3 | River

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Heute stehen die Lichter auf dem Plan. Dafür konnte ich Dean überreden, uns beim Aufhängen der Ketten zu helfen. Seit gestern, als er von seiner Wanderung zurück gekehrt ist, hämmert er wie ein Irrer auf den Pavillon ein. Er hat Milena gesagt, wer er ist, wer wir sind, und welche gemeinsame Verbindung die beiden teilen. Das ist wohl nicht so toll gelaufen. Aber mit der Zeit wird sich das schon legen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es ein riesen Schock für einen Menschen sein muss, wenn man sich vor seinen Augen in ein Raubtier verwandelt.

Während Dean und Dakota damit beschäftigt sind auf den Leitern zu stehen und eine Lichterkette nach der anderen an dem Dach des Zeltes zu befestigen, sind meine Freundinnen und ich damit beschäftigt Girlanden zu flechten.
Olivia, eine junge schlanke Frau mit moosgrünen Augen und aktuell lila gefärbten Haaren, hat dunkelblaue und weiße Seidentücher zwischen ihren Fingern, die sie abwechselnd übereinander legt. Neben ihr sitzt Freja, ein Mädchen in meinem Alter mit braunen Augen und blonden welligen Haaren. In ihren Händen befinden sich dunkelgrüne und gelbe Seidentücher, die sie zu einem elendig langen Zopf knotet.
Zwischen meinen Fingern gleiten ebenfalls Tücher, allerdings in den Farben gelb und weiß. Es wird wohl den ganzen Tag dauern, bis wir ausreichend Stoffbahnen zusammen haben, um sie ebenfalls an der Decke zu befestigen und in den kommenden Tagen müssen wir das gleiche noch mit frischen Blumen machen. Aber die Mühe wird sich lohnen. Ich kann es mir schon jetzt vorstellen, wie in ein paar Tagen alle feiern und überall von der Decke Lichter, Tücher und Blumen hängen.
Egal wie schlecht meine Meinung von der Gefährtenverbindung sein mag, so ein Fest gefällt mir schon. Aber bei einer Sache bin ich mir sicher, ich möchte keine riesen Veranstaltung, wie diese es sein wird. Einfach ein paar Freunde in einem kleinen Haus mit gutem Essen und schöner Musik. Unter so vielen Leuten fühle ich mich schnell unwohl, besonders wenn mir so viele davon fremd sind.

