0 5 | d o c h n o c h s c h a f f e n

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d a n a

ICH HATTE NIE wirklich Freunde gehabt.

In der Welt, in der ich aufgewachsen war, hatte es keine Freundschaften gegeben. Es hatte Tanzpartner, sich überschneidende Trainingsstunden und erbarmungslose Konkurrenten gegeben. Aber Freunde hatte es nie gegeben. Zumindest für mich nicht.

Ich war von Anfang an ein sehr stilles Kind gewesen. Zu still, wenn man es mit anderen Kindern in seinem Alter zu tun hatte. Als ich drei war, hatte ich meine erste Ballettstunde gehabt. Mit fünf bekam ich bereits Privatstunden. Und von da an wurde es schwer, mit anderen Kindern in Kontakt zu kommen.

Aber von meiner Tanzlehrerin hatte ich mich verstanden gefühlt. Von den anderen Kindern eher weniger.

Meine gesamte Jugend über hatte sich das nicht sonderlich verändert. Und ich hatte es auch nie für schlimm empfunden, die Außenseiterin zu sein. Weil es mir meinen Freiraum gab, mich nicht unter Druck setzte, mich nicht dazu zwang, mich anderen Leuten gegenüber beweisen zu müssen.

Ich würde es wahrscheinlich nie vor ihr zugeben, doch Marie war meine erste richtige Freundin gewesen. Als sie während der Erstsemesterbegrüßung neben mir Platz genommen und sich herausgestellt hatte, dass wir tatsächlich dasselbe Studienfach belegt hatten, war es für sie selbstverständlich gewesen, den Rest der Einführungswoche immer neben mir Platz zu nehmen. Mich hatte es so sehr gerührt, dass ich am zweiten Tag beinahe in Tränen ausgebrochen wäre.

Und dann kam Sophie, die genauso zuvorkommend und extrovertiert war wie Marie. Plötzlich hatte ich einen Vorgeschmack auf das bekommen, was ich seit neunzehn Jahren hatte missen müssen.

Wie ich es geschafft hatte, dass die beiden sich ausgerechnet mit mir angefreundet hatten, wusste ich bis heute nicht. Ich wusste nur, dass ich es als unglaubliches Glück empfand.

Weshalb ich auch ordentlich ins Stocken geriet, als Stella mich fragte, ob ich mit ihr und ein paar anderen Leuten der Druckfabrik nach dem Feierabend noch in eine Bar wollte.

Ich starrte ihren erwartungsvollen braunen Augen entgegen und geriet in Panik.

Ich wollte nicht immer die schüchterne, zurückhaltende Dana sein, die niemand wirklich zu kennen schien. Aber die Vorstellung, mit einer Gruppe Leute Zeit zu verbringen, die ich einzig und alleine durch die Arbeit kannte, jagte mir eine Heidenangst ein.

So viele Szenarien sammelten sich in meinem Kopf an, von der Möglichkeit, den Abend stillschweigend neben ihnen an der Bar zu verbringen, ohne ein Wort zu sprechen bis hin zu der Angst, zu viel zu reden und deshalb nicht gemocht zu werden.

Mit diesen Leuten durfte ich es mir nicht verscherzen. Ich würde noch ganze fünf Monate mit ihnen zusammenarbeiten müssen.

Aber andererseits hatte ich auch noch nie gewusst, wie man Nein sagte.

"Das klingt toll", gab ich zurück und zwang mich zu einem Lächeln, obwohl mein Magen bereits eine nervöse Achterbahnfahrt durchlebte. "In welche denn?"

"Ins Fou fou", antwortete sie, während ihre Finger bereits wieder über ihre Tastatur glitten. Einen Moment lang fragte ich mich, ob ich nicht doch einfach hätte absagen können. "Levi hat sie vorgeschlagen. Er meinte, sie machen dort die besten Longdrinks."

Mein Herz machte einen weiteren Satz. Weil es jetzt nicht nur die Bar war, die mich innerlich durch die Decke gehen ließ, sondern auch die Vorstellung, dass ausgerechnet Levi ebenfalls dort sein würde.

Den restlichen Nachmittag über fiel es mir schwer, mich auf meine Aufgaben zu konzentrieren. Der Appetit war mir derart vergangen, dass ich nicht einmal den Salat herunterbekam, den ich mir eingepackt hatte.

phantomschmerz | ✓Where stories live. Discover now