4 | Nikan

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Ich kann nicht glauben, sie gefunden zu haben und das ausgerechnet hier. Zwar habe ich sie nur kurz zu Gesicht bekommen, aber dieser Augenblick hat gereicht, um zu wissen, wer sie ist und dass sie von dem heutigen Tag an der wichtigste Mensch in meinem Leben sein wird. Nicht nur, weil sie die Hoffnung des gesamten Rudels ist sondern auch wegen meiner Gefühle. Nie im Leben hätte ich mir vorgestellt, dass es sich so warm anfühlt. So warm, wie ein gemächliches Feuer, dass im Kamin brennt, doch nun brennt es unter meiner Haut. Zwischen meinem Wolf und meiner menschlichen Gestalt hat sich ein Feuer gelegt, dass nur danach verlangt zu brennen wie die Flammen der heiligen Sonnenmutter.
Ich bin gesegnet in allerlei Hinsicht. Sie selbst scheint ein himmlisches Wesen zu sein. Es gibt keinen Grund, wie man diese Schönheit sonst erklären könnte. Schwarze lange Haare, die ihr bis zur Hüfte reichen. Blaue Augen, die wie der Himmel selbst strahlen. Ein liebliches Gesicht, dass einem Engel gleicht und nicht zu vergessen ihre zarte sinnliche Figur. Ich wäre am liebsten zu ihr gerannt und hätte sie in meine Arme geschlossen, aber ich war so geschockt von der Tatsache sie gefunden zu haben, dass ich mich nicht von der Stelle rühren konnte. Auch nicht als sie dann davon gelaufen ist. Es hat mir einen Stich versetzt, dass sie nicht auf mich zu gegangen ist, obwohl sie offensichtlich genau mitbekommen hat, wer ich bin. So überrascht wie sie ausgesehen hat, habe ich keinen Zweifel daran. Warum ist sie davon gerannt? Weiß sie wer ich bin? Ist sie enttäuscht von der Auswahl des Schicksals?

Doch ich konnte ihr nicht hinterher, um den Nebel in meinem Kopf zu klären. Ich darf nicht vergessen, dass meine Loyalität nicht nur ihr sondern auch meinem Rudel gegenüber gilt und da ist noch Ian, der am Auto wartet.
“Alles klar?“, fragt der große Mann und legt besorgt seine Stirn in Falten.
Ich bin noch nicht bereit dazu, ihm von meiner Begegnung eben zu erzählen, also speise ich ihn mit etwas anderem ab.
“Silver macht dicht“, antworte ich knapp und öffne den Kofferraum, um unsere Taschen heraus zu holen. Das Gespräch mit dem Alpha des Redbone Rudels lief wie immer wenig erfolgreich. Ich habe sie erneut gebeten uns zu unterstützen, doch sie schickt uns keine Männer mit, weil das bedeuten würde, dass sie sich mit Henry anlegen müsste und sie will keinen Krieg zwischen zwei mächtigen Rudeln riskieren.
Ein bisschen kann ich sie verstehen, aber eben nur ein bisschen. Silver hat so viel Einfluss, dass Henry vor ihr kuschen würde, wenn er mitbekommt, dass sie uns unterstützt, aber ihr ist das Risiko zu hoch. Selbst wenn es zu einer Auseinandersetzung kommen würde, würde Silver haushoch gewinnen. Henry mag zwar mehr Macht als ich besitzen, doch keiner im ganzen weiten Norden ist so mächtig wie Silver. Nicht einmal die Rudel in Alaska könnten es mit ihr und ihren Allianzen aufnehmen. Dass ich zu dieser Allianz gehöre, scheint ihr nichts zu bedeuten. Ich würde ohne zu zögern Seite an Seite mit ihr kämpfen. Allein schon ihrer Söhne, Luke und Dean, zu liebe.
Wir waren einmal gute Freunde, das habe ich nicht vergessen und nur weil die Umstände es aktuell nicht anders wollen, würde ich sie nicht im Stich lassen, wenn sie meine Hilfe brauchen. Aber es ist eben umgekehrt und ich kann nichts daran ändern. Doch nun scheint Hoffnung in Sicht.
“Wir sind noch ein paar Tage hier. Vielleicht ergibt sich was“, bemerkt Ian und nimmt mir seine Tasche ab.
“Sie hat mir angeboten, dass wir bei ihr unterkommen können, wenn wir niedergeschlagen werden“, bringe ich schnaufend hervor und schüttel den Kopf. Für heute kann ich Silver nicht mehr umstimmen, aber so leicht wird sie mich nicht los. Jetzt müssen Ian und ich erstmal in unsere Unterkunft und dann kann ich mich um meine Gefährtin kümmern. Irgendwo hier muss sie sein. Es war zu kurz, um ihre Witterung vollständig aufnehmen zu können und jedes mal wenn ich denke, dass sie es ist, stellt sich heraus, dass es eine ältere Spur ist.

Als ich meine Faust hebe, um an der dunklen braunen Tür zu klopfen, die in das Haus führt in das wir für die kommenden Tage untergebracht sind, durchfährt mich ein seltsames Kribbeln und als sich die Tür öffnet weiß ich warum. Atemberaubende blaue Augen funkeln mir entgegen und ich habe das Bedürfnis sie an mich zu ziehen und nie wieder los zu lassen, bevor sie wieder abhauen kann.
“Wir sind eure Gäste für die nächsten Tage“, meldet sich Ian zu Wort und erklärt unser Erscheinen.
“Kommt doch rein“, antwortet sie in einer lieblichen Stimme, die mir die Nackenhaare vor Erregung aufstellt, doch auch dieser Ton kann ihre Unsicherheit nicht überspielen. Immer wieder wandert ihr Blick hin und her, erhascht kurz meine Gestalt und sucht sich dann einen anderen Punk.
Ich allerdings kann meinen Blick nicht von ihr reißen und ihr scheint es ähnlich zu gehen, auch wenn ich den inneren Kampf in ihr spüre. Immer und immer wieder versucht sie mir in die Augen zu schauen, doch länger als eine Sekunde kann sie die Verbindung nicht halten. Warum wehrt sie sich so dagegen?
Als es ihr doch gelingt, tritt sie beiseite und macht uns Platz, damit wir eintreten können. Das Schicksal meint es einmal in meinem Leben gut mit mir. Ich danke den Göttern des Waldes und des Mondes, dass sie mich endlich zu ihr geführt haben und ich dann auch noch bei ihr unterkomme. So spare ich mir das Umherschleichen. Obwohl der Gedanke sie zu suchen und zu fangen auch einen gewissen Reiz hat. Leicht muss ich Schmunzeln. Vielleicht steht sie auf Spiele. Bei Gelegenheit sollte ich das herausfinden.
“Meine Schwester Mara und ihr Gefährte Sitka wohnen auch hier. Sie sind gerade nicht zu Hause, also kann ich sie euch nicht vorstellen. Ich zeige euch besser mal euer Zimmer und kann euch dann etwas zu essen machen. Ihr müsst bestimmt hungrig sein nach der langen Fahrt“, erklärt sie und deutet uns mit einer Handbewegung ihr zu folgen.
“Vielleicht wäre es gut, wenn du uns erstmal deinen Namen verrätst“, bemerke ich und schaue die junge Frau vor mir an. Sie scheint nervös zu sein. Mache ich sie nervös?
“Richtig. Ich bin River und ihr?“, fragt sie, doch schaut dabei auf den Boden anstatt in unsere Gesichter. Sie versucht tatsächlich das Offensichtliche zu ignorieren. Ihr Gefährte steht vor ihr und sie verspürt nicht den Drang alles über ihn in Erfahrung zu bringen? Mir geht es nämlich so. Ich möchte alles wissen. Was sie glücklich macht, was sie traurig macht und ja auch was ihre verdammte Lieblingsfarbe ist. Einfach alles möchte ich wissen. Aber sie? Sie nicht. Hat sie bereits Dinge über mich gehört? Verhält sie sich deshalb so? Das müssen aber schreckliche Dinge gewesen sein, die sie zu Ohren bekommen hat.
