25 | River

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Ich kann nicht glauben, dass ich erst jetzt zum ersten Mal seit meiner Ankunft in dem Rudle in Nikans Schlafzimmer stehe. Aber es überrascht mich keineswegs, was ich vor meinen Augen sehe. Einen Monat kennen wir uns nun schon. Unglaublich, dass es bereits ein Monat her ist. Nikan und Ian kamen ungefähr zwei Wochen vor Melissas und Dakotas Gefährtenzeremonie im Redbone Rudel an. Seitdem hat sich viel verändert. Nikan ist mir auf Schritt und Tritt gefolgt, hat mir seine überschwängliche Art förmlich aufgedrückt. Ständig habe ich seine Gefühle und das Chaos in seinem Kopf wahrgenommen. Es war immer ein Gemisch aus Sorge um seine Familie, Sehnsucht nach mir und Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Meine Ankunft hier ist jetzt auch schon zwei Wochen her und plötzlich hat sich wirklich alles geändert. Ich habe viele neue Leute kennengelernt. Leute, die ich mittlerweile als Freunde und Familie ansehe. Es überrascht mich, wie schnell ich diese Bindung zu allen aufbauen konnte. Nikan hat definitiv einen großen Teil dazu beigetragen. Seit wir in seinem Rudel waren ist er auf Abstand gegangen. Er ist mir nicht mehr ständig gefolgt oder hat versucht herauszufinden, was ich mag und was nicht. Nein, er hat mir Platz zum Atmen gegeben und ich habe von allein begonnen alles zu erkunden. Ich konnte mich in meinem Tempo an mein neues Leben gewöhnen und selbst entscheiden, wann ich mich jemanden annähern möchte. Die anderen haben auch ihren Teil dazu beigetragen. Sie haben akzeptiert, dass ich im Gegensatz zu Olivia meine Zeit brauche und mich nie zu etwas gedrängt.
Hätte man mir vor einem Monat also gesagt, dass ich Nikan als meinen Rückzugsort bezeichnen würde, hätte ich demjenigen wahrscheinlich den Mittelfinger gezeigt und erwartet, dass er sich bei mir entschuldigt, dafür dass er denkt ich würde so schnell unserer Verbindung nachgeben. Ich wusste, dass es eines Tages passieren würde.
Wenn ich ehrlich bin glaube ich nicht, dass wir uns jetzt schon so nah gekommen wären, wenn der Angriff nicht gewesen wäre. Speziell seit diesem Ereignis hat sich unsere Seelenverbindung geändert. Als hätte jemand begonnen das unsichtbare Band, das uns verbindet, zu greifen und heftig daran zu rütteln. Eben war ich noch verwirrt, was meine Gefühle für Nikan angeht und im nächsten Augenblick wache ich auf und sehe einen niedergeschlagenen Nikan vor meinem Bett sitzen und fühle, wie mein Herz bricht. Nie wieder in meinem Leben möchte ich dieses Gefühl erleben. Erschütternd und erweckend zugleich. Als hätte man einen Schalter umgelegt und plötzlich möchte ich auch herauszufinden, was Nikan gefällt und was nicht. Ich bin neugierig und möchte alles über ihn wissen.
Mich mag er offensichtlich ganz besonders, wenn ein einfacher Kuss ihm bereits eine Erektion verschafft. Der Gedanke entlockt mir fast schon ein Kichern, doch ich kann mich gerade noch zurück halten. Es erfüllt mich in gewisser Weise auch mit Stolz, dass sein Körper so auf mich reagiert. Götter, ich war doch selbst erregt! Ich hätte es nie für möglich gehalten so zu empfinden. Nikans Berührungen sind elektrisierend und seine Küsse atemberaubend. Nicht, dass ich einen Vergleich hätte, aber ich bezweifle, dass jemand anderes solche Gefühle in mir auslösen könnte. Allein schon der Gedanke treibt mir Hitze in die Wangen. Ich sollte wirklich aufhören darüber nachzudenken, was Nikans Lippen mit mir anstellen können. Also schaue ich mich weiter in seinem Zimmer um.

Es ist ein bisschen größer als meins, länglicher und wesentlich dunkler eingerichtet. Wenn man zur Tür hereinkommt, begegnet einem eine Komode aus dunklem Holz und nebenan ein Fenster, dessen durchscheinendes Licht von zwei dunkelblauen Vorhängen gedimmt wird. Lässt man seinen Blick weiter wandern, findet man einen kleinen Tisch mit Fernseher und angrenzend wieder ein Fenster, das ebenfalls zwei dunkelblaue Vorhänge trägt, die allerdings offen stehen. Außerdem befindet sich ein Kleiderschrank mit Spiegel und ein Regal mit diversen Sachen, die ich noch genauer betrachten muss, in dem Raum. Das Bett befindet sich gegenüber von dem Fernseher und der Wand mit den Fenstern. Es gibt einen kleinen Nachttisch mit Lampe und Büchern, aber sonst befindet sich nichts in diesem Zimmer. Alles ist schlicht und dunkel eingerichtet. Sogar das Bett ist mit dunklen Farben überzogen. Dunkel lackiertes Holz, dunkelgraue Bezüge und eine dunkelbraune Tagesdecke, die zerwühlt am Fußende liegt.
“Du hast offensichtlich eine Abneigung gegen helle Farben“, bemerke ich mit einem Schmunzeln und gehe weiter in den Raum hinein, um die Dinge auf seinem Regal betrachten zu können. Ein paar Bücher, hauptsächlich Kindergeschichten und Sagen unserer Spezies, ein Kartenspiel, eine kleine Holzschatulle und zwei Bilderrahmen. Auf dem einen Bild ist eine Familie zu erkennen. Mutter, Vater und drei Kinder. Das mittlere Kind sieht wie eine jüngere Version von Nikan aus. Er muss ungefähr zwölf oder dreizehn gewesen sein, als das Foto entstanden ist. Auf dem zweiten Bild sind Luke, Dean und er selbst drauf. Ich nehme es in die Hand und betrachte es genauer. Es muss im Redbone Rudel gemacht worden sein, denn ich kann das Haus der beiden Brüder im Hintergrund erkennen. Irgendwann muss ich ihn fragen, was damals passiert ist.
“Du kannst gerne eine paar Sachen verändern, wenn es dir hier nicht gefällt“, antwortet Nikan und ich schaue verwirrt auf. Doch dann erinnere ich mich an meine Worte, schüttel den Kopf und stelle das Bild wieder an seinen Platz.
“Nein, so meinte ich das nicht“, erkläre ich. “Es war eher eine Feststellung. Du hast ständig dunkle Sachen an, dein Schlafzimmer ist auch nicht viel heller und na ja, irgendwie strahlst du auch eine gewisse Dunkelheit aus.“ Die letzten Worte spreche ich leise, weil ich nicht weiß, ob es angebracht ist das zu sagen. Aber es war eines der ersten Dinge, die mir an Nikan aufgefallen ist. Ich hatte immer das Gefühl, als wären die Schatten dunkler, wenn er in meiner Nähe war. Aber es hat sich nie bedrohlich angefühlt oder mir Angst gemacht. Nein, ich habe mich eher sicher und beschützt gefühlt. Seine Schatten haben sich stets wie ein wärmender Mantel um mich gelegt.
“Achso, ja da bist du nicht die Erste, die mir das sagt“, bringt er unter einem rauen Kichern hervor und tritt auf mich zu. “Ich habe mir nie Gedanken über meine Einrichtung oder dessen Farbpalette gemacht. Das ist irgendwie einfach passiert, dass es hier so aussieht, wie es jetzt aussieht.“
“Ich mag es“, bestätige ich ihm und lasse meinen Blick noch einmal durch den Raum schweifen, doch bleibe dann am Spiegel hängen. “Nikan!“, rufe ich erschrocken aus, als ich meinen Hals betrachte. Ein großer dunkelroter Fleck hat sich unterhalb meines Ohres gebildet. “Du hast mir einen Knutschfleck verpasst!“, stelle ich das Offensichtliche fest und versuche dennoch über den Fleck an meinem Hals zu reiben, doch mache es dadurch nur schlimmer.
“Ich kann mich nicht erinnern, dass du dich beschwert hast“, sagt er und stellt sich hinter mir auf. In seinem Gesicht ist ein zufriedenes Grinsen zu erkennen. “Ist halb so wild, in ein paar Stunden sollte es verschwunden sein“, erinnert er mich an unserer schnelle Regeneration des Körpers.
“Zum Glück“, murmel ich und lege meine Haare auf die Seite, um den Fleck zu verbergen.
“Jetzt bin ich enttäuscht.“ Mein Blick wandert im Spiegel zu Nikan, der sich gespielt verletzt eine Hand auf die Brust legt. “Ich finde es irgendwie schön. Schade eigentlich, dass es nur so kurz hält. Bis ich dich wirklich markiert habe, wäre das eine gute Methode, dich als mein zu kennzeichnen.“
Er streift mir die Haare wieder von der Schulter, berührt dabei mir seinen Fingerspitzen meinen Nacken, beugt sich vor bis ich seinen Atem auf meiner Haut spüren kann und schaut mir mit vor Verlangen verschleierten Blick durch den Spiegel entgegen.
Heilige Scheiße. Seine braunen Augen sind noch dunkler, fast schwarz und sein Gesichtsausdruck angestrengt, als müsste er all seine Energie aufwenden, um sich zurück zu halten. Bei diesem Anblick muss ich hart schlucken und ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass mich seine Worte kalt lassen.
“Schon vergessen, dass wir uns gegenseitig markieren wollten“, bringe ich unter einem Keuchen hervor und versuche seinem Blick im Spiegel stand zu halten.
“Ich hätte nichts dagegen, wenn du dich revanchieren wollen würdest“, antwortet er gefährlich grinsend und legt seine Lippen auf meinen Hals. Zart und mit sanftem Druck streift sein Mund über meine Haut und bringt meinen Puls zum rasen, mein Blut zum kochen und meinen Atem zum stocken.
