Kapitel 34

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Königreich Anchor, Hauptstadt Alystowe

»Ich werde die Anhörung leiten«, verkündete Thyron Virdin mit fester Stimme. Cyra gelang es kaum, ihren Schrecken zu verbergen. Die letzten Tage hatte sie ihren Vater kaum gesehen und nun kam er um ihr so etwas zu eröffnen? Sie hatte sich damit abfinden wollen, dass Hunter hingerichtet werden würde, aber es war ihr nicht gelungen. Und nun sollte auch noch ihr Vater das Urteil fällen, das ihm den Tod bringen würde?

»Was ist mit dem König?«

»König Locan geht es nicht gut genug, um die Verhandlung selbst zu führen.«

Verhandlung?, dachte Cyra empört. Sie hatten ihr Urteil doch längst alle gefällt. Und ihr Vater war wohl kaum unvoreingenommen, schließlich wusste sie genau, dass wegen der Sache vor zwei Jahren noch immer eine heiße Wut in ihm schwelte. Genau, wie in ihr selbst.

Und nun hatte er endlich jemanden, dem er die Schuld geben konnte, auch wenn Hunter an dem Vorfall gar nicht beteiligt gewesen war. Nicht einmal die Jäger waren es gewesen, wenn man Kierans Worten Glauben schenken konnte.

»Dann werde ich auch hingehen«, erwiderte Cyra und versuchte ihre Stimme ebenfalls fest klingen zu lassen.

Thyron seufzte, als hätte er das schon befürchtet. »Bist du sicher, dass du das möchtest? Das ist keine sehr schöne Angelegenheit.«

Cyra nickte bekräftigend. »Ich werde ihn nicht alleinlassen. Trotz allem, was passiert ist und trotz dessen, wer er ist, war er doch etwas wie ein Freund. Das schulde ich ihm, wenigstens das.«

»Na schön«, lenkte der Herzog von Faronville ein. »Aber wenn du wieder irgendetwas versuchen solltest, um ihn zu befreien, werde ich dich umgehend nach Faronville zurückschicken!«

Cyra nickte. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass er das schon viel früher von ihr fordern würde.
»Keine Sorge, das werde ich nicht. Ich weiß, wer er ist.« Wieso nur konnte sie dann nicht aufhören, sich schuldig zu fühlen?

Hunter hatte jegliches Zeitgefühl in der Finsternis seiner Zelle verloren.
Es konnten Tage oder Wochen sein, er vermochte es nicht zu sagen.

Er lehnte am kalten Mauerwerk, die Augen geschlossen und jegliche Hoffnung auf Rettung aufgegeben.

Als sie ihn verlegt hatten, hatten die Wachen angedeutet, dass jemand versuchen würde, ihn zu befreien.

Aber seitdem waren mindestens zwei Tage vergangen und nichts hatte sich gerührt. Bestimmt hatten sie von Kieran gesprochen, vielleicht auch von Cyra, wobei er bezweifelte, dass sie bei so etwas mitmachen würde. Ob die beiden überhaupt noch zusammen waren?

Er seufzte. Er würde in dieser Zelle verrotten. Sein Haar reichte ihm mittlerweile ein gutes Stück über die Schultern und hing ihm strähnig in die Stirn. Sein Hemd und seine Hosen waren staubig und die Luft in dem winzigen Raum muffig.

Die Wachen, die ihm das Essen brachten, beantworteten keine seiner Fragen und so hatte er keine Ahnung, wie lange es noch bis zu seiner Anhörung dauern würde.

Aber das spielte eigentlich auch keine Rolle, denn er würde auf jeden Fall als schuldig befunden werden und sein Kopf würde rollen. Die Anhörung war reine Formalität, die die edlen Leute benötigten, um sich nicht schuldig fühlen zu müssen. Um mit dem Gefühl ins Bett gehen zu können, nichts Falsches getan zu haben. Ein Schauspiel, nichts weiter. Und Hunter hatte die Hauptrolle.

Dummerweise hatte er es nicht ganz geschafft, seine Gefühle auch weiterhin hinter einer dicken Schicht aus Eis zu verbergen. Sie waren immer öfter hervorgekommen und hatten all seine bitteren Träume beherrscht.

Snow Hunter - gefährliches ErbeWhere stories live. Discover now