10 | Nikan

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Etwas scheint sich geändert zu haben. Ich weiß nicht, was es ist, aber River ist anders.
Ihre Blicke sind anders.
Während der Zeremonie bin ich meiner Lieblingsbeschäftigung nachgegangen, sie einfach nur anzusehen. Doch dieses Mal hat sie mich nicht mit genervten Blicken attackiert oder ist nervös auf ihrem Stuhl hin und her gerutscht. Nein, sie war ganz ruhig und hat meinen Blick erwidert. Sogar gelächelt hat sie.
Von der Zeremonie habe ich daher nicht viel mitbekommen. Außer, dass es für meinen Geschmack viel zu viel war.
Zu viel Blumen.
Zu viel Drumherum.
Einfach zu viel von allem.
Ich bin ein simpler Mann und möchte eine schlichte Zeremonie. Wenn sich River allerdings etwas anderes wünschen würde, dann wäre ich bereit Kompromisse einzugehen.
Meine volle Aufmerksamkeit galt jedoch River und diesen bezaubernden nackten Beinen. Ihr Outfit ist wirklich praktisch. Der kurze Rock entblößt ihre schönen Beine und die transparente Bluse lässt Spielraum für eine Menge Fantasien. Nur ein aus dünnem Samt gefertigter BH, wenn ich das richtig erkannt habe, bedeckt ihre Brüste. Oh, und was würde ich dafür geben ihr diese Klamotten heute Nacht auszuziehen. Doch leider sind wir noch nicht so weit. Hinzu kommt, dass ich nicht der Einzige bin, der diesen himmlischen Anblick genießen kann. Jeder andere hier auf der Siedlung kann diesen einmaligen Körper bewundern. Allerdings möchte ich ihr das nicht sagen, da es mir womöglich keine Pluspunkte bringen wird.
Zumindest kann ich sicher sein, dass sie, wenn sie zu mir, ihrem Gefährten, so abweisend ist, es auch zu jedem anderen sein wird.

Auch wenn sich etwas an ihrem Blick geändert hat, hat sich ihr Verhalten in keinster Weise verändert. Sie ignoriert mich immer noch. Seit wir ihr Haus verlassen haben, hat sie kein Wort mehr mit mir gewechselt. Auf der Feier versucht sie außerdem alles, um nicht in meiner Nähe zu sein und es macht mich verrückt. Aber ich weiß genau, was sie ebenso verrückt macht. Wenn ich sie beobachte und anstarre. Ich habe herausgefunden, wenn ich es für einen gewissen Zeitraum mache und dabei bestimmte Gedanken habe, sie drauf reagiert und früher oder später auf mich zukommt, um mir eine Standpauke zu halten, dass ich das Band zwischen uns nicht auf diese Weise benutzen kann. Aber ich denke, dass ich genau das tun kann. Schließlich wäre es nicht möglich, wenn es gegen die Spielregeln verstoßen würde.
Außerdem ist sie zu analysieren nicht das schlechteste der Welt. Ich kann tatsächlich Stunden damit verbringen, sie einfach nur anzuschauen. Seit einer Weile tanzt sie schon mit ihren Freundinnen und ich gönne es ihr. Für eine Weile wird sie die nämlich nicht mehr sehen. Bis auf Olivia, die morgen mit uns kommen wird. Aber sie und Ian haben sich schon vor einer Weile von mir verabschiedet. Ein bisschen neidisch bin ich auf die beiden schon. Es könnte alles so einfach sein, aber vielleicht ist das mein Leben. Da war nie etwas einfach. Ebenso wie in ihrem.

Im Augenblick tanzt sie mit Milena, Deans Gefährtin. Offenbar haben nun beide Redbone Brüder ihr Glück gefunden und es verschafft mir eine gewisse Genugtuung, dass ich da mithalten kann.
Rivers Hüften bewegen sich im Takt hin und her, während ihre dunklen Haare diese sinnlichen Kurven umschmeicheln, als hätten sie ihren eigenen Verstand und würden gemeinsam mit River tanzen. Vielleicht habe ich noch Glück und sie schenkt mir auch einen Tanz. Aber dann müsste sie mich berühren und das ist etwas, dass sie streng vermeidet, obwohl mein Wolf und ich uns so sehr danach sehnen.

Als sie von Milena am Handgelenk gepackt und mitgezogen wird, beobachte ich sie genau. Der Schein der Lichterketten erhellt ihr Gesicht und ich bekomme Rivers gerötete Wangen zu sehen und ein leichter Schweißfilm ist auf ihrer Haut zu erkennen. Also dieser Anblick treibt mir definitiv Gedanken in den Verstand, die hartnäckig wie Klauen mein Gehirn umklammern und Nerven in Regionen anregen, die nicht an so einem öffentlichen Ort angeregt werden sollten. Ohne es wirklich zu wollen, reagiere ich und meine Muskeln versteifen sich, während mein Blick düsterer wird. Lange halte ich das Spiel nicht mehr durch.
Die beiden Frauen kommen bei Dean an, doch leider kann ich aufgrund der lauten Musik und den vielen durcheinander sprechenden Stimmen nicht so richtig verstehen, was die drei zu bereden haben. Ich versuche mich zu konzentrieren, doch es gelingt einfach nicht. Als Deans Blick ab und zu zwischen mir und River hin und her gleitet, kann ich mir jedoch denken, worum sich dieses Gespräch dreht. Also stehe ich auf und begegne auch schon Rivers blauen Augen, die mich durchdringend anschauen. Sie löst sich von den anderen Beiden und kommt auf mich zu. Endlich. Ich muss lächeln, weil sie es nun nicht mehr schafft mich weiter zu ignorieren.
"Wir müssen reden", platzt es aus ihr heraus und in ihren Augen liegt ein undefinierbarer Blick. Jedes Mal, wenn ich ihre Stimme höre, fühlt es sich wie sanfte Berührungen an, die über meine Haut tanzen. Es ist unsere Verbindung, die dafür sorgt, dass wir aufeinander reagieren. Wir sind zwei Teile, die zu einem verschmelzen, wenn wir es zulassen.
"Ja, das müssen wir", entgegne ich mit einem Nicken und einem milden Lächeln und führe sie zurück an den Tisch, wo ich ihr erst einmal ein Glas Wasser reiche. Sie hat seit Stunden getanzt und in der Zeit nichts getrunken. Es wundert mich, dass sie so lange durchgehalten hat.
Dankend nimmt sie mir das Glas aus den Händen und kippt eilig ein paar Schlucke hinunter. Ja, sie hat definitiv Durst.
Ich lasse mich auf dem Stuhl nieder, auf dem ich zuvor schon gesessen habe und deute ihr dann an, mir gegenüber Platz zu nehmen.
Als sie sitzt und die Beine übereinander schlägt, muss ich mir über die Lippen lecken und meine feuchten Hände über die Hose streifen. River macht mich nicht direkt nervös, aber sie macht definitiv etwas mit mir.
"Also schieß los", verlange ich und schaue sie abwartend an, als ich mich mit meinen Ellenbogen auf meinen Oberschenkeln abstütze und mich ihr so näher entgegen beuge.
"Ich werde euch morgen begleiten", informiert sie mich immer noch mit diesem undefinierbaren Blick in ihren unbeschreiblich blauen Augen.
"Nichts, dass ich nicht bereits wusste. Aber schön zu hören." Das Lächeln auf meinen Lippen kann ich nun nicht mehr verbergen.
Sie verdreht die Augen, was sie immer macht, wenn ich etwas selbstsicheres sage, doch redet dann weiter: "Ich möchte mich auf das einlassen. Das zwischen uns. Es ist neu und macht mir Angst. Das musst du wissen und ich finde es nur fair, wenn ich dir erkläre, was mir Angst macht." Bevor sie mir erzählen kann, was sie bedrückt, streift sie sich ihre Haare über die Schultern und tastet nach ihrem rasenden Puls. Ich erkenne, was sie braucht und schütte ihr noch einmal Wasser in das Glas. Nachdem sie auch das geleert hat, wirft sie mir einen ungewohnt liebevollen Blick zu und beginnt zu erzählen: "Ich war noch nie verliebt. Die Gefühle, die ich für meine Schwester und meine Freunde empfinde sind die gleichen, die ich für dich empfinde. Aber bei dir ist es so viel intensiver. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Dass ich gerne allein bin habe ich dir schon gesagt, doch es ist nicht nur das. Meine Gedanken und Gefühle habe ich gerne für mich. Aber seit du da bist habe ich das Gefühl nicht mehr ich selbst zu sein. Ich brauche meinen Rückzugsort, aber den gibt es nicht mehr, seit ich dich kenne. Überall bist du und es macht mir Angst, weil es sich schön anfühlt, wenn du in meiner Nähe bist, ich aber gleichzeitig nicht weiß, wie ich damit umgehen soll. Alles an dir zieht mich an, obwohl ich dich nicht kenne. Da ist nur eine kleine Stimme in meinem Kopf, die mir sagt, dass ich alles für dich tun würde und diese Gefühle machen mir verdammt Angst."
Sie sieht mich ernst und aufrichtig an. Ihre Stimme zittert leicht und am liebsten würde ich ihr einiges erklären, doch ich erkenne, dass sie noch nicht fertig ist. Also ziehe ich sie an ihrem Stuhl näher zu mir, sodass sich unsere Beine berühren und ich nehme ihre Hand in meine, damit ich sie beruhigend streicheln kann. "Dass ich deine Gefährtin bin, bedeutet einige Erwartungen zu erfüllen. Dir ist es wichtig eine Familie zu gründen, damit die Zukunft des Rudels gefestigt wird. Aber ich bin acht Jahre jünger als du und noch nicht bereit dafür. Ab morgen werde ich in einem Haus leben, das mir fremd ist. Die Leute, die dort leben sind mir ebenfalls fremd und sie werden auch einige Erwartungen an mich haben. Du hast Probleme mit einem anderen Rudel und das bedeutet auch für mich, dass ich Probleme mit einem anderen Rudel habe, obwohl ich mich damit überhaupt nicht auskenne. Ich habe keine Ahnung von den politischen Dingen, die ein Alpha zu erfüllen hat. In meiner Vergangenheit war nie etwas leicht. Mara und ich sind mit Angst aufgewachsen. Dann sind wir hier gelandet, in Sicherheit und jetzt werde ich diese Sicherheit wieder aufgeben für etwas, dass mir ebenfalls Angst macht. Nikan, ich möchte mich auf uns einlassen und ich will dich kennen lernen, aber diese Ungewissheit macht mir Angst."
Rivers Blick ist gefangen unter meinem. Ich möchte sie nicht los lassen und streichel daher weiter ihren Handrücken. Diese weiche blasse Haut ist einfach bezaubernd. Doch jetzt ist keine Zeit dafür. Sie hat sich mir anvertraut und ist zum ersten Mal tatsächlich einen Schritt auf mich zugegangen. Die Erleichterung, diese Worte endlich los zu sein, sieht man ihr an. Ein gewisser Teil der Anspannung, die ständig zwischen uns herrschte, scheint nun verflogen zu sein. Es macht mich einerseits glücklich zu hören, dass sie all das für mich empfindet und sich endlich unserer Verbindung hingeben möchte. Doch es erfüllt mich andererseits auch mit Sorge, wegen all der anderen Dinge, die sie aufgezählt hat. Besonders, was ihre Vergangenheit betrifft. Da muss ich unbedingt herausfinden, was genau dahinter steckt. Aber fürs Erste muss ich ihr diese Angst nehmen.
"River", beginne ich und ziehe auch noch ihre andere Hand in meine, damit ich sie nun ganz fest halten kann. "Ich bin froh, dass du mich endlich kennen lernen willst. Es gibt viele Dinge, die ich dir erzählen möchte. Über mich, mein Rudel und mein Leben davor. Ich schätze das wird einfach die Zeit ergeben. Du hast Angst, weil ab morgen das Unbekannte auf dich wartet. Aber sieh es als kleines Abenteuer an. Du kannst sein, wer auch immer du sein willst. Auf dich wartet ein neues Leben und ich bin mir sicher, dass sich meine Jungs auf dich freuen werden. Es wird nämlich Zeit, dass eine Frau ins Haus kommt." Bei diesem Satz muss ich schmunzeln. Doch damit sie mich nicht falsch versteht, ergänze ich schnell: "Und nicht irgendeine Frau, sondern du, River. Jemand, der ihnen nicht alles durchgehen lässt.