Als er einen Arm um meinen Bauch legt und mich an seine Brust presst, entlockt er mir ein überraschtes Seufzen und ich lege aus Reflex meine Hände auf seinen Arm. Egal wie sehr ich mich dagegen sträuben würde, jede Faser in meinem Körper verlangt danach von Nikan berührt zu werden.
Er beginnt erneut an meiner Haut zu saugen, dieses Mal an dem Übergang meines Halses zur Schulter und ich lege mit flatternden Liedern meinen Kopf in den Nacken auf seiner Schulter ab, um ihm einen besseren Zugang zu gewähren.
“Du machst mich verrückt“, murmel ich und erhalte als Antwort ein kehliges Lachen, dessen Vibrationen durch meinen Körper fahren und ich erschrocken die Beine zusammen presse. Meine Finger krallen sich in seinen Arm und ich kann spüren, wie sein Griff um meinen Bauch immer fester wird.
Ich könnte den Rest des Tages in dieser Position verharren, doch Nikan löst sich von meiner erhitzten Haut und küsst sich eine Spur meinen Hals hinauf bis zu meinem Kiefer. Es dauert ein paar tiefe Atemzüge bis ich mich von der Intensität seiner Berührungen erholt habe und meinen Blick wieder erheben kann, um im Spiegel einen weiteren dunkelroten Fleck an meinem Hals zu erkennen.
Es sind keine wahren Markierungen, doch der Gedanke, dass mich Nikan als seins beanspruchen möchte gefällt mir immer besser. Witzig wie sehr ich mich vor einigen Wochen noch dagegen gesträubt habe. Aber seiner Einladung mich zu revanchieren werde ich schon bald folgen, denn ich kann nun den Reiz verstehen jemanden als meins zu markieren. Es ist ein allumfassendes Gefühl, das ein merkwürdig warmes Kribbeln in meinem Bauch auslöst.
Mit einem letzten kleinen Kuss auf meine gerötete Wange trifft mich erneut Nikans Blick durch den Spiegel und ich kann auch auf seiner bronzefarbenen Haut eine gewisse Röte erkennen. Sein zweiter Arm legt sich ebenfalls um meinen Bauch und für eine Weile schauen wir uns nur an. Keiner lächelt, doch es besteht kein Zweifel daran, dass wir beide zufrieden sind.
Mein Atem hat sich beruhigt und mit Nikans synchronisiert, wie ich feststellen kann. Sein Herz schlägt wild gegen meinen Rücken und es fühlt sich an als würde mein eigenes Herz jedes Pulsieren fröhlich entgegen nehmen und anschließend zurück geben. Unser Seelenband webt sich mit jeder Berührung breiter und wird durch jeden Kuss stärker. Ich kann spüren, wie diese Verbindung zwischen uns intensiver wird und es mir immer schwerer fällt mich dagegen zu wehren. Ich möchte mich auch nicht mehr unserem Bund entziehen, doch manchmal habe ich das Gefühl, dass mein Wille ein anderes Tempo anstrebt als mein Verstand. So viele neue und erste Erfahrungen kommen auf mich zu und ich freue mich schon sie mit Nikan zu teilen, doch wenn ich mich nicht zurück halte, ist dieser Zauber in zwei Tagen verflogen. Allein schon der Gedanke lässt in mir Panik aufsteigen.
“Was wünscht du dir eigentlich zum Geburtstag?“, fragt Nikan plötzlich und unterbricht meine Grübelein.
“Woher- Olivia hat es dir gesagt.“
“Ja, sie hat mich vor ein paar Tagen darauf hingewiesen und ich würde dir gerne etwas schenken.“ Nikan lehnt seinen Kopf an meinen und beginnt mit einem Daumen über meinen Bauch zu streicheln.
“Ich wünsche mir nichts. Da wo ich herkomme, haben wir nie den Tag unserer Geburt gefeiert. Ich habe erst vor zwei Jahren das erste Mal an diesem Tag Geschenke erhalten“, erkläre ich unter einem Seufzen. Ich wusste, dass Menschen ihren Geburtstag feiern und als ich dann im Redbone Rudel war, war ich überrascht, dass es diese Tradition auch bei einigen Wandlern gibt. Mein erstes Geburtstagsgeschenk, das ich je in meinem Leben erhalten habe, war ein Buch von Dean. Harry Potter um genau zu sein und seit dem habe ich eine Leidenschaft für das Lesen entwickelt. Dean meinte damals zu mir, dass es eine gute Gelegenheit wäre, damit Freundschaften mit Menschen zu schließen, weil es ein sehr populäres Buch ist und es hat tatsächlich funktioniert. Ich habe innerhalb einer Woche die komplette Reihe verschlungen und konnte tatsächlich mit diesem Thema ein paar Kontakte zu Menschen in der High School aufbauen.
“Ich überlege mir was“, versichert mir Nikan und lächelt mir durch den Spiegel entgegen.

MoonshadowWhere stories live. Discover now