0 3 | i h r e e i g e n e k l e i n e w e l t

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VIELLEICHT WAR ES eine ganz dumme Idee gewesen, Dana den Job in der Druckfabrik zu besorgen.

Vielleicht kam ich nun morgens früher ins Büro, in der Hoffnung, sie alleine zu erwischen, bevor die Halle sich mit anderen Redakteuren füllte. Vielleicht holte ich mir öfter als sonst einen Kaffee, weil die Mitarbeiterküche sich in der Nähe ihres Schreibtisches befand. Vielleicht konnte ich mich während der Redaktionssitzungen, an der ich zweimal in der Woche teilnahm, nur noch schwer auf die Vorschläge der anderen konzentrieren, weil ich ihre Präsenz im Raum spürte. Über zwanzig Köpfe füllten den Konferenztisch, doch mich interessierte nur noch eine ganz bestimmte Blondine.

Vielleicht auch nicht nur vielleicht.

Es war die reinste Qual. Bisher hatte ich Dana nur gesehen, wenn ich Marie besuchte. Das erste Mal, dass ich von ihrer Existenz erfahren hatte, war über einen Instagram-Post, den Marie auf ihrem Profil veröffentlicht hatte. Darauf waren sie und Dana abgebildet gewesen, beide ein breites Lächeln auf dem Gesicht, während sie im Schlosspark gesessen und die letzten Sonnenstrahlen im Herbst aufgesogen hatten.

Meine Augen hatten meine Schwester eigentlich gar nicht beachtet, sondern waren sofort zu dem Mädchen gewandert, das da neben ihr auf der Picknickdecke saß.

Ich konnte es nicht beschreiben, aber etwas an Dana strahlte eine so unschuldige Schönheit aus, dass ich mich dabei erwischt hatte, wie ich bestimmt fünf Minuten das Bild angestarrt hatte, ohne es zu bemerken.

Dana war überirdisch schön. Mit feinen Zügen, die sie so weiblich und zierlich wirken ließen, dass ich kaum den Blick abwenden konnte, wann immer sie in meiner Nähe war. Was jedoch noch dazu kam, war dass sie ein regelrechter Engel war.

Ich hatte in meinen gesamten vierundzwanzig Jahren niemanden getroffen, der ein so reines Herz besaß wie sie. Egal, wie oft ich versuchte, es in Worte zu fassen, es gelang mir nicht.

Und das schlimmste an all dem: ich hatte das Gefühl, dass sie gar nicht merkte, wie gerne ich sie besinnungslos küssen würde.

Es war das erste Mal in meinem Leben, dass eine Frau nicht zu verstehen schien, was für Intentionen ich besaß. Ich wollte mir einreden, dass ich Danas Nähe nicht nur suchte, weil ich mich absolut hingezogen zu ihr fühlte, sondern weil ich Marie ein guter Bruder sein wollte und auf ihre beste Freundin aufpasste, während sie in München war, doch wenn ich ehrlich war, tat ich genau das. Vielleicht war ich auch ein riesiges Arschloch.

Dabei hatte ich mir nicht einmal vorgenommen einen Schritt auf sie zuzugehen. Ich akzeptierte, dass sie Maries beste Freundin war und mich vermutlich nur als ihren Bruder wahrnahm, doch alles in mir schrie förmlich danach, sie einfach zu küssen.

Es war zum Verrücktwerden.

"Ich habe heute schon zu viele Penisse gesehen."

Überrascht sah ich von meinem Computerbildschirm auf, gerade rechtzeitig, um zu beobachten, wie David sich in den Sessel mir gegenüber sinken ließ. Er stemmte die Ellbogen auf die Armlehnen und sah mich mit einem düsteren Gesichtsausdruck an.

"Dein Liebesleben geht mich nichts an", erwiderte ich und rief meinen Terminkalender auf, um wenigstens so zu tun, als hätte ich gerade gearbeitet und wäre nicht damit beschäftigt gewesen, über unsere blonde Praktikantin zu sinnieren. "Also bitte erspar mir die Details über männliche Genitalien in Zukunft bitte. Über jegliche Genitalien, wenn wir schon dabei sind."

"Ich bin ganz eindeutig heterosexuell, danke der Nachfrage", kommentierte David mit einem nüchternen Blick. "Besonders wenn ich deine Visage sehe. Aber es geht hier nicht um sexuelle Aktivitäten. Mir geht es um die Penisse, die ich den ganzen Tag über sehe, weil ich in der ersten Reihe zum Männerklo sitze. Ich kann mich kaum auf die Arbeit konzentrieren, weil da so viele Schwänze sind."

phantomschmerz | ✓Where stories live. Discover now