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„Wie bitte?!", entfuhr es mir erschrocken. Ich konnte es nicht glauben, dass wir bewusst durch ein Revier gefahren waren, in welchem einmal Hyger waren oder vielleicht nich sind. Ohne dass ich es wollte, spielte sich das Szenario ab, welches mich oft und gerne in der Nacht plagte. Vor meinem inneren Auge sah ich, wie mein Vater gerade zu Boden ging und meine Mutter einen Schmerzensschrei los liess.

Der Schrei hatte sich in mich gefressen und hallte nun in meinen Ohren wider. „Tiana, beruhige dich.", drängte sich eine feste Stimme zu mir durch. Nach und nach klärte sich mein Blick und ich fand mich wieder im Auto sitzend. Aiden und Pearl sahen mich beunruhigt an. Erst als Pearl mir über die Wange fuhr, merkte ich, dass ich weinte.

„Es ist alles gut, es ist nicht passiert.", sprach sie zu mir, was mir tatsächlich half. „Dir ist was schreckliches widerfahren.", stellte Aiden fest. Er und Pearl wechselten einen vielsagenden Blick. Ich nickte und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. „Tut mir leid, ich wollte nicht ausflippen.", entschuldigte ich mich und versuchte ein halbpatziges Lächeln zustande zu bringen.

„Was hast du erlebt?", fragte Aiden vorsichtig nach. „Sie haben meine Eltern umgebracht..", murmelte ich bedrückt und mein Herz schmerzte, als ich an sie dachte. „Das.. tut mir schrecklich leid.", sprach er sein Beileid und sah weg. „Wissen Rhianna und Daniel davon?", fragte Pearl vorsichtig, obwohl sie die Antwort schon wusste. „Warum hat sie dich dann schon jetzt mit uns geschickt?", fragte sie weiter.

„Weil sie wollte, dass sie bei mir ist.", erklärte Aiden ihr und sie nickte. „Und sie meinte jetzt täte etwas Abstand ganz gut.", ergänzte ich leise. „Abstand? Von was?", hakten beide gleichzeitig nach, was sie zum Schmunzeln brachte.

„Ihr habt doch bestimmt mitgekriegt, was beim Fest und danach geschehen ist.", gab ich ihnen einen Hinweis. „Das mit Milo?", hakte sie nach und ich nickte. „Und wovon genau sollst du denn Abstand haben?", wurde Aiden nicht schlauer. Pearl, die es begriffen hatte, sah ihn fassungslos an. „Von Milo.", gab ich zu und schaute kraftlos zu Boden.

„Wie..", begann er schon weiter zu fragen, wurde aber durch einen sehr eindringlichen Blick von Pearl zum Schweigen gebracht. „Aah..", verstand er endlich. „Du und Milo?", fragte er zur Sicherheit trotzdem nach. „Ich weiss nicht.", gab ich mit erröteten Wangen zu. „Was soll das heissen?", war nun Pearl verwirrt.

„Wir haben nicht mehr miteinander geredet.", sagte ich bedrückt und beide nickten verständnisvoll. „Nun gut. Genug geplaudert, vertretet euch noch kurz die Beine, bevor es weiter geht.", beendete Aiden dieses Gespräch und stieg aus dem Wagen. Wir sahen uns an, lächelten und stiegen ebenfalls aus.

Sobald ich um den Wagen gelaufen war, hakte ich mich bei Pearl ein, welche überrascht aufsah, jedoch sofort ein frohes Lächeln aufsetzte. Wir liefen eine Runde, ohne was zu sagen und stiegen wieder ins Auto, als es Zeit wurde, weiter zu fahren.

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Etliche Stunden später waren wir dann endlich am Ziel angekommen. Ich konnte die Vorfreude der Leute schon spüren und sie waren richtig aufgedreht. „Leute beruhigt euch. Wir sind zwar am Ziel, doch heute wird erstmal nicht gejagt. Erholt euch und wascht euch, ansonsten riecht uns die Beute, bevor wir in deren Nähe sind.", riss Aiden einen Witz, bei welchen alle schmunzeln mussten.

Der Abend war schon angebrochen und es hätte wirklich keinen Sinn ergeben, wenn wir jetzt noch auf die Jagd gegangen wären. Wie alle anderen auch, wusch ich mich in einem Fluss, der in der Nähe vorbei lief. Er war schon recht kalt, da auch der Sommer langsam aber sicher vom Herbst abgelöst wurde.

Die Blätter der Bäume verfärbten sich, bevor sie nach und nach auf den Boden fielen. Mit zitternden Beinen stieg ich nass aus dem Fluss und strich mir das Wasser von der Haut, bevor ich meine Haare auswrang. Danach verwandelte ich mich in einen Wolf und schüttelte mich richtig durch. Wassertropfen spritzten in alle Richtungen und ein Lachen erklang hinter mir.