Denn so viel weiß ich bereits.
Du lässt dir nicht alles gefallen.
Sie werden dich mögen, davor brauchst du keine Angst haben. Aber keiner wird dich so sehr mögen, wie ich." Ich führe ihre Hände an meine Lippen und küsse beide sanft. Diese Zuneigung ist, was wir beide nun brauchen. So lange waren wir auf Abstand, doch nun scheint sich alles zu ändern. "Olivia kommt mit uns, das heißt du wirst nicht alleine sein und hast jemanden mit dem du immer reden kannst. Auch wenn ich hoffe, dass du zuerst zu mir kommst. Du kannst mir alles erzählen. Alles, was dich bedrückt. So wie jetzt. An deinen Bedenken, was die Erwartungen angeht, bin denke ich schuld. Es stimmt, ich möchte dich in alle Entscheidungen einbeziehen, was die Rudelführung anbelangt. Doch du brauchst keine Angst davor haben. Bei uns hat jeder eine gleichwertige Stimme. Wenn du eine Meinung hast, dann sag, was du davon hältst. Niemand wird dich verurteilen, weil du vielleicht etwas anders über ein Thema denkst. Wir sind uns nie alle einig. Selbst wir beide werden uns nie in allem einig sein. Aber das ist okay."
Ihre Augen hängen an mir. Ich versuche jede kleine Reaktion ihrerseits wahrzunehmen und bin erleichtert, dass sie von meinen Worten nicht abgeschreckt wird, sondern eher zustimmender gesinnt ist.
"Okay, es stimmt, dass es mein Ziel ist, eine Familie zu gründen. Aber ich bin mir deines Alters sehr bewusst und wenn du sagst, dass du auf dem Gebiet keine Erfahrung hast, dann werde ich nichts tun, wozu du nicht bereit bist. Ich hatte kaum noch Hoffnung für die Zukunft unseres Rudels, aber dann bist du aufgetaucht und hast aus Dunkelheit Licht gemacht. Ich weiß nicht, warum wir nie Glück hatten, doch mit deinem Erscheinen, hast du uns Hoffnung gegeben. Ian hat Olivia kennengelernt und ich bin mir sicher, dass nicht nur wir vier unser Glück gefunden haben. Die Pechsträhne ist durchbrochen und die anderen werden bestimmt auch bald folgen. Außerdem hängt es nicht nur von uns ab, dass wir Kinder bekommen. Ian und Olivia werden da deutlich schneller sein."
Bei dieser Bemerkung muss nun auch River lachen und ich kann die Freude in ihrem Gesicht erkennen.
"Ja, die beiden haben es etwas leichter, als wir zwei", stimmt sie mir zu. Wir beide grinsen uns einfach an und für einen Moment scheinen alle Leute um uns herum vergessen. Doch dann wird Rivers Blick wieder ernster und sie fragt: "Und was ist mit dem anderen Rudel?"
Bevor ich antworten kann, muss ich einmal schwer aufatmen. "Ich hoffe, dass sich das von selbst regelt und Henry genug Anstand besitzt uns in Ruhe zu lassen, wenn er sieht, dass wir Familien auf dem Revier gründen."
Tatsächlich bin ich mir da nicht sicher. Henry ist ein schwieriger Mann. Ich kann ihn nicht einschätzen. Ihm geht es um Macht und Einfluss. Keine Ahnung, ob er soweit gehen würde.
River schaut mich ernst an, da sie meine Bedenken mitbekommt, doch ich möchte unseren schönen Moment nicht zerstören. Wir können später darüber reden. Doch heute Nacht soll sie sich noch nicht damit auseinander setzen.
"Heißt das, ich kann jetzt von deinem unbequemen Sessel in dein Bett wandern?", frage ich mit einem breiten Grinsen und leuchtenden Augen, um die Stimmung wieder etwas zu heben.
"Das werden wir noch sehen", antwortet sie lächelnd und mit zusammengekniffen Augen.

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MoonshadowWhere stories live. Discover now