River.
Der Name passt perfekt zu ihr.
Besonders ihre Haare, die in sanften Wellen ihren Körper umschließen. Eingehüllt, wie das Wasser in einem Fluss.
“Ian“, stellt sich dieser knapp vor und reicht ihr seine Hand, die sie kurz schüttelt und ihn ebenso kurz zu lächelt. Gerade so kann ich mir noch ein Knurren unterdrücken, weil sie mich anlächeln soll und nicht ihn. Dabei stelle ich fest, wie dumm das doch ist. Ich muss aufpassen mich nicht vollkommen lächerlich zu machen.
Und wenn ich eins kann, dann ist es einen kühlen Kopf zu bewahren. Auch wenn es mir in diesem Fall schwer fallen wird.
“Ich bin Nikan“, stelle ich mich ebenfalls vor und reiche ihr meine Hand, die sie nur zögerlich entgegen nimmt und als sie sich mir wieder entziehen möchte, halte ich sie fest und streichle für einen kurzen Augenblick mit meinem Daumen ihren Handrücken, um die elektrisierende Spannung zwischen uns auszukosten. Wie die letzten Klänge einer wunderschönen Melodie, die nie zu Ende gespielt werden soll.
Nun schaut sie mich doch an und ist gefangen unter meinen Blicken. Egal wie oft sie versuchen wird mir zu entkommen, ich werde sie jagen und fangen, bis sie einsieht, dass sie sich ihren Gefühlen nicht widersetzen kann. Ich werde ihr zeigen, wer ich wirklich bin und dass das, was sie über mich gehört haben muss, um so abweisend zu reagieren, nichts weiter als Gerüchte sind.
“Ich zeige euch dann euer Zimmer“, bringt sie schwach hervor und sie muss schwer schlucken, als ich ihre Hand wieder frei gebe, damit sie ihrem Vorhaben nachkommen kann. Schließlich können wir nicht ewig im Flur stehen. Auch wenn ich nichts dagegen einzuwenden hätte.

Es ist ein kleines Blockhaus und nur eine schmale Treppe führt in das obere Stockwerk. Ziemlich praktisch, wenn man bedenkt, dass ich ihr dicht folge und so einen perfekten Blick auf ihren Hintern habe, der sich so wunderbar an ihre helle Jeans anschmiegt.
Kurz dreht sie sich zu mir um, hat wahrscheinlich meine Blicke gespürt, doch sagt nichts weiter dazu und ich unternehme auch nichts, um sie vom Gegenteil zu überzeugen. Sie soll wissen, dass ich sie begehre. Doch weil es mir nicht nur um ihren Körper geht, wende ich meinen Blick ab.
“Das ist es“, sagt sie und deutet auf ein kleines Zimmer, in dem sich nur ein Doppelbett und ein Kleiderschrank befindet. Ian und ich sind beide große Männer, da wird wohl einer von uns auf dem Boden schlafen müssen. Wenn alles gut läuft kann ich vielleicht auch bei River übernachten.
“Und wo ist dein Zimmer“, frage ich breit grinsend, natürlich nicht ohne Hintergedanken.
“Gleich gegenüber“, antwortet sie knapp, deutet auf die Tür gegenüber, verengt ihre Augen zu schmalen Schlitzen und schaut mich so an, als wüsste sie genau, was in meinem Kopf vor sich geht und verschwindet dann schnell wieder nach unten.
“Das ist sie also“, bemerkt Ian und schaut mich mit einem breiten Grinsen an, ohne dass ich überhaupt erwähnt habe, was in den vergangenen Minuten passiert ist.
“Ja, das ist sie“, berichte ich stolz und werfe noch einen kurzen Blick auf River, die eilig die schmale Treppe hinunter steigt und verschwinde dann in dem kleinen Zimmer.