Verwundert drehte ich mich um und sah, wie Pearl sich die Hand vor den Mund hielt und ihr Lachen versuchte zu verstecken. In diesem Moment sah sie aus, wie eine unschuldige, junge Frau. Ich verwandelte mich zurück und sah sie fragend an. „Was ist so lustig?" „Ach nichts.", meinte sie, bevor ihr Grinsen grösser wurde. „Du sahst bloss gerade wie ein Hund aus."
„Wie ein Hund?!", spielte ich empört und stützte mir die Hände in die Hüfte. „Na aber bitte. Ich hoffe für dich, dass du den Unterschied zwischen Hund und Wolf noch kennst.", sah ich sie tadeln an und sie fing an zu lachen.

„Ja klar doch, ich wollte dich bloss auf den Arm nehmen.", grinste sie noch immer. „Das will ich doch hoffen. Ansonsten wärst du ein zahmes Hündchen, welches Drehungen fürs Herrchen macht.", grinste ich zurück. „Oh nein, bloss nicht.", tat sie, als wäre es das Schlimmste auf der Welt und ich musste lachen.

Aiden kam auf uns zu und lächelte freundlich. „Na ihr. Ist alles in Ordnung bei euch?", sah er uns nacheinander an, wobei mir nicht entging, wie sorgenvoll er Pearl ansah.
„Ja alles in Ordnung.", antwortete sie und lächelte. „Und bei dir, Tiana?", hakte er nach und ich nickte. „Ja, danke." Er nickte und ging wieder.

Als wir wieder alleine waren, sah ich sie genau an. „Was ist da zwischen euch?", fragte ich sie sofort. „Nicht, was du denkst.", sagte sie sofort abwehrend. „Ich hab noch gar nichts gedacht.", lächelte ich sie beruhigend an. „Nicht?", fragte sie mich verwundert und ich schüttelte den Kopf. „Oh."

„Also?", hakte ich nach. „Vor etwa zwei Jahren hat Aiden mich auf einer seiner Touren verletzt gefunden. Mein damaliges Rudel wurde von Wölfen angegriffen, welche sich als Hyger herausgestellt hatten. Ich konnte fliehen, doch einer verfolgte mich und hatte mich an meinem Bein erwischt.", fing sie an zu erzählen und zeigte auf ihr rechtes Bein, welches eine grosse Narbe hatte.

„Verletzt lag ich auf den Boden und sah, wie der Wolf sich über mir aufbaute. In meinem Augenwinkel erblickte ich plötzlich einen Bären, der auf uns zu gerannt kam und ich dachte mir schon, dass es das jetzt definitiv war. Ich schloss meine Augen und betete um mein Leben. Doch plötzlich hörte ich seine Stimme, wie er mich fragte, ob alles okay sei. Verwundert hatte ich meine Augen geöffnet und erblickte ihn, wie er als Mensch auf mich herab sah."

Sie legte kurz eine Pause ein und dachte an das Geschehene zurück. Ich wagte es nicht, auch nur ein kleines Geräusch von mir zu geben, weil ich nicht wollte, dass etwas ihre Erzählung unterbrach.

„Ich verwandelte mich erschöpft in einen Menschen und dann sah er, wie zerrissen mein Bein aussah. Ohne zu zögern ging er alles Risiko ein und nahm mich mit. Er trug mich zurück zu seinem Rudel. Und seit da an lebe ich hier, ich verdanke ihm mein Leben. Er ist wie ein Vater für mich."

„Wow.. das tut mir schrecklich Leid.", flüsterte ich, da ich meine Stimme nicht wirklich fand. „Danke.", lächelte sie mich an. „Wolltest du nie mehr zurück?", beschäftigte mich diese Frage. Sie sah mich kurz an, lächelte und suchte nach den richtigen Worten.

„Nein. Wie gesagt, Aiden ist wie ein Vater für mich, er hat mich einfach so bei sich aufgenommen. Und in diesem Rudel werde ich mehr akzeptiert, als in meinem alten. Klar, frage ich mich ab und zu, was mit meiner Familie geschehen ist, doch ich hab Angst zu erfahren, dass sie schon längst tot sind."

„Und ich fühle mich hier wohl und am richtigen Ort.", ergänzte sie mit leicht erröteten Wangen. „Liegt das an einem Jungen?", hakte ich lächelnd nach und sie errötete etwas mehr.

Hybrid - Tochter einer halben WölfinWhere stories live. Discover now