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Er war die ganze Nacht über nicht aufgewacht. Caroline erklärte mir, dass er noch ziemlich schwach wäre und all seine Kraft in den Heilungsprozess steckte, weshalb er viel Schlaf brauchte. Welch Ironie. Genau er, der nie viel schlief, brauchte es jetzt dringend.
So musste ich wohl oder übel ohne mit ihm gesprochen zu haben, aufbrechen.

Caroline musste mir versprechen, dass sie ihm mitteilte, dass ich ihn besuchen war. Kurz nachdem die Sonne ihre ersten Strahlen am Horizont ausstreckte, kam Aiden mich abholen. „Bereit?", fragte er mich, nachdem auch das Alpha-Paar noch kurz vorbei gekommen war und sah mich prüfend an. „Nicht wirklich.", gab ich zu und er lächelte mich aufmunternd an. „Ich war das erste Mal auch ziemlich nervös und hatte alle möglichen Gedanken im Kopf. Aber ich verspreche dir, dass es besser wird."

Draussen vor der Tür verwandelte er sich und ich tat es ihm gleich. Wortlos folgte ich ihm, bis wir auf die anderen der Gruppe stiessen, die am Rande der Häuser auf uns warteten. „Leute, das ist Tiana. Sie ist das erste Mal dabei und wird bei mir bleiben.", begrüsste er die anderen und stellte mich zugleich vor. Alle anderen sahen kurz zu mir und nickten, bevor es los ging.

Ich merkte schnell, dass Aiden hier das Sagen hatte und alle ihm zu folgen hatten. Ohne noch eine weitere Minute zu verschwenden, liefen wir mit hohem Tempo los. Die Bäume flogen an mir vorbei, jedoch nicht so schnell, wie beim Training mit dem Alpha. Aiden hatte mir erklärt, dass wir uns schnell fortbewegten, damit wir schneller am Ziel und wieder zurück waren, jedoch nicht unsere Kraft unnötig verpulverten.

Mein Orientierungssinn verriet mir, dass wir uns in den Süden aufmachten. Nach vier Stunden ununterbrochenen Laufens, legten wir eine Pause ein, was einigen ziemlich gelegen kam. Sie atmeten nicht mehr so locker, wie am Anfang und brauchten eine Verschnaufpause. Ich aber nicht. Mir kam es vor, als wäre ich erst ein paar Minuten gelaufen und fühlte mich noch recht fit. Was drei Jahre Flucht alles ausmachen können.

Wie die anderen trank ich aus dem Fluss, der in der Nähe vor sich hin plätscherte, jedoch nur, um nicht aufzufallen. Einige legten sich auf den Boden und hielten einen Turboschlaf. Währenddessen setzte ich mich gemütlich hin und scannte wachsam die Umgebung ab. Ich war so konzentriert, dass ich nicht bemerkte, wie Aiden mich aufmerksam musterte.

Nach einer halben Stunde ging es weiter. In Gedanken versunken folgte ich ihnen, ohne jemals einen Laut von mir zu geben. Der Wind, der mein Fell streichelte, berauschte mich und vor meinem inneren Auge spielten sich verschiedene Erinnerungen ab. So merkte ich nicht mal, dass wir schon den zweiten Tag unterwegs waren und bald eine grössere Pause haben werden.

Die meisten waren müde und hungrig, was man ihnen nicht verübeln konnte. Erst als Aiden mich aus meinen Gedanken riss, indem er mich von der Seite anstiess, merkte ich, dass auch ich bedarf an Nahrung und Schlaf hatte. „Ist alles in Ordnung? Du hast den ganzen Weg über nichts getan, als mit uns zu laufen. Kein einziges Jammern oder Gähnen verliess deinen Mund.", fragte er mich besorgt.

„Oh. Ja, danke, alles in Ordnung. Ich war bloss ein bisschen in Gedanken.", stellte ich klar. Er nickte, liess mich aber nicht aus den Augen. „Also gut. Wir rasten hier. Wer will zuerst Wache schieben?", fragte er in die Runde. Alle sahen sehr müde aus und wollten unbedingt etwas Schlaf kriegen, weshalb ich mich meldete. „Ich machs."
Einige sahen mich überrascht an, beliessen es jedoch dabei, da sie unendlich froh waren, dass sie endlich schlafen konnten.

Skeptisch oder besorgt, ich konnte es nicht richtig deuten, sah der Bär mich an. Er wusste, wie die Verfassung seiner Leute war und nickte dankbar, als ich mich meldete. So setzte ich mich an eine optimale Position, von welcher ich alles gut im Blick hatte, während sich alle einrollten und die Augen schlossen. Alle, bis auf Aiden. Er setzte sich neben mich und schaute wachsam durch die Umgebung, ohne auch nur ein Wort zu sagen.

Zwei Stunden vergingen schweigsam. Es war kein unangenehmes Schweigen, sondern beide genossen die Stille und hingen ihren Gedanken nach, während wir die Umgebung im Blick hatten. Sobald die nächsten, die Wache hielten, auf waren, lösten sie uns ab. Müde rollte ich mich zusammen, bis ich es bequem hatte und schloss die Augen.

Wieder sah ich sie. Es verfolgte mich noch immer. Die bösen Männer, die mit einem Grinsen im Gesicht meine Eltern töteten. Wie ich panisch durch den Wald rannte und immer wieder zurück blickte, in der Hoffnung, meine Eltern würden doch noch nachkommen. „Tiana, dein Vater und ich, wir lieben dich, also bitte nutze den Vorsprung, den wir dir zur Verfügung stellen. Vergiss uns nie!", hallten Mamas Worte in meinem Kopf wider.

Ein heftiges Rüttelt riss mich aus meinem Albtraum. Panisch und verschwitzt versuchte ich Luft zu kriegen und sah mich um. „Tiana! Es ist alles gut, es war bloss ein Traum!", schrie mir Aiden entgegen, während er mich mit seinen Händen fest an den Schultern hielt. Endlich kläre sich mein Blick und ich erkannte, dass mich alle, die wegen mir aufgewacht waren, mich alarmiert ansahen.

„Ein Traum.", murmelte ich leise vor mich hin. „Ist alles wieder gut?", fragte Aiden mich und sah mich eindringlich an. „Ja, danke. Tut mir leid, dass ich euch geweckt habe..", entschuldigte ich mich und blickte bedrückt zu Boden. Ich war den Tränen nahe und griff nach meiner Kette, die ich um den Hals hatte. Nervös spielte ich an ihr rum und versuchte mich zu beruhigen.

Nach und nach legten sich die anderen wieder schlafen. „Versuch noch etwas zu schlafen.", meinte Aiden, doch ich schüttelte bloss den Kopf. „Ich kann nicht mehr. Ich halte gerne Wache für jemanden.", weigerte ich mich. Lange sah er mich an, doch ich wich seinem Blick aus. Nach einigen Minuten seufzte er schliesslich und bedeutete jemandem, dass seine Wache vorbei sei.

Am nächsten Morgen wachte einer nach dem anderen auf und streckte sich ausgiebig, bevor sie sich zum Bach begaben und daraus tranken. Sobald alle startklar waren, ging es weiter.
Im Trott spürte ich nicht mal, dass sich mir jemand näherte. „Hallo.", wurde ich angesprochen. Überrascht blickte ich zu meiner Linken und sah eine graue Wölfin. „Hallo.", grüsste ich zurück und schaute wieder nach vorne.

„Man erzählt sich, dass du letzte Nacht einen Albtraum hattest.", sprach sie weiter. „Du weisst nichts davon?", fragte ich sie verwundert. „Nein, ich bin nicht ein einziges Mal aufgewacht, bis der Morgen anbrach.", schüttelte sie leicht den Kopf. „Willst du darüber reden?" „Nein.", lehnte ich ihr Angebot ab und sah sie mir genauer an.

Sie hatte hellblaue Augen und ihr graues Fell war an den Spitzen weiss, sodass es fast magisch aussah, wenn der Wind darüber fuhr. „Oh, entschuldige, wo hab ich meine Manieren.", sah sie mich entschuldigend an und stellte sich mir vor. „Ich bin Pearl." Wie sehr der Name zu ihr passte. „Tiana.", stellte ich mich ebenfalls vor, obwohl sie wusste, wer ich war.

„Bist du auch das erste Mal dabei?", fragte ich sie. Warum ich mit ihr sprach? Keine Ahnung, eigentlich hatte ich keine Lust zu quatschen, doch sie strahlte was vertrautes aus. „Nein, das zweite Mal.", gab sie zu und lächelte mich an. Wenn man das so nennen konnte. „Hab ich dich schon irgendwo gesehen?", fragte ich weiter. „Nein, ich denke nicht."

„Wieso nicht?", hakte ich nach. „Ich lebe eher im Hintergrund, da mich trotz der sehr toleranten Gesellschaft in diesem Rudel, einige mit schrägen Blicken begutachten.", erklärte sie mir freundlich. „Wieso das denn?", rutschte es mir etwas lauter raus, als ich wollte und ich zog kurz den Kopf etwas ein, bevor ich nachschaute, ob uns jemand seine Aufmerksamkeit schenkte. Zum Glück hatte es niemand bemerkt und niemand hörte uns zu.

„Weil ich hellblaue Augen habe, meine Haare hellblond sind und meine Haut ziemlich blass ist.", beschrieb sie mir ihr Aussehen und sah mich abwartend an. „Bist du ein..", begann ich meine Frage zu stellen, doch sie unterbrach mich sofort. „Nein. Ich bin ein normaler Mensch, wenn man das so nennen darf. Ich bin bloss etwas hellhäutig.", grinste sie mich an. „Dann weiss ich nicht, was deren Problem ist. Nicht dass ich eins hätte, wenn du eine Albino wärst.", stellte ich gleich klar und sah sie an.

Bevor sie noch was erwidern konnte, drang Aidens Stimme zu uns allen durch. „Wir sind da. Bitte teilt euch in drei Gruppen auf und setzt euch in ein Auto. Wir gehen als Menschen weiter. Tiana, du kommst mit mir."

Hybrid - Tochter einer halben WölfinWhere stories live. Discover now