"Vorhin habe ich gehört, dass schon die ersten Gäste angereist sind. Dabei soll auch Nikan sein", berichtet Freja und trägt ein verschwörerisches Grinsen auf ihren geschwungenen Lippen.
"Er ist nur so früh angereist, weil er Silver um Hilfe bitten möchte", bemerkt Olivia und pustet sich ihren herauswachsenden Pony von der Stirn.
Ja, über Nikan habe ich schon so einiges gehört. Das verlorene Graublut, dass verzweifelt versucht seine Macht unter Beweis zu stellen. Es wird sich viel erzählt, aber auf Tratsch gebe ich nichts. Das sind politische Dinge, die mit Rudelführung zu tun haben und da halte ich mich raus.
"Er sieht sehr gut aus oder was meint ihr?", möchte Freja wissen, während sie einen Knoten in das Ende ihrer Girlande bindet und sich dann entspannt zurück lehnt.
"Das muss man schon sagen, von schlechten Eltern ist der Kerl definitiv nicht. Ist nur schade, dass er seine Gene nicht weitergeben kann", antwortet Olivia und beendet auch ihr Geflecht mit einem Knoten
"Was ist mit dir?" Fragend schauen mich Frejas braune Augen an, die mich das ein oder andere Mal an das Holz der Mahagoni Bäume erinnert. Besonders wenn das morgendliche Licht ihr Gesicht umspielt und ihre Augen diesen rötlichen Schimmer des Brauns hindurchlassen. Es ist ein kostbarer Augenblick diese Farbe zu Gesicht zu bekommen und ist nur wenigen vergönnt. Ich selbst habe diese besonderen Nuancen nur ein paar Mal erblicken können und diese Momente waren so kurz, dass sie auch hätten Einbildung sein können. Aber diese Farbe vergisst man nicht.
So einzigartig. So selten.
"Was soll mit mir sein? Ich habe diesen Nikan noch nie gesehen, also kann ich das schlecht beurteilen. Was soll das überhaupt heißen, dass er seine Gene nicht weitergeben kann?", entgegne ich und schaue verwirrt meine zwei Freundinnen vor mir an.
"Na, er hat seine Gefährtin noch nicht gefunden. Das ist auch der Grund, warum er ständig bei Silver aufkreuzt, um nach Unterstützung zu fragen. Die Zukunft seines Rudels ist nicht gesichert, weil keiner seiner Männer im Stande ist eine Familie zu gründen. Die sind alle dazu verdammt als einsame Wölfe zu sterben", klärt mich Freja auf und ich kann nicht anders, als überrascht die Augenbrauen zu heben. Das ist schrecklich und kaum vorstellbar. Ich dachte es geht um Macht und territoriale Ansprüche. Doch im Grunde geht es um Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit. Etwas, dass ich zu gut nachempfinden kann. Ähnlich erging es Mara und mir in den letzten Monaten bei unserer Familie.
"Du glaubst doch nicht wirklich, dass er sowas wie verflucht ist? Vielleicht solltest du aufhören, so viel Fernsehen zu gucken", antwortet Olivia und lacht über die Worte der blonden jungen Frau.
"Hast du eine bessere Erklärung?", fragt sie trotzig und schaut Oliva abwartend an.
"Irgendeine wird es schon geben. Es hat sicherlich seinen Grund, warum keiner von ihnen seinen Gefährten findet", antwortet sie schulterzuckend.
"Okay, was haltet ihr davon, wenn wir eine Pause machen?", werfe ich ein, als auch ich meinen letzten Knoten beende.
"Ich bin dabei!", antwortet stattdessen Dakota und steigt schon von seiner Leiter herab. Dean folgt ihm und gemeinsam mit Olivia und Freja verlassen wir das riesige weiße Festzelt.

Heute ist ein schöner Tag. Am Morgen hat es geregnet, doch jetzt steht die Sonne hoch am Himmel und trocknet den feuchten Boden. Der Duft von Regen liegt noch immer in der Luft und die Wärme der Sonne kitzelt die Oberfläche meiner Haut.
Ja, es ist ein schöner Tag.
Lauer Wind streift durch den Wald zwischen den Bäumen hindurch und lässt die Grashalme hin und her wiegen. Der Frühling breitet sich in jeder Pore des Waldbodens aus und beglückt die Lebewesen mit seiner Anwesenheit.

