1 9 | o h n e z u z ö g e r n

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l e v i

DANAS ERSTE REAKTION am nächsten Morgen war es, mein Frühstück abzulehnen.

Sie lächelte, strich sich eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht und schüttelte den Kopf, als ich sie fragte, ob sie Hunger hatte. Hätte ich ihren Magen nicht knurren gehört, kaum war ich vor ihr aufgewacht, hätte ich ihr vermutlich geglaubt.

Zu wissen, dass sie log, öffnete ein faustgroßes Loch in meiner Brust. Weil es im ersten Moment überhaupt keinen Sinn machte, und dann, im zweiten eben doch.

Es wäre einfach gewesen, zu sagen, dass Danas Gene für ihren schmalen Körperbau verantwortlich waren. Einfach zu sagen, dass sie einen guten Stoffwechsel hatte und wohl nicht auf ihre Ernährung achtete. Dass sie im Leben Glück gehabt hatte und sich keinen Kopf über diese Dinge machen musste. Viel schwerer war es, mir einzugestehen, dass das nicht der Fall war.

Ich hatte den Gedanken heruntergeschluckt, ihr wie beim letzten Mal keine Wahl gelassen und stattdessen das Ruder übernommen. Auch wenn sie unruhig wurde, als ich erneut eine Pfanne aus dem Küchenschrank beförderte und den Pfannkuchenteig aufschlug. Ihre angespannte Körperhaltung und die Stille, die plötzlich geherrscht hatte waren grauenhaft gewesen, doch all das war es wert, als ich dabei zusah, wie sie zwei davon aß.

Bemüht, mir nichts anmerken zu lassen, hatte ich sie nach Hause gefahren, das Dach heruntergelassen und das Radio aufgedreht. Dana hatte ein Lächeln auf dem Gesicht, als ich sie vor ihrem Haus abgesetzt hatte, doch das schwere Gefühl in meiner Magengegend blieb, auch als sie aus dem Auto gestiegen war.

Meine Finger griffen das Lenkrad viel zu hart, doch ich bemerkte es nicht. Im Autopilot kehrte ich in meine Wohnung zurück, machte mir nicht die Mühe, mir die Schuhe von den Füßen zu treten und ließ mich stattdessen vor meinem Laptop nieder.

Die Sekunden, die das Macbook brauchte, um zu starten, fühlten sich wie eine Ewigkeit an. Ich öffnete die Suchmaschine, klickte auf die Suchleiste und beobachtete, wie der Cursor in Form eines senkrechten Strichs auftauchte und nur darauf wartete, dass ich etwas eingab.

Ich dachte an Dana, wie schmal sie war, an ihre Hüftknochen, an ihre Schlüsselbeine, an ihre Rippenbogen. Sie entsprach dem verkorksten Schönheitsideal und ich hatte es nicht hinterfragt. Unglaublich dünn und sie tat so, als wäre es das einfachste der Welt.

Ich dachte an die Videos, die ich von ihr gesehen hatte. An ihren zierlichen Körper, der durch das Ballett nur gestählt worden war. Daran, wie ich ihre Rippen durch das dünne Tanztrikot hindurch sehen konnte, weil es sich an sie schmiegte wie eine zweite Haut.

Bisher hatte ich nicht genug darüber nachgedacht. Vielleicht weil es nicht Danas Körper gewesen war, der mich zu ihr hingezogen hatte. Er hatte eine Rolle gespielt, das wusste ich, aber alles andere an Dana war so viel wichtiger gewesen. Ihr Lächeln, ihre Rücksicht, einfach alles andere an ihr.

Aber jetzt, wo ich darüber nachdachte, fragte ich mich, ob ich sie in der Druckfabrik schon hatte essen sehen. Ich wusste, dass sie gegessen hatte, als wir Anfang des Jahres mit Marie, Sophie und Noah bei dem veganen Burgerladen in der Nordstadt Essen gewesen waren. Ich versuchte mich daran zu erinnern, wie viel es gewesen war, ob ich darauf hätte achten sollen, durchwühlte jede Schublade in meinem Kopf, kam aber nicht darauf. Ich hatte keine Ahnung und das schien es noch schlimmer zu machen.

Alles in mir sehnte sich danach, Marie anzurufen. Sie zu fragen, wie oft Dana vor ihr aß. Sie zu fragen, ob sie bemerkt hatte, wie dünn Dana eigentlich war. Sie zu fragen, ob sie sie schon jemals darauf angesprochen hatte und wenn nein, dann warum zum Teufel nicht?

phantomschmerz | ✓Where stories live. Discover now