Kapitel 6

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Königreich Anchor, Hauptstadt Alystowe

»Ein Krieg?«, wiederholte der Herzog ungläubig. Zweifelnd betrachtete er den König. Ob sich die Krankheit auch auf Locans Verstand ausgebreitet hatte?

»Ich bin nicht verrückt geworden«, sagte der König als hätte er seine Gedanken gelesen.

Thyron räusperte sich. »Bist du sicher? Hat Alaster das gesehen? Du weißt, seine Visionen treten nicht immer ein.«

König Locan wischte den Einwand mit einer Handbewegung beiseite. »Es war nicht direkt eine Vision. Es war anders als sonst. Etwas verändert sich, mein Freund. Und das nicht zum Besseren.«

Bei diesen Worten jagte Thyron ein kalter Schauer über den Rücken.
»Ein Feind erhebt sich. Und wir können ihm nur geeint entgegentreten. Nur, wenn ganz Anchor unter derselben Flagge kämpft, haben wir eine Chance. Aber ich werde nicht derjenige sein, der diese Flagge führt.«

Herzog Thyron seufzte, als er erkannte was der König damit andeuten wollte. »Eliphas.«

Locan nickte. »Mein Sohn ist der Einzige, der imstande ist, unser Volk geeint dem Feind entgegenzuführen.«

Thyron schüttelte leicht den Kopf. »Er ist nun seit drei Jahren verschwunden. Wer sagt, dass er wieder zurückkommt ... oh.« Er unterbrach sich, als er begriff. Dann nickte er langsam. »Verstehe.« Er sah Locan scharf an. »Alaster ist auf der Suche nach ihm, nicht wahr?«

Der König neigte als Bestätigung nur leicht den Kopf.

»Das Land ist groß«, gab der Herzog zu bedenken. »Es wird nicht leicht, ihn zu finden, fast unmöglich! Und selbst wenn Alaster Erfolg hat, wer sagt, dass Eliphas zurückkommen wird? Er hat dem Königshaus damals nicht ohne Grund den Rücken gekehrt.«

»Ich kenne meinen Sohn«, entgegnete Locan inbrünstig. »Wenn das Land in Gefahr ist, wird er helfen. Er wird zurückkommen. Damals war sein Verstand vom Kummer über den Verlust seiner Mutter getrübt. Er hat leichtfertig gehandelt. Sicher weiß er es nun besser.«

Thyron war sich nicht sicher, ob der König versuchte ihn oder sich selbst davon zu überzeugen. »Nehmen wir einmal an, Alaster gelingt es, ihn zu finden und zurückzubringen. Denkst du wirklich die Lords werden ihn einfach so wieder akzeptieren? Nachdem er drei Jahre lang verschwunden war?«

»Er ist ihr zukünftiger König!«, erwiderte Locan so heftig, dass der Satz in einem Hustenanfall endete. Als er sich wieder beruhigt hatte, fuhr er leiser fort. »Wir werden ihnen eine gute Erklärung auftischen. Sie werden es akzeptieren, wenn das Land dem Untergang geweiht ist.«

Thyron bemerkte, dass es sinnlos war, Locan wiedersprechen zu wollen. »Also schön. Aber was wirst du tun, wenn Alaster ihn nicht findet? Was ist dein alternativer Plan?«

Locan schüttelte den Kopf. »Wenn das geschieht, habe ich keine Hoffnung mehr für uns.«

Cyra wurde von lautem Klopfen geweckt.

Müde rieb sie sich über die Augen und setzte sich dann langsam auf. Sie trug noch immer ihre Reisekleidung, die nun völlig zerknittert war, ebenso wie die Tagesdecke mit dem Blumenmuster, die über dem Bett aufgebreitet war.

»Cyra?« Sie erkannte die Stimme ihres Vaters.

»Komm rein.«
Die Tür öffnete sich und Thyron betrat mit verkniffener Miene den Raum.

»Wie war dein Gespräch mit König Locan?«, fragte Cyra und unterdrückte ein Gähnen.

Thyron schüttelte leicht den Kopf und seufzte. »Anders als erhofft. Der König hat uns eingeladen, mit ihm zu speisen. Es werden nur die Leute da sein, die ihm am nächsten stehen. Er würde dich gerne kennenlernen.«

Snow Hunter - gefährliches ErbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt