43 - Wetterleuchten

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‚Danach hatten sich Saskia und Anna sogar noch umarmt', erinnerte er sich am nächsten Tag, während er genüsslich ein Stück seines Geburtstagskuchens vertilgte.

Seine Mutter hatte ihn gerade mit sämtlichen seiner Missetaten mit einem Geburtstagsgedicht blamiert, nachdem sie ohnehin mit einem Ballon in Form eines Feuerwehrautos und einer Wagenladung Kuchen um die Ecke gebogen war. Sie wollte ihm so wie immer seinen Verlustschmerz nehmen, dachte er und grinste, weil sie sich inmitten ihrer Freunde offenbar köstlich amüsierte.

Trotzdem vermisste er seinen Papa gerade an solchen Tagen weiter. Das würde wohl auch nie vergehen. Im Moment hätte er seinen väterlichen Rat gebraucht, wenn es um Anna ging. Er liebte seine Mutter, doch sie hatte einfach die weibliche Perspektive drauf, die er schon schätzte, in die er sich aber manchmal nicht einfühlen konnte. Da wünschte er sich dann, er könnte sich mit seinem Dad austauschen. Vor allem, wegen dem, was er geplant hatte für die Zukunft.

Erneut versank er in seinem momentanen Lieblingstagtraum, ehe er herausgerissen wurde, weil sein Telefon vibrierte. Irritiert sah er aufs Display und stellte fest, dass Anna ihm eine Audio-Datei geschickt hatte.

„Nur öffnen, wenn du allein bist. Happy Birthday, Ace. Ich liebe dich", stand da und er runzelte die Stirn.

Er wusste jetzt nicht, was an einem Geburtstagsständchen so geheimnisvoll sein sollte, dachte er und startete die Aufnahme. Augenblicklich flogen Annas Augen zu ihm, während sie diese aufriss und ihre etwas kratzige Stimme leise erklang:

„Hatte so lange gewartet,
ich wusste nicht mehr worauf.
Karmakonto überzogen
und alle Joker verbraucht.
Achtung, beschädigte Ware,
ich hatte jeden gewarnt.
War wie ein Geist unter Geistern,
perfekt getarnt.
All die Geschichten in den Liedern,
in 99 Prozent,
den mit den großen Gefühlen,
unendlich fremd.
Aber dann hast du mich abgeholt
aus dieser Monotonie.
Das Feuer wieder angemacht,
es war schön wie noch nie.
Und dann hast du mich abgeholt,
alles in Silber getaucht
und mir gesagt,
ich bin nicht schlimmer kaputt
als alle anderen auch..."

Ihre Stimme wurde nur von einer leisen Gitarre untermalt und ihm wurde die Brust ganz eng vor Rührung, während er dem Song lauschte. Er hob den Kopf und schaute sie nur an. Er spürte, dass sie jedes Wort davon ernst meinte. Genauso wie der Rest der Anwesenden offenbar, denn auch sie waren völlig still und wirkten hingerissen.

„Habe die Tage durchgeschlafen,
hab wache Nächte durchlebt
und meine vorhanglosen Fenster
mit Zeitung blickdicht geklebt.
Hab Krieg und Frieden ausgelesen,
alles auf Netflix gesehen
und den Jahren dabei zugeschaut,
wie sie leise vergehen.
So mancher hätte wohl behauptet,
die kann man nicht reparier'n
und wer sich auf sie einlässt,
kann nur verlier'n.
Aber dann hast du mich abgeholt..."

Seine Kehle schnürte sich immer weiter zu, während Anna seinem Blick mit einer Mischung aus Beschämung und Liebe begegnete. Das war das beste Geschenk, das er jemals bekommen hatte. Besser als dieser Urlaub, der an sich schon phänomenal war. Doch das toppte alles. Immerhin hörte sie immer sofort zu singen auf, wenn er sie dabei erwischte und jetzt hatte sie ihm sogar eine Aufnahme ihres Gesangs geschenkt. Mit einer Liebeserklärung, die ihn nicht nur betroffen machte, sondern sein Herz heftig zum Schlagen brachte.

Als die letzte Zeile verklang, sprang er auf die Beine und zog sie in seine Arme. Er konnte nicht sprechen, dazu war er zu ergriffen. Stattdessen lehnte er seine Stirn an ihre und suchte ihre Lippen. Jetzt nervte es ihn, dass er nicht mit seiner Freundin allein war, obwohl die anderen weiterhin schwiegen.

„Danke, Arielle", raunte er und merkte, wie belegt seine Stimme war.

Anna nickte nur und strich ihm zart über seine Wange, ehe er hörte, wie Lari sagte: „Ich wusste gar nicht, dass du so singen kannst, Mäusle. Wer war das? Das Lied kannte ich nicht..."

Mein Name ist Anna!Where stories live. Discover now