Kapitel 41

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Königreich Anchor, Hauptstadt Alystowe

Hunter folgte Kieran – oder besser Eliphas, daran sollte er sich wohl gewöhnen – mit langsamen Schritten und einigem Abstand den kunstvoll verzierten Gängen entlang.

Er fühlte sich noch immer ziemlich schwach. Als er ihn endlich eingeholt hatte, standen sie auf einem Balkon und blickten in einen schneebedeckten Garten. Hunter stützte sich mit beiden Händen am Geländer ab, ihm war etwas schwindelig.

»Wie geht es dir?«, fragte Eliphas. Er hatte sich mit verschränkten Armen an das Geländer gelehnt und sah hinaus in die grauweiße Welt.

»Ich habe ziemlich viel zu verarbeiten. Ich meine, mein bester Freund ist auf einmal ein Prinz!« Er versuchte scherzhaft zu klingen, aber Eliphas lachte nicht.

»Glaub mir, ich wünschte auch, es wäre anders.«

Hunter sah neben ihm in den friedlich wirkenden Garten hinab in dem einige Blumen trotz der Kälte ihre Köpfe durch den Schnee steckten. »Dein Vater macht sich nur Sorgen.«

»Ich weiß.«

Hunter zögerte kurz. »Vielleicht solltest du ihm die ganze Sache etwas genauer erklären.« Vielleicht solltest du es uns allen erklären, dachte er bei sich. Das konnte doch alles nicht wahr sein!

Eliphas seufzte. »Das geht nicht.«

Hunter fühlte sich an eine ihrer ersten Begegnungen erinnert. Das war nun etwas mehr als zwei Jahre her, sie konnten nicht älter als 16 gewesen sein. Damals war er einfach in ihrem Unterschlupf aufgetaucht und hatte Shakura gebeten, ihn zu trainieren.

Aber am Anfang hatte er sich nicht besonders geschickt angestellt und die anderen in ihrem Alter hatten ständig über ihn gelacht. Damals hatten sie auch draußen gestanden und in eine weiße Welt geblickt, in eine ewige Welt aus Schnee und Eis in der auch im Sommer noch Schnee fallen konnte. Eine kalte Welt, ohne Rücksichtnahme.

Aber irgendwie hatte dieser schlaksige Junge Hunter leidgetan. Er schien schon immer eine riesige, unsichtbare Last auf seinen Schultern getragen zu haben.

»Vergiss wer du bist«, hatte Hunter ihm damals geraten. »Niemand hier wird dich jemals nach deiner Vergangenheit fragen. Darin besteht die Freiheit, ein Jäger des Eises zu sein. Es ist eine kalte Welt, aber wir können entscheiden, wer wir sein wollen.«

Ab da hatten sie immer gemeinsam geübt und waren irgendwann nicht nur Trainingspartner, sondern auch gute Freunde geworden. Ohne das geringste über einander zu wissen. Zumindest hatte er das immer geglaubt.

»Shakura hat gewusst, wer du in Wirklichkeit bist, nicht wahr?«

Eliphas nickte. »Ich musste es ihr erzählen.«

»Und sie hat dir auch erzählt, wer ich bin?«

Kieran nickte wieder.

Dann schwiegen sie, während die Kälte in Hunter hineinkroch.
»Weißt du noch, was ich dir damals gesagt habe?«

»Dass ich vergessen soll, wer ich war?«, fragte Eliphas. Offenbar hatten sie an dasselbe gedacht.

Hunter warf ihm ein schiefes Grinsen zu. »Das hätte ich vermutlich nicht gesagt, wenn ich gewusst hätte, dass du ein Prinz bist.«

Eliphas Mundwinkel hoben sich leicht. »Wer weiß. Du hast noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Wobei du beim Anblick meines Vaters einen ganz schönen Schrecken zu bekommen haben schienst.« Nun grinste er breit.

