27 - Sturmwind

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Jetzt war er nicht wesentlich schlauer. Was war nur passiert? Es hatte nicht an ihm gelegen, aber an was dann? Langsam zog er sich ebenfalls an und verließ den Raum. Er musste das wissen, dachte er und entdeckte seine Freundin, wie sie wie erstarrt vor dem offen stehenden Kühlschrank stand und hineinstierte.

Sie war also aufgewühlt und wollte sich trösten, schlussfolgerte er und trat zu ihr. Er folgte ihrem Blick und bemerkte, dass sie das Gefrierfach geöffnet hatte und die Eispackung fixierte. Er spürte ihre innere Unruhe, sie ging förmlich in Wellen von ihr aus. Sie focht offenbar den Kampf aus, ob sie zugreifen sollte oder nicht. Er nahm ihr kurzerhand die Entscheidung ab, indem er an ihr vorbei nach der Packung griff.

Er sah, wie sie erschrak und jede seiner Bewegungen verfolgte, als er Teller aus dem Küchenschrank holte und schweigend zwei Scheiben des Eisdesserts abschnitt, um sie darauf zu bugsieren. Sein Magen war wie zugeschnürt. Aber er musste ihr irgendwie zeigen, dass er kein Problem damit hatte, dass sie jetzt naschte.

‚Und dass ich sie nicht alleinlasse und reden möchte', dachte er, holte zwei Teelöffel und reichte ihr einen Teller.

Sie hatte sich nicht bewegt. Nur ihre Augen. Als sie ein Danke murmelte, nickte er nur. Er gab den Rest der Nascherei wieder zurück ins Gefrierfach und schloss es, ehe er sich seinen Teller schnappte und an dem kleinen Tisch Platz nahm. Er tat so, als würde er sich mit Feuereifer auf das Eis stürzen und beobachtete, wie sie mit fahrigen Bewegungen vom Kühlschrank zurücktrat, ihn schloss und sich zu ihm setzte.

Doch sie aß keinen Bissen, sondern starrte nur darauf, als würde sie nach Worten suchen. Er ließ ihr die Zeit. Er wusste, wenn er sie jetzt drängte, würde sie sich noch mehr zurückziehen. Es war sicherer, nur anwesend zu sein, ohne sich bemerkbar zu machen. Aber er registrierte, wie sie den Löffel in die Hand nahm. Sie begann jedoch nicht zu essen, sondern stocherte in der schmelzenden Eismasse herum.

„Bist du schon mal an einem Unfall vorbeigefahren und hast dir fest vorgenommen, nicht zu gucken? Man fährt vorbei, bleibt zwar nicht stehen, um die Rettungskräfte nicht zu behindern, aber man guckt wie magisch angezogen auf die Unfallstelle. Das war gerade genauso...", flüsterte sie plötzlich und er sah sie irritiert an.

Sofort wich sie seinem Blick aus und fügte an: „Nur, war das, was ich im Spiegel gesehen hab, der Unfall. Ich war der Unfall. Ich wollte wegsehen. Aber es ging nicht. Seh ich so aus, wenn ich mit dir schlafe? So ... unattraktiv?"

Er starrte sie bestimmt an, als hätte sie nicht mehr alle Tassen im Schrank, erkannte er und riss sich zusammen, während sie den Blick auf das zerlaufende Eis gesenkt hielt und mit dem Löffel darauf herumhackte. Ihr eigener Anblick hatte sie so irritiert? Er versuchte, Worte zu finden, die ihre Gefühle nicht verletzten. Denn stattdessen wollte er sie schütteln und ihr sagen, dass sie einen Knall hatte.

„Hm, äh, ich weiß jetzt nicht so genau, wie du das meinst, Anna. Weil ich nichts erkennen kann, was unattraktiv ist und du es offenbar so empfunden hast...", setzte er an und unterbrach sich, als sie ihn stirnrunzelnd fixierte.

‚Vorsicht', hallte es in ihm, während sie zischte: „Es sah aus, als würdest du einen Wal poppen..."

„Einen ...? Anna, das kannst du unmöglich ernst meinen!", fuhr er automatisch auf und sah, wie sie ihn anfunkelte.

„Denkst du, mir ist gerade nach Scherzen zumute?", erwiderte sie harsch und er konnte es nicht fassen.

„Anna, wie oft muss ich dir noch sagen, dass du wunderschön bist und...", fing er an und unterbrach sich erschrocken, als der Teller mit dem Eis vor seiner Freundin plötzlich an der Wand zerschellte.

„Lass es! Hör endlich auf, mir das zu sagen! Ich weiß verdammt nochmal, was ich gesehen hab, Florian! Und ich weiß ganz genau, was mir jeden Morgen im Spiegel entgegen starrt! Mit Schönheit hat das nichts zu tun, ok? Gar nicht! Ich kann es nicht mehr hören!", fauchte sie und sprang auf die Beine, während er noch versuchte, zu verstehen, was gerade passierte.

Mein Name ist Anna!Where stories live. Discover now