8 | Nikan

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Es sind einige Tage vergangen. River und ich haben nicht weiter darüber geredet, was zwischen Luke und mir passiert ist, geschweige denn worüber wir uns in der Küche unterhalten haben. Wir haben allgemein wenig miteinander geredet. Nur wenn ich irgendetwas mache, das sie nervt, dann reagiert sie. Also mache ich genau das.
Ich begleite sie überall hin, beobachte sie und stehe ihr gerne im Weg. Sie hat wirklich viel zu tun und so einige Aufgaben im Rudel, aber es scheint ihr zu gefallen viel beschäftigt zu sein. Dann wird es ihr bei uns auch gefallen. Es gibt einiges zu tun. Das Rudel existiert zwar schon seit ein paar Jahren, doch es befindet sich immer noch im Aufbau. River kann es nun mit mir gemeinsam aufbauen. Diese Tatsache gefällt mir. Eigentlich alles, was mit River zu tun hat gefällt mir.
Sie ist immer noch ein Mysterium, aber genau das reizt mich. Diese kleine Waldfee hat Feuer unterm Hintern und das habe ich in den vergangenen Tagen oft zu spüren bekommen, doch manchmal ist sie so zart und schwer zu fassen, dass ich gar keine Worte dafür finde. Es sind Momente, in denen sie zu vergessen scheint, dass ich ihr folge und sie in ihren Gedanken versunken ist. Dann ist sie einfach sie selbst. Ich denke, das ist einer der Gründe, warum sie ständig von mir davon läuft. Sie mag es allein zu sein. Sie genießt die Zeit abseits vom Rudel und einfach in der Natur umher zu spazieren.
Ein einsamer Wolf.
Doch davon will sie nichts wissen. Aber wenn ich sie so anschaue, dann erkenne ich ein bisschen von mir in ihr wieder. Vor zwei Tagen zum Beispiel, war sie Blumen am Waldrand pflücken, für die Dekoration der Zeremonie und sie war so in Gedanken versunken, dass ihr gar nicht aufgefallen ist, dass ich nur fünf Meter entfernt an einem Baum gelehnt da stand und sie beobachtet habe. Ich hätte Stunden damit verbringen können, ihr einfach dabei zu zusehen. So Mitten in dem hohen Gras, umgeben von Wildblumen, die sie mit einem milden Lächeln auf den Lippen nach und nach in ihren Korb getan hat. Ich konnte spüren, wie glücklich sie diese simple Tätigkeit gemacht hat. Wenn ich nur gewusst hätte, an was sie gedacht hat. Aber sie sah wunderschön aus. Als wäre sie ein Teil des Waldes. Mit ihren langen schwarzen Wellen und der blassen Haut. Dieses Wesen kann nicht von dieser Welt stammen.

Gestern musste sie in die Stadt fahren, um in einem Rstaurant zu arbeiten. Dieses eine Mal habe ich sie in Ruhe gelassen. Für ein paar Stunden konnte River sich eine Auszeit von mir gönnen. Es ist mir schwer gefallen, aber ich habe gespürt, dass sie wieder etwas Abstand brauchte. Sie soll die letzten Stunden in ihrem Rudel mit ihren Freunden genießen und sie soll Zeit haben, sich von allen zu verabschieden. Heute ist die Zeremonie, das bedeutet, dass wir morgen aufbrechen werden. Noch hat sich River nicht dazu geäußert, doch ich bin mir sicher, dass sie mich begleiten wird. Obwohl sie gegen mich und ihre Gefühle ankämpft, hat sie Momente, in denen sie sich vollkommen unserer Verbindung hingibt. Sie hat dann diesen Blick. Erfüllt von Sehnsucht und Neugier. Ich würde gerne mit ihr auf vier Pfoten durch den Wald streifen, doch dafür ist sie noch nicht bereit. Sich voreinander zu verwandeln ist eine intime Angelegenheit. Sie muss mich erst an sich heran lassen und mir vertrauen. Aber das wird die Zeit ergeben. Ich bin nicht einmal verletzt, weil sie mich auf Abstand hält. Ich kann es sogar verstehen. 

Als sie für ein paar Stunden arbeiten war, habe ich mich mit Ian unterhalten. Wir haben uns in den letzten Tagen kaum gesehen, doch wie sich herausgestellt hat, hat er ebenfalls seine Gefährtin gefunden. Ich kann nicht glauben, was für ein Glück wir haben. Erst findet niemand sein Seelenstück und jetzt gleich zwei von uns. Auch noch aus dem selben Rudel. Vielleicht kann Ians Gefährtin River positiver Stimmen. Keine Ahnung, ob sie es bereits weiß, aber eine ihrer Freundinnen, die mit den lila Haaren, ist Ians Auserwählte und im Gegensatz zu River ist sie einem Umzug nicht abgeneigt. Es wird ihr hoffentlich leichter fallen sich einzuleben, wenn sie schon jemanden kennt.

Es sind noch ein paar Stunden bis zur Zeremonie. Die Sonne ist bereits untergegangen, doch der Mond steht noch nicht hoch genug. River hat sich vor einer Weile in ihr Zimmer verzogen, um sich fertig zu machen. Ebenso ihre Schwester Mara. Während Ian bei seiner Gefährtin ist, sind Sitka und ich zurück geblieben. Keine Ahnung, was die beiden Schwestern so lange machen. Besonders River. Sie sieht perfekt aus. Was möchte sie daran ändern? Ob es Rituale vor einer Gefährtenzeremonie in diesem Rudel gibt, die ich nicht kenne?
“Ich werde dann mal nach meiner Frau schauen“, informiert mich Sitka und erhebt sich von seinem Stuhl und verlässt die Küche, um in den oberen Teil des Hauses zu verschwinden. Gar keine schlechte Idee.
Vielleicht sollte ich auch zu River gehen.
Doch in ihrem Zimmer ist sie nicht zu finden. Ja, ihr Zimmer. Es verrät viel über sie. Zum Beispiel lässt sie Tag und Nacht ihr bodentiefes Fenster offen stehen. Offensichtlich mag sie die Natur auch innerhalb des Hauses und das obwohl sie viel Zeit drinnen zu verbringen scheint. Die vier Wände verraten viel über sie. Es ist ihr Rückzugsort. Sie hat viele Bücher, Filme und Pflanzen. Eine dünne weiße Stoffbahn hängt locker über ihrem Bett, über dem eine Lichterkette angebracht ist, die am Abend eine angenehme Atmosphäre in den Raum strahlt. Alles ist in hellen und fröhlichen Farben gehalten. Ja, das ist die River, die nicht jeder zu Gesicht bekommt. Die River, die vollkommen glücklich ist, wenn sie Blumen im Wald pflückt.

