Kapitel 12

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Königreich Anchor, Wenvin

Nevan ging langsam den gepflasterten Weg entlang, der von festgetretenem Schnee bedeckt war.

Es hatte schon vor Tagen angefangen zu schneien und die Schneeflocken setzten sich in sein wirres, braunes Haar.

Gerade kam er aus der Stadt, in der er seine Einkäufe erledigt hatte. Sein Dorf lag etwas weiter entfernt und bot keinen Markt, weswegen er immer den nicht zu verachtenden Weg nach Arceloville auf sich nehmen musste.

Da sie kein Pferd besaßen, hatte er sich das Bündel mit den Einkäufen über die Schulter geworfen.

Er ging etwas schneller, sicherlich erwartete seine Mutter ihn schon.
Als er um eine Kurve bog, konnte er Wenvin bereits sehen. Die kleinen Hütten reihten sich dicht an dicht und die wenigen Ställe stachen deutlich hervor.

Der Weg, der in sein Dorf führte, lag verlassen vor ihm. Nicht eine Menschenseele war zu sehen. Auf einmal wurde Nevan von einer seltsamen Unruhe erfasst.

Normalerweise sah er immer ein paar Kinder auf der Straße spielen.
Der kleine Melvin war fast jeden Tag draußen anzutreffen. Er war ein aufgeweckter Junge von gerade mal fünf Jahren und Nevan mochte ihn gern, hatte er doch selbst keine Geschwister.

Er entdeckte aber auch niemanden von den Frauen und Männern, die gerne mal zu einer netten Unterhaltung stehen blieben und Neuigkeiten austauschten.

Wenvin lag merkwürdig still vor dem jungen Mann und mit einem Mal hatte er Angst, was das zu bedeuten hatte.

Mit nahezu zögerlichen Schritten begab sich Nevan in das ihm so vertraute Dorf, das seit zweiundzwanzig Jahren sein Zuhause war.

Die Kälte legte sich wie ein dicker Mantel auf seine Schultern und ein unbestimmtes Gefühl sagte ihm, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.

Aus der einzigen Schenke des Dorfes drang nicht ein einziger Ton, von der fröhlichen Atmosphäre, die hier noch vor seinem Aufbruch, vor etwa zwei Stunden, geherrscht hatte, war nichts mehr zu spüren.

Ohne weiter nach rechts oder links zu schauen, hastete er weiter, bis er sein eigenes Haus erreichte, das er zusammen mit seiner Mutter bewohnte.

Sein Vater war bereits vor einigen Jahren einer Krankheit zum Opfer gefallen.

Nevan stieß die klapprige Holztür auf und betrat den kleinen Raum dahinter. Das Feuer im Kamin war ausgegangen und es war kaum wärmer, als draußen.

Ansonsten wirkte zunächst alles normal und Nevan entspannte sich ein wenig. Vielleicht hatte er einfach zu viele der Gruselgeschichten gehört, die der Dorfälteste Nerlan so gerne erzählte. Die, von gespenstischen Gestalten, die in der Dunkelheit den nahen Gebirgspass überquerten und ihren Opfern das Leben aus den Köpern sogen.
Nevan schauderte bei dem Gedanken daran. Selbstverständlich waren das nur Geschichten. Solche Wesen existierten nicht.

Er straffte die Schultern und ging auf die kleine Küche zu, um seine Einkäufe zu verstauen.
Vermutlich hatte seine Mutter sich einfach nur ein wenig hingelegt um etwas auszuruhen.

Doch als Nevan die Küche betrat, wurde er eines Besseren belehrt.
Dort auf den fleckigen Dielen, lag eine kleine, zusammengekrümmte Gestalt. Das Bündel mit den Besorgnissen glitt Nevan aus den Händen und fiel mit einem dumpfen Laut zu Boden. Obst und Gemüse rollten über das Holz.

Er öffnete seinen Mund zu einem Schrei, doch kein einziger Ton kam daraus hervor.

Dort auf dem Boden, lag seine Mutter. Das dünne Haar grau, die Haut faltig und aschfahl. Und ihr Gesicht war zu einer Maske reinen Entsetzens erstarrt.

Snow Hunter - gefährliches ErbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt