8 - Wolkenstunde

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Musste sie sich jetzt wirklich rechtfertigen? War das sein Ernst?

„Würde es einen Unterschied machen, wenn er es wüsste? Nein. Die Fakten blieben die gleichen, oder? Warum greifst du mich jetzt an?", fragte sie und er drehte sich zu ihr.

„Ich will dich doch nicht angreifen, Anna. Ich will das nur verstehen. Er ist dein Papa. Ich meine, durch die Scheidung und durch die räumliche Trennung kann er ja ohnehin nie so an deinem Leben teilhaben, als würde er um die Ecke wohnen oder mit dir zusammensein. Doch durch die Tatsache, dass du ihm so Dinge verschweigst, schiebst du ihn weg. Sicherlich unbeabsichtigt, aber trotzdem...", fing er an und sie machte sich los und starrte ihn an.

„Das ist jetzt nicht fair, Flo. Wenn ich ihn nicht ab und zu anrufen würde, wüsste er noch weniger, ok? Er ruft im Grunde nur zu meinem Geburtstag an und das hat er sich letztes Jahr auch gespart und mir nur eine Nachricht geschickt. Hast du eine Ahnung davon, wie schwer es ist, sich jemanden zu öffnen, den man nur spricht, wenn man selbst anruft, weil er sonst lieber sein Leben lebt? So kommt es bei mir an, ok? Wieso soll ich ihm erklären, wie ich mich fühle? Das ändert nichts. Oder denkst du, mein Leben hätte sich verändert, falls er gewusst hätte, was alles so gelaufen ist?", fragte sie ihn wütend und er sah sie lange an.

„Was ist denn gelaufen, Anna?", erkundigte er sich nach einer Weile sanft und sie zuckte mit den Schultern.

„Viel. Oder eben wenig. Du hast keine Ahnung, Flo. Du kennst mich nicht in- und auswendig, ok? Du hast eine vage Ahnung meiner Kindheit. Mehr nicht", erwiderte sie bissig und bemerkte, wie er die Stirn runzelte.

Dann seufzte er und meinte: „Jetzt hab ich dich sauer gemacht. Das war nicht meine Absicht. Ich wollte nur sagen, dass er mir ein bisschen leidtut. Weil er nie Teil des Spiels war, das euer Leben ausmacht, sondern nur von der Seitenlinie aus zusehen kann, Anna. Ich verstehe, dass es für dich nicht leicht ist, dich ihm zu öffnen..."

„Du begreifst gar nichts. Ich hatte nicht das Gefühl, großartig dazu berechtigt zu sein, mich ihm zu offenbaren, ok? Denn er war kaum da. Genauso wenig wie Mama. Außerdem war ich genug damit beschäftigt, mich um Alina und mich zu kümmern, da wollte ich nicht noch zusätzlich, dass meine Eltern sich zerfleischen. Ich glaube, wenn er gewusst hätte, wie das alles wirklich lief, dann wäre er richtig böse geworden und das wollte ich Mama nicht aufhalsen. Sie hat sich doch ohnehin kaputtgearbeitet für uns Kinder. Und ich hätte auch nicht gewusst, wie ich ihm hätte sagen sollen, wie es mir dabei ging. Es war hart, zu sehen, wie meine Mutter morgens noch im Bett lag, wenn Alina und ich zur Schule mussten und nicht zurück war, als WIR ins Bett gingen", ätzte sie und sah, wie er wieder schluckte.

Doch jetzt platzte ein Knoten und sie fauchte: „Da wusste ich allerdings noch nicht, dass sie teilweise nach ihrer Schicht Tanzen ging, weil die Kinder ja im Bett lagen und schliefen, oder? Du weißt auch nicht, wie es war, als sie mit ihren wechselnden Typen zu Hause aufschlug, von denen einer einmal auszog und sie schlagen wollte. Da ist mein damaliger Hund dazwischen gegangen und hat den Kerl angefletscht. Der Hund, den dann vermutlich die Ehefrau eines anderen Typen mit vor das Haus geschüttetem Lack vergiftet hat. Da meine Mama sich nicht von deren Mann trennen wollte, weil sie ernstlich verknallt gewesen war in den Typ."

Sie bemerkte, dass Flo betroffen war, und setzte nach: „Die Frau, die nachts gegen die Jalousien geklopft und herumgeschrien hat, die Schlampe – also unsere Mutter – solle herauskommen, sie würde Mama fertigmachen. Die uns solche Angst gemacht hat, dass Alina zeitweise zusammen mit unserem Hund in meinem Bett schlief und ich jeden Tag zu Gott gebetet hab, dass alles gut wird. Ich hab wochenlang mit meiner Kinderbibel unter dem Kopfkissen geschlafen, weil ich dachte, dann hilft Gott uns, beschützt uns. Hat er. Sie hat ihn irgendwann abgeschossen."

Mein Name ist Anna!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt