Kapitel 52

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Königreich Anchor, Hauptstadt Alystowe

Der Ballsaal war riesig. Und die Menschenmenge, die sich darin angesammelt hatte, ebenfalls. Hunter wusste kaum, wohin er gehen sollte, um nicht gegen jemanden zu stoßen oder auf einen der riesigen Röcke aus Tüll zu treten.

Durch die hohen Fenster fiel das Licht der Abendsonne, an diesem Tag hatte es nicht geschneit und an den Seiten erhoben sich hohe Marmorsäulen bis an die kuppelartige Decke.

Hunter hatte sich eines der sauberen, schwarzen Hemden geliehen, die Eliphas zur Verfügung standen und trug außerdem frisch polierte kniehohe Stiefel und einen silbergrauen Umhang. Und da er jetzt offiziell der Anführer seiner Leibgarde – und das einzige Mitglied davon – war, durfte er auch ein Schwert an seiner Seite tragen.

Eliphas stand neben dem Thron, auf dem König Locan saß. Obwohl es so aussah, als würde der König bald einschlafen. Seine Haut war aschfahl und seine Lider halb geschlossen. Auf der anderen Seite des Königs stand Herzog Thyron mit seiner üblichen undurchdringlichen Maske.

Cyra hatte Hunter an diesem Tag noch überhaupt nicht zu Gesicht bekommen. Sie war nicht zum Frühstück erschienen und als er sich bei ihrem Vater nach ihr erkundigte, sagte dieser ihm, sie würde noch immer schlafen.

Aber nun war fast Abend, niemand verschlief einen ganzen Tag. Außerdem würde sie doch den Ball zu Eliphas Ehren nicht verpassen wollen. Er hatte eigentlich das Gefühl gehabt, sie würde sich darauf freuen.

Seufzend zwängte Hunter sich zwischen zwei ausladenden Reifröcken hindurch und steuerte auf das Podest zu, auf dem der Thron des Königs stand. Zwei Wachen hatten hinter ihm Posten bezogen und blickten sich aufmerksam im Saal um.

Hunter ging an Tischen mit Süßgebäck und Apfelwein vorbei und ignorierte den süßlichen Geruch, der ihm in die Nase stieg.
Als er zu Eliphas nach oben stieg, bedachte dieser ihn mit fragendem Blick. »Hast du Cyra heute schon gesehen?«

Hunter schüttelte den Kopf und ließ den Blick durch die tanzende Menge schweifen, zwischen des Musikern hindurch zur breiten Tür, aber von dem hellblonden Haarschopf fehlte jede Spur.

»Vielleicht muss sie sich erst noch ins eines dieser riesigen Kleider zwängen«, murmelte Hunter.

Eliphas grinste. Er trug ein goldbesticktes Wams, schwarze Hosen und einen dunkelblauen Umhang.

In diesem Moment trat ein kleiner Mann mit ergrauendem Haar vor den Thron des Königs und beugte das Knie.

»Lord Asmen«, sagte König Locan mäßig begeistert und der Mann erhob sich wieder. Seine Kleider wirkten ein wenig zerknittert und seine Haare könnten mal wieder einen Kamm gebrauchen.

Hunter selbst hatte die Künste des königlichen Barbiers in Anspruch nehmen dürfen und sein weißes Haar fiel ihm nun knapp bis auf die Schultern. Heute hatte er es aber ausnahmsweise ordentlich in seinem Nacken zusammengebunden.

Lord Asmen richtete seinen Blick auf Eliphas. »Ich wollte nur meine Freude über Eure Rückkehr zum Ausdruck bringen, mein Prinz«, sagte der Lord mit aalglatter Stimme. »Und Euch versichern, dass ich keiner dieser Verräter bin, die Euch nicht als König anerkennen wollen.«

Eliphas Körper war bei der Anrede stocksteif geworden. Er starrte auf den Lord hinab, schien nach Worten zu suchen und keine zu finden.
Hunter räusperte sich unauffällig.

»Ähm«, machte Eliphas. »Ich ... danke Euch, Lord Asmen.«

Lord Asmen nickte zufrieden, verbeugte sich noch einmal und verschmolz dann mit der Menge.

»Was war das denn, mein Prinz?«, fragte Hunter spöttisch.

Eliphas warf ihm einen vernichtenden Blick zu, während König Locan wieder ein Stück tiefer in den vergoldenden Thron zu sinken schien.

Snow Hunter - gefährliches ErbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt