0 6 | k a p u t t g e m a c h t

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d a n a

MEINE BEINE SCHMERZTEN.

Ich spürte die Anstrengung in jedem Muskel, spürte, wie der Schweiß sich über meiner linken Augenbraue ansammelte, wo er drohte, meine Schläfe hinab zu laufen.

Obwohl ich es besser wusste, schaltete ich die Geschwindigkeit des Laufbandes nicht herunter. Mein rechtes Knie ächzte, doch auch die schlimmsten Horrorszenarien, die Finn mir später bestimmt ausführlich ausmalen würde, konnten mich nicht dazu bringen, nicht meine Grenzen auszutesten. Ich hatte sowieso nichts mehr zu verlieren.

Als seine Gestalt jedoch mit einem mahnenden Blick neben dem Gerät erschien, sein Klemmbrett an seine Brust gepresst, die in einem dunkelgrauen Funktionsshirt steckte, zwang ich mich, mein Tempo zum Herunterkühlen auf eine Gehgeschwindigkeit zu minimieren.

"Dana", tadelte er mich, als er sah, dass mein rechtes Bein sich sehr viel träger anhob als das linke. "Wir haben darüber unzählige Male gesprochen. Die vorgegebenen dreißig Minuten, mehr nicht. Oder willst du noch mehr Implantate?"

Ein Schuldgefühl durchzuckte mich augenblicklich, doch ich schüttelte gehorsam den Kopf. "Nein. Entschuldige, ich habe nicht auf die Uhr geschaut."

Finn verharrte neben mir, während ich die letzten Minuten in Schrittgeschwindigkeit hinter mich brachte. Vermutlich, weil er Angst hatte, ich könnte jede Sekunde wieder los sprinten.

Während der abschließenden Dehnübungen, bei denen er die Beweglichkeit meiner Knie mit Argusaugen beobachtete und sich immer wieder Notizen machte, wünschte ich mich auf das Laufband zurück. Es war das einzige, das mir mittlerweile noch einen leeren Kopf bescherte.

"Ich habe deine Werte hier", sagte Finn irgendwann, als ich bereits nach meiner Wasserflasche griff und in Richtung der Duschen verschwinden wollte. Sein anklagender Tonfall ließ mich jedoch innehalten. Vermutlich, weil ich mit dieser Standpauke bereits gerechnet hatte. Er war seit beinahe zwei Jahren mein Physiotherapeut und ich konnte mich immer darauf verlassen, dass er nicht zögern würde, mich in meine Schranken zu weisen. "Willst du mir etwas sagen?"

Ein unangenehmes Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit. Ich hasste diese Momente.

"Ich hatte nur ein wenig Stress auf der Arbeit", sagte ich, wobei ich meine Finger nervös die Träger meines Tops zurecht zogen. "Kommt nicht wieder vor."

Finn, der zwar erst fünfundzwanzig war, jagte mir mit seinem autoritären Blick schon fast Furcht ein. Vielleicht war es aber auch nur mein Überlebensinstinkt, der mir sagen wollte, dass ich mich ihm besser unterwerfen sollte, wenn ich ohne große Probleme nach Hause gehen wollte.

"Du hast zwei Kilo abgenommen, Dana. Was entweder bedeutet, dass du deine Trainingseinheiten überzogen oder den Ernährungsplan nicht eingehalten hast. Und die Auswertung der Daten deiner Fitness-Uhr sagen mir ganz eindeutig, dass du nicht genug Sport gemacht hast, um innerhalb einer Woche ganze zwei Kilo zu verlieren."

Die Erinnerung, an all die Male, die ich mein Frühstück übersprungen und mir nach der Arbeit nicht mehr die Mühe gemacht hatte, mich noch einmal in die Küche zu wagen, brannten sich in den vordersten Ecken meines Verstandes ein. Doch mit der Erinnerung an Freitagabend, als ich mich völlig zum Idioten gemacht hatte und Nele, die überall im Haus herumposaunte, dass sie es zu einem Vortanzen des Berliner Staatsballetts geschafft hatte, war da diese Leere in mir, die ich nicht wagte, mit Essen zu verdrängen. Weil Leere immer noch besser war, als in meinem eigenen Selbsthass zu ertrinken.

Finn konnte mir die Gedanken wahrscheinlich vom Gesicht ablesen, denn er nahm sich die Baseballkappe vom Kopf, fuhr sich durch die dunkelblonden Haare und stieß ein frustriertes Seufzen aus.

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