hatte er einen Fuss in die Halle gesetzt, kam schon die erste auf ihn zu. Hilflos hatte er meinen Blick gesucht, doch ich hatte ihn nicht erwidert, zu gross war meine Angst, dass er meinen Schmerz sehen konnte.

Ich wusste nicht, was mit mir los war, aber ich hasste es, wenn die Mädels ihm schöne Augen machten und ihn für sich beanspruchten. Ich hasste es so sehr, dass es unerträglich für mich war, ihn in mitten der Mädels zu sehen. Deshalb ergriff ich jedesmal so schnell es ging die Flucht.

Jetzt sass ich wieder am See und betrachtete das Lichtspiel, welches sich in den kleinen Wellen ergab. An einen der Bäume gelehnt und tief in meine Gedanken versunken, bemerkte ich nicht, wie sich mir jemand näherte.

„Ah, hier bist du.", riss mich die Stimme in die Gegenwart und knapp schaffte ich es, mir nicht anmerken zu lassen, wie fest ich mich erschrak. Als ich aufsah, sah ich jemanden, den ich nicht erwartet hätte. Vor mir stand Malea, die mich kurz anlächelte, bevor sie sich zu mir setzte. Gespannt beobachtete ich sie, da ich nicht wusste, was sie vor hatte.

„Es tut mir leid, was meine Freundinnen über dich gesagt haben.", entschuldigte sie sich für die. „Ich hasse es, wenn sie so über jemanden sprechen." Überrascht musterte ich sie und suchte nach einem Zeichen, dass sie mich verarschen wollte. Vergebens.
„Du kannst ja nichts dafür.", nickte ich und lächelte kurz. „Ausser bei deiner Wahl, wer deine Freunde sind."

Bevor ich überhaupt realisierte, dass ich das laut gesagt hatte, schaute ich geschockt und hoffte, dass sie mir das nicht böse nahm. Zu meinem Glück musste sie lachen, womit mir ein kleiner Stein vom Herzen fiel. „Sie sind nicht immer so. Sonst sind sie im Grunde echt gute Freunde.", sagte sie mir, nachdem sie sich beruhigt hatte.
Danach schauten wir eine Weile in Ruhe aufs Wasser hinaus.

„Du bist nicht wirklich gesprächig.", stellte sie fest und ich zog eine Augenbraue hoch. „Nein.", gab ich schlussendlich zu. „Warum?", hakte sie nach, da es sonst wieder still geworden wäre. Eine Weile zögerte ich und rang mit mir, ob ich mich ihr wirklich anvertrauen sollte. Aber schliesslich sass sie hier bei mir und musterte mich aufmerksam, anstatt mit ihren Freunden zu quatschen. „Naja.. ich denke weil ich drei Jahre lang alleine unterwegs war, bis ich Milo über den Weg lief.", entschied ich mich dafür, ihr wenigstens das zu sagen.

„Du warst drei Jahre alleine?!", entfuhr es ihr sofort geschockt, bevor sie sich mit der Hand den Mund zuhalten konnte. Belustigt über ihre Reaktion nickte ich und schaute wieder aufs Wasser hinaus. Dieses Schauspiel und das Plätschern der kleinen Wellen, die am Ufer zerbrachen, beruhigten mich und hielten mich von Gefühlsausbrüchen ab. „Warum?", stellte sie wieder die gleiche Frage.
„Ich floh vor den Männer, die meine Eltern getötet haben.", erklärte ich ihr kurz und bündig, in der Hoffnung, dass sie nicht mehr nachfragen würde.

„Das tut mir leid.", schien sie augenblicklich mitleidig. Und tatsächlich sagte und fragte sie nichts mehr. Sie blieb neben mir sitzen und starrte ebenfalls auf den See hinaus. Es war eine angenehme Stille und keinesfalls unbehaglich. Nach einer Weile erhob sie sich und verabschiedete sich von mir. „Na dann. Es war irgendwie schön, wenn auch ruhig. Auf ein anderes Mal."

„Malea, warte.", hielt ich sie zurück, als sie schon ein paar Schritte gegangen war. Sofort drehte sie sich zu mir um und hatte ein Lächeln im Gesicht. „Danke.", war alles, was ich zu ihr sagte. Sie nickte und wollte sich wieder zum Gehen abwenden, als ich noch eine Frage hatte. „Weisst du, wo ich Rhianna finden kann?"
„Ja, komm ich zeig es dir.", winkte sie mich zu sich und lief schon weiter, während ich mich aufrappelte.