Nachdem ich mit Clayton telefoniert habe, um mir bestätigen zu lassen, dass zu Hause alles gut läuft, bin ich wieder nach unten gegangen, um River auf den Zahn zu fühlen. Ich muss herauszufinden, warum sie sich so sehr gegen mich sträubt. Da Ian ein bisschen die Gegend erkundet, bin ich nun allein mit ihr und kann sie ungestört in ein Gespräch verwickeln.
Ich entdecke sie in der Küche, wo sie etwas zubereitet, das fantastisch riecht.
Für eine Weile bleibe ich im Türrahmen stehen und lasse den Blick auf mich wirken. Ja, sie scheint ein paar Jahre jünger als ich zu sein, aber das tut nichts an der Tatsache, dass ich mir gut vorstellen kann mit ihr eine Familie zu gründen. Wir werden wunderschöne Kinder haben, besonders wenn sie nach ihrer Mutter kommen. Bei dem Gedanken kribbelt es mir in den Fingern. Doch bevor ich nur an Annäherungsversuche denken kann, muss ich den Grund für ihre Ablehnung herausfinden.
“Warum weist du mich zurück?“, frage ich direkt, doch sie kocht weiterhin beschäftigt.
“Hier, du musst Hunger haben“, antwortet sie stattdessen und stellt mir einen Teller auf den Tisch. Sie kümmert sich um mich. Das ist zumindest ein Zeichen dafür, dass sie der Verbindung doch nicht ganz entkommen kann. Sie wehrt sich vielleicht dagegen, aber dass sie mich umsorgen möchte, bedeutet auch, dass sie mir nicht ganz widerstehen kann. Also setze ich mich an den Tisch und verspeise ihr zubereitetes Gericht. Ein blutiges Steak. Sowas kommt die Woche schon zwei drei Mal auf den Teller, doch das hier schmeckt einfach nur fantastisch. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass sie meine Gefährtin ist oder ob sie wirklich fantastisch kochen kann, aber ich glaube ich kann nie mehr von jemand anderen bekocht werden. Jesper wird nicht erfreut sein das zu hören. Denn wenn wir unsere Beute nicht bei der Jagd erlegen, ist er dafür zuständig unser Rudel mit seinen köstlichen Speisen zu bereichern.
Während ich so esse, beobachte ich sie ausgiebig. Sie versucht meinen Blicken auszuweichen, doch es gelingt ihr nicht. Der Wolf in ihr sucht meinen und dagegen kann auch sie sich nicht wehren.
Als ich aufgegessen habe, stehe ich auf und stelle den Teller in die Spüle, dabei komme ich ihr so nah, dass sie scharf die Luft einzieht. Ich bleibe vor ihr stehen und schaue zu ihr runter, während ihr Blick starr auf meine Brust gerichtet bliebt.
Sie ist fast einen Kopf kleiner als ich, also stämme ich meine Hände links und rechts neben ihr auf die Arbeitsplatte und beuge mich so weit zu ihr, dass wir auf Augenhöhe sind.
“Du weißt, dass du mir nicht entkommen kannst“, sage ich dicht vor ihrem Gesicht und kann zum ersten Mal ihren Duft voll und ganz in mich aufnehmen.
Ich kann den Wald an ihr riechen.
Eine Note von Holz und frischem Morgentau. Einfach herrlich.
“Ich weiß und das ist das Problem“, antwortet sie harsch und schaut mir so plötzlich entgegen, dass mir erneut die Luft wegbleibt bei dem Anblick ihrer kühlen blauen Augen, die das Feuer unter meiner Haut zu Eis gefrieren lassen. Sie haben etwas magisches an sich. River sieht nicht nur aus wie ein Wandler, sondern auch wie eine kleine Waldfee. So wunderschön und faszinierend zugleich.
Als ich mich ihr noch ein Stückchen nähere, schlüpft sie flink unter meinen Armen hindurch und verschwindet erneut. Sie rennt aus dem Haus, lässt mich zurück und ich lasse sie ziehen. Vorerst.

MoonshadowWhere stories live. Discover now