0 8 | n i c h t s z u b e d e u t e n

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d a n a

ICH FÜHLTE MICH wie eine grausame Freundin.

Während der gesamten Rückfahrt über konnte ich nur daran denken, dass ich Maries Bruder geküsst hatte. Oder er mich. Für sie würde es vermutlich keinen Unterschied machen.

Mein Herz klopfte noch immer viel zu schnell, auch wenn Levi mich bereits vor einer halben Stunde vor meiner Haustür abgesetzt hatte. Zu meinem Glück war niemand Zuhause gewesen, der hinterfragte, warum ich mit nassen Haaren nach Hause gekommen war.

Und jetzt, jetzt saß ich frisch geduscht in Schlafshorts und Pullover auf meinem gemachten Bett, während ich mein Handy anstarrte. Es wog wie Blei in meiner Hand, während ich alle paar Sekunden den Display entsperrte, nur um die Sicherung wieder einzuschalten.

Ich starrte meiner eigenen Reflektion entgegen, die mir auf dem schwarzen Bildschirm entgegensah. Mal ganz davon abgesehen, dass Levi mich geküsst hatte, wie niemand sonst zuvor und das nervöse Flattern bisher noch nicht dem schweren Schuldgefühl gewichen war, wusste ich, dass ich zuvor bereits mit Marie hätte sprechen sollen. Schon als ich geahnt hatte, dass mein Puls alleine in Levis Anwesenheit durch die Decke ging.

Doch ich hätte niemals gedacht, dass ausgerechnet Levi Koopmann mich auch nur zwei Sekunden länger als nötig hätte ansehen wollen. Mit einem Kuss hätte ich in diesem Leben nicht mehr gerechnet.

Meine Finger wanderten über das Display und entsperrten das Handy ein weiteres Mal, doch dieses Mal öffnete ich meine Kontakte, suchte Maries Nummer heraus und drückte tatsächlich auf das Hörersymbol.

Es klingelte vier Mal, dann ertönte Maries helle Stimme. "Dana! Wie schön, dass du anrufst."

Seit Marie und Noah in München waren, hatte ich sie an einigen Wochenenden zu Gesicht bekommen, an denen sie nach Hause gekommen waren. Unter der Woche bombardierten Sophie und Marie unseren Gruppenchat, vermutlich weil die beiden es noch viel weniger gewohnt waren, voneinander getrennt zu sein.

"Hey, Marie." Ich zwang mich, möglichst enthusiastisch zu klingen, obwohl mir das Herz bereits in den Magen gesackt war, sobald sie abgenommen hatte. "Ist es gerade schlecht?"

"Nein, gerade trifft es sich sogar ziemlich gut", meinte Marie und ich hörte ihr Lächeln auch durch den Hörer. "Noah geht gerade noch ein paar Fälle durch. Was gibt's? Willst du dich über die Druckfabrik beschweren? Wenn Levi dort arbeitet, kann es eigentlich nur eine Katastrophe sein–"

Mein Mundwinkel zuckte bei ihrem amüsierten Tonfall zwar, insbesondere, weil wir beide wussten, dass Marie ihn nur aufzog, doch alleine die Erwähnung seines Namens bereitete mir Bauchschmerzen. Weil Marie mir genug vertraut hatte, um mir eine Stelle bei ihm zu besorgen und ich sie hintergangen hatte, als ich Levis Kuss erwidert hatte, anstatt ihn von mir zu schieben.

Aber es hatte sich so gut angefühlt, von ihm gehalten zu werden, seine Lippen auf meinen zu spüren und zu wissen, wie es sich mit vierzehn hätte anfühlen sollen.

"Nein, eigentlich ist es etwas anderes", antwortete ich und fuhr mir verzweifelt durch meine Haare. Ich wusste nicht, wie ich ausgerechnet Marie, die mir gegenüber immer so gütig und loyal gewesen war, so enttäuschen sollte. "Ich muss mit dir über etwas reden."

Marie schien zu zögern. "Ist alles okay bei dir, Dana? Du klingst so niedergeschlagen? Du kannst mit mir reden. Über alles."

Ihre Worte drehten den Dolch in meiner Brust, den ich mir dort selbst hineingerammt hatte, nur noch fester in das Gewebe.

Ich biss mir auf die Innenseite meiner Wange und setzte an: "Es tut mir so leid, Marie. Ich habe nicht nachgedacht und ich verstehe, wenn du unglaublich wütend auf mich bist, denn ich könnte es dir wirklich nicht übel nehmen, wenn es so wäre–"

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