Malea führte mich zur Kapelle. „Sie ist oft hier.", meinte sie, bevor sie mich alleine liess. Vorsichtig öffnete ich die Tür und schlüpfte hinein. Tatsächlich war sie hier und wieder hatte sie sich einem Bild an der Wand zugewandt. Ich betrachtete die Bilder genauer und stellte fest, dass es Bilder von Leuten waren. Genauer gesagt, waren es zwei Bilder in einem. Es wurde diagonal geteilt, wobei links oben eine menschliche Person war und rechts unten ein Tier. Ganz unten im Bild waren drei, bei einigen vier, Daten hingeschrieben. Was ist das bloss?

„Das sind die Leute, die bei uns waren und von uns gegangen sind.", riss Rhianna mich au meinen Gedanken. Kurz zuckte ich zusammen, da ich nicht damit gerechnet hatte. „Also sind alle hier aufgelistet?", fragte ich ungläubig und sie nickte lächelnd. „Was kann ich für dich tun?", fragte sie, als hätte sie gewusst, dass ich nicht einfach so in die Kapelle kam.

„Im Dorf draussen.. da hab ich meinen Grossvater getroffen.", begann ich und Rhianna rümpfte automatisch leicht angewidert die Nase, sagte jedoch nichts dazu. „Ja, er war.. speziell. Zum Anfang jedenfalls. Als er merkte, dass Milo gut für mich sorgte, legte er plötzlich seine Vorurteile ab und wurde wie ein anderer Mensch. Jedenfalls musste ich ihm versprechen, dass ich ihm irgendwie Bescheid sagen muss, dass es mir gut geht.", erzählte ich ihr mein Anliegen.

„Und jetzt soll ich ihm eine Nachricht schicken?", schlussfolgerte sie. „Ginge das?", fragte ich leicht scheu. Sie dachte einen Moment nach, bevor ein weiches Lächeln in ihr Gesicht stieg und sie nickte. „Ich werde ihm ein Zeichen schicken, dass es dir gut geht."
„Danke.", lächelte ich sie erleichtert an.
„Ich wollte dich hier nicht stören.", entschuldigte ich mich noch für die Störung, bevor ich gehen wollte.

„Das hast du nicht. Die Kapelle ist für alle zugänglich, auch wenn selten jemand hier her kommt. Genau deswegen ist es ein guter Ort, um seine Ruhe zu haben.", zwinkerte sie mir zu.
„Und dort ist dein Lieblingsplatz?", zeigte ich auf den Platz, bei welchen sie vorher war. Ein trauriges Lächeln huschte über ihr Gesicht und in mir meldete sich schon das schlechte Gewissen, sie überhaupt darauf angesprochen zu haben.

„Da ist das Bild meiner Mutter.", sagte sie leicht traurig und führte mich dahin. „Jede Person, die jemals hier war, bekommt einen Platz in der Kapelle."
Ihre Mutter war hübsch und strahlte eine Gutmütigkeit aus, die mich an meine Mutter erinnerte. „Was bedeuten die Daten?", flüsterte ich, während ich die Bilder betrachtete.
„Geburts- und Sterbedatum. Das hier ist, wann sie zu uns kamen und das vierte, wenn sie wieder gegangen sind.", erklärte sie mir und ich nickte, um zu zeigen, dass ich verstanden hatte.

Dann plötzlich blieb ich stehen. Tränen drangen sich in den Vordergrund und ich sah nur noch verschwommen. Ich stand vor den Bildern meiner Eltern.
Rhianna stellte sich neben mich und schaute die Fotos ebenfalls an. Dann legte sie tröstend ihre Hände an meine Schultern, drückte mich kurz und flüsterte noch was, bevor sie ging. „Ich vermisse sie auch. Sie waren sehr aufrichtig und gehörten zu meinen engsten Freunden. Du kannst stolz auf sie sein."

Und das war ich auch. Dankbar für ihre Worte und dass sie mich einen Moment alleine liess, liess ich die Bilder nicht aus den Augen und trauerte um sie. Es war das erste Mal, dass ich richtig Zeit hatte, ungestört um sie zu trauern.

Hybrid - Tochter einer halben WölfinUnde poveștirile trăiesc. Descoperă acum