Kapitel 4

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Königreich Anchor, Faronville

Cyra strich über das weiche Fell ihres Pferdes, während sie auf die anderen wartete.

Als sie an diesem Morgen erwacht war, war der schwarze Himmel blauem gewichen und das laute Dröhnen des Donners war verstummt. Fast, als hätten die Ereignisse der Nacht nie stattgefunden.
Und doch stand sie nun hier auf dem Hof und schnallte sich ihren Köcher mit den Pfeilen und den Bogen auf den Rücken.

Sie verspürte Freude bei dem Gedanken daran, Faronville zu verlassen.

Als sie in die dunklen Augen des Pferdes neben ihr blickte, musste sie grinsen. Nerissa war ganz und gar nicht begeistert gewesen, als sie am Morgen verkündet hatte, dass sie ihren Vater nach Alystowe begleiten würde. Sie hatte Cyras Wunsch nur mit Mühe akzeptieren können. Seit damals schien sie den ständigen Drang zu besitzen, auf Cyra zu achten und sie vor neuen Gefahren zu beschützen.

Nyla dagegen hatte Cyra nur versprechen müssen, vorsichtig zu sein. Die ruhige Art ihrer Mutter würde Cyra fehlen, vor allem, da sie nicht wusste, wie lange sie in der Hauptstadt bleiben würden.

In diesem Moment traten Telan Sa'rul und seine drei Begleiter zu ihr, jeder von ihnen führte ein Pferd. Sie trugen Hosen und Hemden aus Wolle und hatten sich wieder in die nachtschwarzen Umhänge gehüllt.
Cyra selbst hatte für die Reise enge Hosen, ein helles Hemd und kniehohe schwarze Stiefel gewählt und einen dicken, dunkelblauen Umhang um sich geschlungen.
Telan nickte Cyra freundlich zu und sie erwiderte den Gruß.

»Ganz schön kalt, was?«, meinte der Gesandte und zog seinen Umhang etwas enger um seine Schultern. Cyra nickte nur, sie hatte nicht wirklich Lust, am frühen Morgen mit ihm zu plaudern.

Endlich trat auch Herzog Thyron aus dem Haus, dicht gefolgt von Cyn und Larvin, zwei Wachen ihres Vaters. Cyn war etwa zwei Jahre älter als Cyra, hatte schwarzes, schulterlanges Haar, das sie zu einem strengen Zopf zurückgebunden hatte, eine hohe Stirn und ausgeprägte Wangenknochen. Cyra hatte schon öfter mit ihr zu tun gehabt und mochte sie ganz gern.

Larvin schätzte Cyra auf etwa fünfunddreißig. Er war bereits seit vier Jahren Mitglied der Wache, war groß, hatte breite Schultern und war eher ein schweigsamer Mann.
Sie nahmen die Pferde entgegen, die ein Junge für sie geholt hatte und Thyron gab das Zeichen zum Aufbruch.

Cyra schwang sich geschmeidig in den Sattel und folgte den anderen auf dem gepflasterten Weg, der sie aus Faronville hinausführen würde.
Sie blickte nicht zurück.

Königreich Anchor, Imarith

Mit einem Säckchen voll Gold verließ Hunter die kleine, heruntergekommene Schenke, in der er sich mit dem Gefolgsmann des Sal'almár getroffen hatte.

Die Entlohnung konnte sich sehen lassen und hatte den Aufwand, den er betrieben hatte, um an Tálar Kesh heranzukommen zumindest zum größten Teil gerechtfertigt.

Hunter musste grinsen, als er an den verängstigten Mann im »eisigen Drachen« zurückdachte. Gut, dass er ihn noch vor dem seltsamen Gewitter erwischt hatte.

Als der Himmel über ihm schwarz geworden war, hatte selbst Hunter kurz etwas wie Panik verspürt. Die Menschen, die eben noch gemütlich durch die Straßen geschlendert waren, hatten sich beim Geräusch des Donners schnell in ihre Häuser oder in irgendwelche Gaststätten geflüchtet.

Hunter hatte die Nacht im »Goldenen Mann« verbracht. Eine nicht sehr einladende Spelunke, in der es kaum Gäste gegeben hatte und schon gar kein Gold. Trotzdem besser als auf der Straße zu übernachten.

Aber jetzt hatte er sein Gold, das hieß, er konnte sich auch wieder etwas Besseres leisten. Ein bisschen besser zumindest, schließlich wollte er sparsam sein.

In Imarith aber konnte und wollte er nicht bleiben. Er hatte vor, zu seinem Stützpunkt in Phedia zurückzukehren. Eine größere Stadt, in der Nähe von Alystowe. Sicher wartete Kieran dort schon auf ihn.
Phedia lag allerdings ein Stück weiter im Süden, was bedeutete, er brauchte ein Pferd. Hunter beschloss, es ausnahmsweise einmal ehrenhaft zu ersteigern. Immerhin hatte er genug Gold. Und er sollte es vermeiden, mehr Aufmerksamkeit als unbedingt nötig zu erregen.

Der Pferdehändler, den er kurz darauf aufsuchte, brachte ihm eine hübsche dunkelbraune Stute, die nicht allzu teuer war und Hunter aus ihren treuen Augen neugierig musterte.

Er bezahlte sie mit seinem neu erworbenen Gold. Hätte der Händler gewusst, woher es stammte, hätte er es wahrscheinlich nicht angenommen.

Als Hunter dazu noch einen dunklen Sattel und passendes Zaumzeug kaufte, war das Gewicht des Beutels merklich geschrumpft.

Er fluchte leise vor sich hin, als er sein letztes Brot in seine Satteltaschen packte. Seine Waffen behielt er lieber bei sich, nachdem er das letzte Mal einige Wurfsterne darin verstaut hatte. Der Räuber freute sich sicherlich tierisch darüber. Hunter ärgerte es immer noch, wenn er daran zurückdachte. Wie konnte das ausgerechnet ihm passieren?

Als er aufsaß und Imarith verließ, schüttelte er seufzend den Kopf. Das nächste Mal würde er auf diese ehrenhafte Weise verzichten, neue Dinge zu erwerben. Auch wenn Kieran ihm dann sicherlich wieder eine Moralpredigt halten würde.

Snow Hunter - gefährliches ErbeWhere stories live. Discover now