34 | Nikan

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Wir befinden uns in unserem kleinen Konferenzraum und nur weil Olivia, Ian und Mato patrouillieren, haben wir ausreichend Stühle, damit alle sich setzen können.
Ein frischer salziger Geruch hat sich in dem Raum ausgebreitet. Unsere Gäste sehen nicht nur nach Sommer aus, sie riechen auch danach. Es ist schon eine Weile her, seit ich zuletzt das Meer gesehen habe. Als einsamer Wolf bin ich viel rumgekommen. Ob River schon einmal am Meer war? Vielleicht kann ich mit ihr einen kleine Reise machen, wenn all das hier vorbei ist.
„Wir möchten zuerst den Jungen sehen", verlangt Isabella, die sich mir gegenüber an den langen Tisch platziert hat.
„Sicher", bestätige ich ihr und stoße einen scharfen Pfiff aus, der Dean und Luke im Wohnzimmer nebenan signalisieren soll, dass sie Atlas zu uns rüber bringen können. Wir haben damit gerechnet, dass sie sich von Atlas' Unversehrtheit selbst überzeugen möchten und dementsprechend vorausgeplant.
In der Tür erscheint zuerst Luke, der den drei neuen Anwesend zur Begrüßung kurz zunickt, dann Atlas und zum Schluss Dean, der ebenfalls kurz mit dem Kopf nickt.
„Isabella Matlock, richtig?" Luke scheint die Alpha zu kennen. Nicht überraschend, wenn man bedenkt, wie weit Silvers Beziehungen reichen.
Die beiden Brüder haben sich an der Wand rechts von mir aufgestellt, in ihrer Mitte Atlas.
„Luke und Dean Redbone, richtig?", imitiert sie seine Begrüßung, doch ihre Mundwinkel zucken leicht bis sie sich zu einem Lächeln verziehen.
„Ich sehe ihr kennt euch." Ich würde gerne wissen woher. Henry würde keine Verbündeten von Silver als seine Vermittler zu Rate ziehen.
„Kennen wäre zu viel gesagt. Aber man hat schon voneinander gehört", bestätigt die blonde Frau. Dass sie von dem Redbone Rudel gehört hat, überrascht niemanden. Aber, dass sie auch umgekehrt bereits Bekanntschaft geschlossen haben, ist doch etwas ungewöhnlich. Nach meinem letzten Wissensstand gab es kein Matlock Rudel unter den großen Rudeln dieses Kontinentes. Auch die anderen aus unserem Rudel haben bei dem Namen keine Anzeichen gezeigt, dass ihnen der Name bekannt ist. Allerdings sollte man Silvers Netzwerke nicht unterschätzen. Sie pflegt auch Kontakte außerhalb ihrer Allianzen.
„Dann hätten wir das geklärt. Ihr wolltet Atlas sehen. Hier ist er."
Unter dem Tisch spüre ich Rivers Hand, die sich auf meinen Oberschenkel legt. Sie scheint zu merken, dass ich angespannt bin. Wir alle sind bis aufs äußerste aufmerksam. Denn obwohl wir so nett miteinander plaudern mögen, befinden sich fremde Wandler in einer politischen Angelegenheit auf unserem Gebiet und da sind schon allein unsere Sinne auf jede kleine Bewegung, jedes leise Geräusch und hormonell bedingten Geruch fixiert. Alles was uns in dieser Lage Information über unseren Feind geben kann.
„Ja, das sehe ich. Er sieht in Ordnung aus. Geht es dir denn den Umständen entsprechend gut?" Isabella konzentriert sich vollkommen auf den blonden Jungen, während ihre Gefährten, die links und rechts neben ihr Platz genommen haben, den Rest von uns im Blick behalten.
Atlas' Blick wandert zwischen Clayton und mir hin und her. Vermutlich, weil er von uns bisher die meisten Anweisungen erhalten hat. Oder er überlegt was wohl passiert, wenn er ihnen sagt, wie schrecklich es ihm hier geht, dass er nach Hause möchte und Henry ihn hier rausholen soll.
Clayton nickt ihm zu, ermutigt ihm zu sprechen.
Egal, ob er lügt und seine Chance ergreift oder schlicht die Wahrheit sagt, es wird ihm nichts passieren. Ich könnte es sogar nachvollziehen, wenn er ihnen irgendwelche Sachen erzählt. Wer würde das nicht? Geisel in einem fremden Rudel. Umgeben von fremden Wandlern.
Bevor er das Wort ergreift, seufzt er und richtet dann den Blick auf Isabella. „Es geht mit gut. Ich kann mich fast jeden Tag verwandeln und durch den Wald laufen. Sie lassen mich mit ihnen gemeinsam am Tisch essen. Es ist wirklich alles in Ordnung."
Der schwarzhaarige Gefährte mit olivfarbener Haut, Taro, richtet seinen Blick auf mich. Abschätzend wandern seine dunklen Augen über meine Gestalt. Vermutlich hat er nicht erwartet, dass wir einen Gefangenen so gut behandeln oder er fragt sich, ob der Junge gelogen hat, weil wir es von ihm verlangt haben.
„Na, das ist doch mal was. Ich bin mir sicher Henry wird sich freuen das zu hören. Dann können wir ja jetzt zur Sache kommen." Sie klatscht in die Hände und rutscht auf ihrem Stuhl nach vorne, um sich mit den Unterarmen auf dem Tisch abzustützen. „Henry meinte etwas von einem Vertrag. Er hat uns mitgeteilt, dass er offen dafür wäre, aber erst eure Bedingungen anhören möchte. Dann wird er seine Forderungen stellen und es wird gemeinsame Verhandlungen geben, bis alle zufrieden mit dem Inhalt dieses Vertrages sind."
„Wir haben Henry unsere Bedingungen bereits mitgeteilt", merkt Clayton an und verdreht genervt die Augen. Ich kann seine Reaktion verstehen. Dieses ständige hin und her ist lästig. Dennoch lasse ich mir nichts anmerken.
Isabella lässt sich von Claytons Geste ebenfalls nicht beirren und fährt fort. „Dann würden wir uns freuen, wenn ihr uns eure Punkte noch einmal mitteilt, damit alle auf dem gleichen Stand sind."
Da wir auch mit so etwas gerechnet haben, haben wir unsere Liste mitgebracht, die Antonio nun auf den Tisch legt und Isabella, Taro und Declan noch einmal vorträgt. Aufmerksam hören sie zu und wenn sie etwas genauer wissen möchten, hakt Isabella nach.

Das Gespräch dauert nicht lange. Vielleicht eine halbe Stunde und dann befinden wir uns schon wieder außerhalb des Hauses und begleiten unseren Besuch zu ihrem Auto.
„Wir werden mit Henry sprechen und ein Treffen vereinbaren. Ich hoffe, dass ihr morgen wieder von uns hört. Gibt es hier so etwas wie ein neutrales Gebiet, wo ein solches Treffen stattfinden kann?", fragt Isabella.
„Neutral nicht unbedingt. Aber es gibt im Norden unseres Territoriums einen Fluss, der auf der Grenze verläuft. Wir könnten uns dort treffen. Henry wird wissen welche Stelle ich meine", erkläre ich und denke im gleichen Augenblick, diesen Vorschlag zurückzuziehen. Aber River hat gute Fortschritte gemacht und die Stelle, die ich beschrieben habe, ist ungefähr eine Meile von dem Ort entfernt, an dem sie attackiert wurde.
„Okay, dann werde ich das Henry vorschlagen", versichert sie mir. „War schön euch kennenzulernen. Wir werden selbst herausfinden." Dann wendet sie sich von uns ab und geht zu ihren Gefährten, die bereits an dem dunkelblauen SUV auf sie warten und ihr die Tür aufhalten.

Wir sehen dem Auto hinterher, wie es zwischen den Bäumen verschwindet und, dass sich Len uns Jesper auf dem Weg machen sich zu verwandeln. Auch wenn sie gesagt haben, dass sie selbst hinausfinden, werden wir keine fremden Wandler auf unserem Gebiet frei herumlaufen lassen. Len und Jesper werden in ausreichendem Abstand dem Wagen folgen, bis er die Grenze passiert.
„Das lief doch ganz okay." River an meiner Seite schaut mit einem hoffnungsvollen Lächeln zu mir hoch.
„Ja, nur müssen wir jetzt wieder auf eine Antwort warten. Ich bin das ganze Warten langsam leid. Ein Kampf wäre zumindest schnell vorbei." Auch wenn ich alles einem Kampf vorziehe, würde ich lügen, wenn ich behaupten würde, dass mir dieser Gedanke nicht schon das ein oder andere Mal gekommen wäre.
„Politische Prozesse brauchen immer ihre Zeit", merkt sie an und schlingt ihren Arm um meine Mitte.
„Das stimmt. Und weißt du was gut an der ganzen Zeit ist, die wir jetzt zur Verfügung haben?" Ich grinse zu ihr herunter und drücke sie fest an mich. Ihre blauen Augen neugierig auf mich gerichtet.
„Nein. Was denn?"
„Wir können sie für viel schönere Sachen nutzen." Ich wackle mit den Augenbrauen, um ihr zu verdeutlichen, was ich mit schöneren Sachen meine, doch sie zieht nur die Nase kraus und ich muss lachen. „Komm mit."
„Wohin?"
„Lass dich überraschen", antworte ich und ziehe sie ander Hand mit mir in den Wald.


MoonshadowWhere stories live. Discover now