»Er ist der König!«

»Und ich bin der Prinz.«

»Soll ich jetzt Eure Hoheit zu dir sagen?«

Eliphas verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein. »Bei dir würde es seltsam klingen.«

»Warum das denn?« Hunter hob eine Augenbraue.

Eliphas warf ihm ein Grinsen zu. »Du bist eben ... du!«

Hunter warf die Hände in die Luft. »Was soll das heißen?«

Eliphas schüttelte nur lächelnd den Kopf.

»Immerhin erklärt das deine geschwollene Ausdrucksweise«, murmelte Hunter.

»Geschwollene Ausdrucksweise?!«

»Wie ein feiner Adeliger. Wolltest auch nie etwas stehlen.«

»Weil es sich nicht gehört!«

Hunter grinste. Wenn er das lange genug tat, würde er seinen Schmerz vielleicht vergessen können. Der Eisblock um seine Gefühle war verschwunden und der Schmerz stärker auf ihn eingestürzt, wie damals. »Siehst du? Ein feiner Adeliger!«

Hunter sah ihn an. Sein Lächeln verblasste bereits. Aber er war noch nie sonderlich gesprächig gewesen und Hunter wusste aus Erfahrung, dass man ihn nicht drängen sollte.
Also blieb er stumm und wartete.

»Ich wusste damals einfach keinen anderen Ausweg«, sagte Eliphas nach einer Weile. »Nach dem Tod meiner Mutter ... musste ich einfach hier weg. Ich habe es nicht länger ausgehalten in diesem riesigen Palast zu sein, während mich alle mitleidig angestarrt haben und gleichzeitig erwarteten, dass ich den Tod meiner Mutter vergesse und mich benehme, wie man es von dem Kronprinzen erwartete.« Er senkte den Blick. »Ich konnte diese Erwartungen einfach nicht erfüllen.«

Hunter stieß sich vom Geländer ab. Sein Atem bildete weiße Wölkchen in der kalten Luft. »Glaub mir, mit unerfüllten Erwartungen kenne ich mich aus. Mein Vater wollte immer, dass ich Bäcker werde.«

Eliphas wandte ihm den Kopf zu. Auf seinem Gesicht lag ein ungläubiger Ausdruck. »Bäcker?!«

Hunter grinste. »Ich sage doch, ich weiß wovon du sprichst.«

Eliphas seufzte und sah wieder in den Garten hinab. »Es ist aber nicht dasselbe.«

Hunter schüttelte den Kopf, packte seinen Freund dann bei den Schultern und sah ihm fest in die dunklen Augen. »Hier draußen herumzustehen und dich selbst zu bemitleiden, wird dir nicht weiterhelfen! Dein Vater wird dadurch immer noch nicht verstehen und seine Erwartungen an dich nicht ändern. Du bist der Prinz, verdammt, auch wenn du vielleicht keiner sein willst. Wir können unser wahres Ich nicht einfach ablegen, auch wenn wir es uns wünschen. Irgendwann holt uns die Vergangenheit ein. Also sei jetzt ein Prinz, mach den Mund auf und rede mit deinem Vater.« Er seufzte und ließ Eliphas los, dessen Augen kugelrund geworden waren. »Er hat es verdient, wer weiß, wie lange er noch hat.«

Eliphas zog die Augenbrauen zusammen. »Das ist nicht fair!«

Hunter sah ihn an. Aber seine Gedanken waren bei Tay. »Nichts ist fair.«

Eliphas fuhr sich durch das nun
goldblonde Haar. »Es tut mir leid.«

Dann straffte er die Schultern und hob das Kinn. »Du hast recht. Ich danke dir.«

»Es gibt nichts zu danken.«

Als Eliphas nun davon ging, mit blitzenden Augen und wehendem Umhang, erinnerte er Hunter tatsächlich ein wenig ein einen Prinzen.

Snow Hunter - gefährliches ErbeWhere stories live. Discover now