1 | River

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Seit zwei Jahren lebe ich nun im Redbone Rudel und noch nie hat sich ein Ort so sehr wie Zuhause angefühlt. Eigentlich habe ich alles meiner Schwester Mara zu verdanken. Wäre sie nicht gewesen, würde ich immer noch in meinem alten Rudel feststecken. Dort gab es interne Konflikte und viele Probleme. Die Jungen, also meine Generation, hat sich Veränderungen gewünscht. Aber die Alten, zu denen auch meine Eltern gehören, wollten von ihren Traditionen nicht los kommen. Traditionen, die Unterdrückung und Gewalt für angemessen halten.
Zum Glück hat Mara ihren Gefährten gefunden. Sitka ist ein Teil des Redbone Rudels unter der Führung von Silver, dem Alpha. Ich hatte schon viel von ihr gehört. Ihr Rudel ist eins der einflussreichsten Rudel des Nordens. Meiner Schwester war die Entscheidung demnach nicht schwer gefallen mit ihrem Gefährten zu gehen. Aber sie wollte mich nicht zurück lassen und ich wollte ebenfalls nicht bei meiner Familie bleiben. Also habe ich sie begleitet und bin nun hier. Meine Entscheidung habe ich keinen Tag bereut. Das Redbone Rudel hat mir erst richtig gezeigt, was es bedeutet eine Familie zu sein. Auch wenn wir nicht das gleiche Blut teilen, werde ich von jedem geschätzt. Ich habe hier Aufgaben und werde mit Vertrauen begegnet. Für mich ist das alles neu, denn ich stamme aus einem Rudel im Süden und die sind dafür bekannt eine rückschrittliche und engstirnige Führung zu besitzen.
Heute denke ich nur noch selten an meine Zeit dort zurück. Manchmal vermisse ich meine Mutter, ich war fast siebzehn als ich sie zuletzt vor über zwei Jahren gesehen habe. Auf Anrufe, Nachrichten und Briefe reagieren meine Eltern auch nicht. Anfänglich habe ich versucht den Kontakt zu halten, doch als ich beschlossen hatte Mara zu begleiten, hatten meine Eltern mir bereits deutlich gemacht, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Ich hätte nie gedacht, dass sie das wirklich durchziehen. Denn egal welche Ansichten oder Traditionen sie vertreten, egal wie schlecht sie uns manchmal behandelt haben oder weggesehen haben als es andere getan haben, sie sind immer noch meine Eltern. Sie sind der Grund warum ich mich oft zerrissen fühle und meine Vergangenheit doch nicht so einfach hinter mir lassen kann.
Silver ist allerdings immer für mich da, wenn ich einen mütterlichen Rat brauche. Für alles andere habe ich Mara. Seit wir hier wohnen ist unser Verhältnis noch enger geworden. Wir wissen, dass es ziemlich unwahrscheinlich ist, jemals wieder mit einem aus unserem alten Rudel in Kontakt zu treten, also haben wir nur noch uns. Wir beide haben die gleichen Dinge gesehen und erlebt. Dinge von denen man kleinen Kindern Horror Geschichten erzählt, um sie vor den Rudeln im Süden zu warnen.
Vor einiger Zeit hat mich der Gedanke sehr niedergeschlagen nie wieder meine Familie und Freunde zu sehen, aber man hat mich mit einer Aufgabe vertraut gemacht, die mir oft Ablenkung verschafft hat. Jetzt mache ich sie gerne und nicht nur der Ablenkung wegen. Ich bin quasi der Babysitter der kleinen Welpen. Immer wenn ihre Eltern beschäftigt sind und keine Zeit haben, passe ich auf die jüngsten im Rudel auf, die noch nicht zur Schule gehen. Zur Zeit gibt es nicht viele davon, also bin ich auch mit dabei alles für die bevorstehende Gefährtenzeremonie vorzubereiten. Ich bin im Dekorationsteam und dafür zuständig, dass das Festzelt und der Pavillon traditionell geschmückt werden.

"Komm mit Daisy“, sage ich zu dem kleinen Wolf und sehe zu, wie sie sich über die Wiese rollt und vor meinen Füßen zum stehen kommt, um mir dann auf ihren vier Pfoten zu folgen. Ich muss sie bei ihrer Mutter im Gemeinschaftsgebäude abliefern, damit ich meine Schicht im Restaurant antreten kann. Sam, Silvers Gefährte, ist der Leiter des Retaurants, das dem Rudel als eine unserer Einnahmequellen dient. Wir können viele Dinge selbst produzieren, anpflanzen, reparieren oder tauschen, doch nicht alles lässt sich mit unseren eigenen Händen herstellen. Manchmal brauchen wir Geld, um eben jenes dieser Dinge anzuschaffen. Abgesehen davon braucht jeder Einzelne selbst Geld zur freien Verfügung, um zum Beispiel in der Stadt ins Kino zu gehen oder für das Collage zu sparen.

Ahyoka finde ich im Büro des Alphas, das in den vergangenen Tagen zu einer kleinen Schneiderei umfunktioniert wurde und als ich vorsichtig die Tür öffne, hastet Daisy auch schon hindurch und läuft über die am Boden liegenden Stoffe. Ahyoka reagiert schnell und schnappt sich ihre Tochter, damit sie nicht noch mehr durcheinander bringen kann.
"Du kleiner Wirbelwind", flüstert sie Daisy in die Ohren und krault ihren Nacken bis sie auch schon eingeschlafen ist.
"Kannst du Sam sagen, dass er heute nicht so lange machen soll? Ich bekomme meinen Mann kaum noch zu Gesicht", bittet mich Silver und schaut mich flehend aus ihren grünen Augen an.
Ich versichere ihr, dass ich meinem Chef die Nachricht überbringen werde und mache mich dann auch schon auf den Weg nach Hause. Dort muss ich die Autoschlüssel von Sitka abholen, bevor ich in die Stadt fahren kann.

MoonshadowWhere stories live. Discover now