Da sie sich nicht in ihrem Zimmer befindet und ich ihre Stimme aus dem Badezimmer wahrnehme, setze ich meinen Weg fort. Langsam öffne ich die Tür und was ich dort sehe ist so verdammt amüsant und sexy zugleich. Sie trägt ihr graues Schlafshirt. Die Haare sind noch nass und hängen ihren Rücken hinab. Gelegentlich tropft Wasser von den dunklen Spitzen auf die Fliesen. In dem Mund steckt eine Zahnbürste, die sie ab und zu hin und her bewegt, während ihr eines Bein voll mit weißem Schaum im Waschbecken hängt und sie mit der anderen Hand wild mit einem Resierer in der Luft umher wedelt, wenn sie in ihr Handy auf der Ablage über dem Waschbecken spricht. Ja, ich finde diesen Anblick äußerst anziehend, auch wenn ich nicht so recht erklären kann warum.
“Warte mal kurz, Milena“, spricht sie in ihr Telefon als sie mich bemerkt hat und nimmt ihre Zahnbürste aus dem Mund. “Weißt du, wenn du deine Faust hebst und sie gegen die Tür schlägst, ertönt ein Geräusch, dass dich ankündigt. Was wenn ich nichts angehabt hätte?“ In ihren blauen Augen kann ich Zorn erkennen, doch das macht sie nur noch unwiderstehlicher.
Mit einem breiten Grinsen und verschränkten Armen lehne ich mich an den Türrahmen und antworte dann: “Ich habe dich bereits nackt gesehen. Schon vergessen? Am See?“
Ihre Haare hatten das meiste ihres Körpers bedeckt, dennoch konnte ich hier und da ihre blasse Haut hervorblitzen sehen.
In ihren Augen glimmt erneut Wut auf, doch die zarte Röte ihrer Wangen verrät sie.
“Okay, ich lass euch dann mal alleine. Wir sehen uns nachher“, unterbricht Rivers Freundin am Telefon unser Gespräch. Sie scheint es genauso amüsant zu finden, wie ich, denn ich kann ein leises Lachen vernehmen.
“Was? Milena. Nein, warte!“, versucht River ihre Freundin aufzuhalten, doch sie hat schon aufgelegt. River scheint das alles gar nicht zu passen, also schnappt sie sich ihre Zahnpastatube und wirft damit nach mir. Doch ich kann sie auffangen und schüttel lächelnd den Kopf, bevor ich mich aus der Tür entferne und auf den Wannenrand setze.
“Müsstest du dich nicht auch fertig machen?“, fragt sie und schaut kurz in den Spiegel zu mir hoch, während sie sich wieder ihrem Bein widmet.
“Es sind noch drei Stunden bis zur Zeremonie. Ich ziehe mir nachher einfach ein frisches Hemd über“, bemerke ich und zucke mit den Schultern.
“Du könntest wenigstens vorher duschen“, antwortet sie trotzig und spült die Überreste des Schaums von ihrem Bein, bevor sie ihre Haut mit einem Handtuch trocken tupft und sich wieder ihre Zahnbürste in den Mund steckt.
“Alles was du willst, Liebling“, bringe ich unter einem breiten Grinsen hervor und stehe wieder auf, um mir mein schwarzes T-Shirt über den Kopf zu ziehen. Als ihre Augen groß werden, weil sie zu ahnen scheint, was ich vor habe, dreht sie sich erschrocken zu mir um.
“Was hast du vor?“
“Duschen, wie du gesagt hast“, antworte ich grinsend und ziehe mir auch die restlichen Klamotten von den Beinen. Schnell schaut sie wieder in den Spiegel, doch auch da liegt ihr Blick auf mir.
“Du machst mich verrückt“, murmelt sie, bevor ich das Wasser anstelle und schnell unter die Dusche springe. Gut zu wissen, dass ich nicht der einzige bin dem es so geht. Aber mir gefällt diese unschuldige Seite an ihr. Etwas, dass ich bisher noch nicht von ihr gesehen habe, versteckt unter der toughen Oberfläche.
Diese leichte Röte auf ihren Wangen.
Der entsetzte Gesichtsausdruck.
Einfach herrlich und so unfassbar verlockend.
Während ich dusche kann ich ihre Blicke auf mir spüren, doch wenn ich zu ihr schaue, ist sie damit beschäftigt ihre Beine einzucremen oder die nassen Haare sanft mit einem Handtuch trocken zu kneten. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie keinen Blick riskiert. Ihre Augen liegen auf mir, das kann sie nicht leugnen.
Die ganze Situation scheint so alltäglich, dass es mein Herz stärker gegen meinen Brustkorb schlagen lässt. Ich kann es kaum erwarten, dass es jeden Tag so ablaufen wird. Wir zwei, ganz unbeschwert und gemeinsam leben.
“River, kannst du mir ein Handtuch geben?“, frage ich sie, stelle das Wasser ab und recke meinen Kopf, auf dem sich immer noch ein breites Grinsen befindet, aus der Dusche hinaus. Sie versucht meinen Blick zu meiden, bückt sich und reicht mir aus dem Schrank unter dem Waschbecken ein frisches Handtuch.
“Danke, Liebling“, entgegne ich und nehme ihr das Handtuch aus den Händen.
Liebling.
Kein origineller Name.
Aber es scheint sie zu stören, also werde ich sie weiterhin so nennen.
“River, hast du mein-“, plötzlich platzt Mara in das Badezimmer und lässt ihre Augen zuerst von ihrer Schwester zu mir und dann wieder zurück wandern. Ihr überraschter Gesichtsausdruck verwandelt sich plötzlich zu einem wissenden Schmunzeln bevor sie sagt: “Sorry Leute“ und rückwärts wieder aus dem Bad verschwindet.
“Na super!“, beschwert sich River, bedenkt mich mit einem ernsten Blick und widmet sich dann wieder ihren Haaren. Diese verführerischen langen Haare. Wie es wohl wäre mit meinen Händen durch diese Wellen zu fahren?

MoonshadowWhere stories live. Discover now