Als ein lauter Knall ertönt, heben wir gleichzeitig unsere Köpfe und sehen einen wütenden Mann aus dem Gemeinschaftsgebäude stapfen. Mich durchzuckt ein unbekanntes Gefühl von Wärme und ich bin unfähig mich zu bewegen. Plötzlich schlägt mein Herz schneller und mir wird ganz heiß. Ein merkwürdiges Kribbeln klettert meine Wirbelsäule hinauf und es stellen sich meine Nackenhaare auf. Meine Umgebung scheint zu verschwimmen und kurz kommt mir der Gedanke, dass ich gerade einen Herzinfarkt erleide. So habe ich mich noch nie gefühlt. Irgendetwas stimmt nicht! Werde ich krank? Habe ich plötzlich einen Virus? Bin ich zu schnell vom Stuhl aufgestanden? Habe ich überhaupt ausreichend getrunken? Wann war der letzte Vollmond? Bekomme ich vielleicht das Mondfieber? Oh, alles aber nicht das Mondfieber! Ich habe gruslige Geschichten über diese Krankheit gehört und wie man sie behandelt.
Als der Unbekannte ebenfalls stehen bleibt und sein Blick meinen einfängt, durchzuckt es mich erneut und eine Welle des Verlangens macht sich breit.
Verlangen?
Ja, Verlangen.
Oh, nein!
Das darf nicht wahr sein.
Nicht jetzt und nicht hier!
Bitte, bitte, bitte. Alles! Nur das nicht. Bitte lass es das Mondfieber sein!
"Wenn man vom Teufel spricht", flüstert Freja, doch ich bekomme ihre Worte nur gedämpft mit. Als wäre mein Kopf unter Wasser. Ebenso fühlt sich alles verschwommen an. Aber sie hat schon Recht.
Wenn man vom Teufel spricht! Ich weiß genau, wer da vor mir steht und meine Seele vervollständigen soll.
Nikan.
Diese Erkenntnis raubt mir den Atem und Panik steigt in mir auf. Meine Hände fangen an zu schwitzen und die Luft, die ich einatmen, scheint meine Lungen nicht zu erreichen. Ist es eigentlich heißer geworden? Bin ich wirklich nicht unter Wasser? Obwohl sich mein ganzer Körper nach ihm zu sehnen scheint, ja fast schon innerlich vor Sehnsucht zerreißt, entscheide ich mich dafür, diesem Bedürfnis nicht nachzugehen. Ich muss hier weg. Ganz automatisch tragen mich meine Füße fort von diesem Ort und obwohl ich in seine Arme rennen möchte, renne ich in die entgegengesetzte Richtung. Weg von dem beklemmenden Gefühl an der Luft zu ertrinken.
"River!", ruft mir Olivia hinterher, doch ich ignoriere sie. Ich muss hier einfach weg. Ein qualvoller Schmerz breitet sich in meiner Brust aus und ich kann seine Blicke auf meinem Rücken spüren, doch ich kann das nicht. Nicht hier.
Wenn er wirklich der eine für mich ist und das ist er, daran gibt es keinen Zweifel, dann bedeutet das, dass ich hier weg muss. Ich muss meine Schwester verlassen, meine Freunde und meine neue Familie. Er ist ein Alpha und hat sein eigenes Rudel, er wird nicht einfach so hier bei mir bleiben. Das kann und werde ich auch nicht von ihm verlangen. Aber ich will mein Zuhause nicht verlassen, nicht schon wieder.
Warum passiert das ausgerechnet jetzt?
Warum er?
Ich bezweifle, dass ich das bin, was er braucht. Er sucht jemanden, mit dem er einen Familie gründen kann, aber ich bin erst neunzehn.
Ich will das noch nicht.
Oh Götter, meine Gedanken überschlagen sich und dann noch dieses schmerzhafte Gefühl innerlich zu zerreißen. Meine Lungenflügel pumpen die eingeatmete Luft und pressen sie wieder heraus, doch es fühlt sich so schwer an, als würden sie sich mit Wasser füllen. Wann hat sich atmen jemals so schrecklich angefühlt?
War ich nicht eben noch vollkommen glücklich?
Ist das meine Strafe?
War ich vielleicht zu glücklich?
Ist mir nur ein gewisses Maß an Glück vergönnt und das ist nach zwei Jahren in diesem Rudel aufgebraucht?
Ich weiß, dass ich mich nicht lange dagegen wehren kann. Mein Körper verzehrt sich bereits nach ihm und dieses wunderschöne Gesicht hat sich in meine Netzhaut gebrannt. Vor meinem inneren Geist taucht da immer wieder er auf. Mein Wolf möchte zu ihm, aber ich renne weiter durch den Wald und lasse Meter für Meter mein unerwünschtes Glück hinter mir.


 Mein Wolf möchte zu ihm, aber ich renne weiter durch den Wald und lasse Meter für Meter mein unerwünschtes Glück hinter mir

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MoonshadowWhere stories live. Discover now