12 | Nikan

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Ich habe beschlossen River mehr Freiraum zu geben. Der Abschied von ihrer Familie vor ein paar Stunden, ist ihr schwerer gefallen, als ich gedacht hätte. Sie muss sich nun langsam an ihr neues Zuhause gewöhnen und die anderen aus dem Rudel kennen lernen. Es wird seine Zeit brauchen, doch wenn ich River jetzt zu sehr unter Druck setze, werde ich nur das Gegenteil erreichen. Also egal wie schwer es mir fallen wird, werde ich ihr vorschlagen, dass wir es langsam angehen und es erst einmal als Freunde probieren. Wenn alles gut geht, dann vertraut sie mir und wir können gemeinsam über den nächsten Schritt reden.

Es ist bereits dunkel geworden und vor einer halben Stunde haben wir das letzte Haus der Menschen passiert. Jetzt folgen nur noch Felder und Bäume, bis wir Zuhause sind.
Vor zehn Minuten haben wir die Grenzen unseres Reviers erreicht und in circa zwanzig Minuten sollten wir an unserer kleinen Lichtung ankommen. Viel zeigen kann ich River noch nicht, das müssen wir auf morgen verschieben.
Ian und Olivia auf der Rüchbank haben sich die ganze Zeit unterhalten. Ab und zu wurde es tatsächlich unausstehlich, wie glücklich die beiden sind. Ich freue mich für sie, doch bin auch neidisch, denn die zwei zeigen mir, wie es sein könnte. Wie glücklich und verliebt River und ich miteinander umgehen könnten. Aber erzwingen kann ich es schließlich nicht und wenn ich eins kann, dann ist es Geduld haben.
River hat nicht viel gesagt. Sie hat zuerst stumm aus dem Fenster gesehen und dann ein paar Worte mit Olivia gewechselt. Aber ich hatte die Idee ihr mein Handy zu geben, um Musik auszuwählen. So konnte ich zumindest ihren Musikgeschmack erfahren. Es ist eine Mischung aus Indie-Rock und klassischer Musik. Da dies aber nicht den Geschmack des Paares auf den hinteren Sitzplätzen entspricht, haben sie nach einer Weile das Musikprogramm bestimmt.
Immerhin hat sie mich danach nicht mehr ignoriert. Ihre blauen Augen lagen gelegentlich auf mir, doch wenn ich ihre Blicke erwidern wollte, hat sie ihren schnell abgewandt.
Dennoch gebe ich die Hoffnung nicht auf. Gestern, bei der Zeremonie ist sie einen großen Schritt auf mich zugegangen und hat mir erzählt, was sie davon abhält, die Verbindung zu akzeptieren. Sie hat Angst vor dem Unbekannt. Angst, dass sich ihre Vergangenheit wiederholt. Auch wenn ich nicht genau weiß was vorgefallen ist. Allein schon die Geschichten der Rudel aus dem Süden zu hören. Der Gedanke, was alles mit River passiert sein könnte macht mich wütende. Mato, ein Mitglied unseres Rudels stammt ebenfalls aus dem Süden dieses Landes und bei ihm hat dies auch äußerliche Spuren hinterlassen. Sein Rücken ist übersät von tiefen Narben, die nur erahnen lassen, was er alles durchgemacht hat. Auch ihm fällt es schwer über seine Vergangenheit zu reden. Vielleicht wird es River gut tun, jemandem im Rudel zu haben, der weiß, was sie erlebt hat, jetzt wo sie nicht mehr bei ihrer Schwester ist.

Auch Rivers Angst vor dem neuen Rudel ist unbegründet. Alle werden sich freuen, sie kennen zu lernen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie man River nicht mögen könnte. Die Jungs werden begeistert von ihr sein.
Vielleicht ist es auch das, dass ihr Angst macht?
Wir sind alles Männer. Das habe ich noch gar nicht bedacht. Aber wenn sie die übrigen sechs kennen lernt, wird sie schnell feststellen, dass es keinen Grund gibt sich Sorgen zu machen. Vor Ian hat sie schließlich auch keine Panik. Mit seinen zwei Metern ist er der größte von uns. Allgemein wirkt sein Äußeres ziemlich abschreckend, doch wer ihn kennt, weiß, dass er ein liebevoller Mann und loyaler Freund ist.

Zwischen den Bäumen kann ich bereits die ersten Lichter flackern sehen und es dauert keine Minute mehr, bis wir vor dem großen Haus ankommen. Wie ich es vermisst habe hier zu sein. Nirgendwo ist es schöner als Zuhause.
"Das ist es also", meldet sich River zu Wort und schaut aus dem Fenster. Leider kann ich dadurch ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen und auch ihre Stimme verrät mir nicht, was sie momentan denken könnte. Gefällt ihr der erste Eindruck? Hat sie mit etwas anderem gerechnet, ja vielleicht sogar etwas besseres erwartet?
"Ja, das ist es", antworte ich deshalb einfach, stelle den Motor aus und gehe auf die andere Seite des Jeeps, um ihr die Tür zu öffnen.
"Danke", antwortet sie und schenkt mir sogar ein kleines Lächeln.
Ian und Olivia haben in der Zwischenzeit schon die ersten Koffer auf die Veranda gestellt, denn im Gegensatz zu River ist Olivia mit mehr Gepäck angereist. Ich hatte nichts erwartet, doch mit mehr als einem Koffer und einen Karton voller Bücher hätte ich schon gerechnet. Vielleicht werde ich ihr anbieten, gemeinsam die nächsten Tage in die Stadt zu fahren, um ein paar Dinge zu besorgen.
River und ich haben uns Olivia und Ian angeschlossen, beim Ausräumen des Kofferraums zu helfen. Zu viert ist dies auch schnell erledigt und wir können nun ins Haus gehen.

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