Kapitel 24

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Die dunklen Lande

Nevan gelang es, die Hand auf seiner Schulter abzuschütteln. Er schluckte, einmal, zweimal, aber sein Mund fühlte sich so ausgedörrt an, als hätte er seit Tagen keine Flüssigkeit mehr zu sich genommen.

Sein Blick glitt über die schmalen Schultern und das kupferrote Haar seines Gegenübers, und er war sich sicher, dass dieser einen Scherz gemacht haben musste. Er hatte zahlreiche Geschichten über den dunklen Herrscher gehört, der vor 40 Jahren von König Aelros getötet worden war und dieser Mann, mit dem vertrauensvollen Lächeln, konnte unmöglich der blutrünstige König sein, der ausschließlich zu seinem Vergnügen tötete. Und außerdem ... »Der Herrscher der dunklen Lande ist tot!«

Er stierte in die dunklen, blauen Augen, die ihn milde betrachteten. Trotzig hob Nevan das Kinn. »Er wurde im Vereinigungskrieg vor vierzig Jahren eigenhändig von König Locans Vater getötet!«

In Kains Augen trat ein wütendes Funkeln. »Aelros war ein Narr!« Spöttisch hob er eine Augenbraue. »Erzählen sie euch das, ja? Das König Aelros den dunklen Herrscher getötet hat?«

»Willst du etwa etwas anderes behaupten?« Nevan bedachte Kain mit kritischem Blick. »Unter König Aelros Flagge hat sich Anchor vereinigt und unter seiner Flagge haben sie die dunklen Lande geschlagen!«

»Anchor hat sich unter einem Mann vereinigt, der gerne große Reden geschwungen hat«, entgegnete Kain heftig. »Sie haben gekämpft, weil sie Angst vor den Kreaturen hatten, die er mit seinen Geschichten heraufbeschworen hat! Und nun treten diese in Vergessenheit und Anchor bricht auseinander! Sieh dein Land und dessen König doch nur an! Ein alter, kranker Mann, der auf das Gerede eines Magiers hört, der sich für die falsche Seite entschieden hat. Ein schwacher König, der sein Vertrauen und seine Hoffnung in die falschen Leute setzt. Anchor wird auseinanderbrechen, sie werden sich gegenseitig abschlachten und ehe sie bemerken, wie dumm ihr Handeln gewesen ist, werden sie fallen.«

Nevan wich unwillkürlich einen Schritt zurück. »Du ... du willst sie vernichten?!«

Kain stieß ein höhnisches Lachen aus. »Glaub mir, es ist gar nicht nötig, dass ich viel dazu beitrage. Das schaffen die Lords auch ganz allein.«

Nevan schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht ... was willst du? Und warum bin ich hier? Ich verstehe das nicht!«

Kain legte ihm erneut die Hand auf die Schulter und die Unruhe in Nevan nahm deutlich ab. »Alles zu seiner Zeit.« Er schenkte ihm ein Lächeln; der Spott und Zorn war aus seinen Augen gewichen. »Jetzt werde ich dir erst einmal zeigen, was deine Rolle in diesem Spiel ist.«

Er dirigierte Nevan zurück nach drinnen und die Tür schloss sich hinter ihnen, wie von Geisterhand.

Er führte ihn aus dem Zimmer hinaus, mehrere geschwungene Treppen aus dunklem Gestein nach unten und öffnete schließlich eine schwere Doppelflügeltüre, hinter der sie ein großer, staubiger Innenhof erwartete.

Nevan blieb stehen. Auch hier war der Boden mit dunklem Stein gepflastert und in einiger Entfernung erblickte er ein großes Tor, zu dessen linker und rechter Seite sich eine hohe steinerne Mauer erstreckte, auf dessen Zinnen mehrere Menschen zu stehen schienen. Die Luft war trocken und Staub ließ seine Augen tränen.

Er drehte sich um und sah hoch zu dem Schloss, das sie gerade verlassen hatten. Es war ein gigantischer Anblick.

Obsidianschwarze Türme erhoben sich über ihnen und glänzten im Sonnenlicht, wie Pech. Es lag nirgendwo Schnee und die Temperaturen waren fast angenehm.

Kain nickte Nevan aufmunternd zu und sie begaben sich zu dem Tor. Als sie näherkamen, lief ihnen ein hochgewachsener Mann entgegen, der einige Jahre älter als sie sein musste. Seine Haut besaß einen dunklen Ton und die hellen, grünen Augen bildeten einen starken Kontrast. Er war in eine dunkle, lederne Rüstung gehüllt und an seiner Seite hatte er ein Schwert befestigt.

Snow Hunter - gefährliches ErbeWhere stories live. Discover now