Mein Name ist Anna!

31 - Windstille

Einige Tage später schloss er die Tür auf und lauschte. Es herrschte Totenstille. Aber Anna wollte zuhause sein, dachte er und wollte auf den Balkon gehen, um zu sehen, ob sie sich dort befand, als er im Augenwinkel eine Bewegung in der Küche wahrnahm. Sofort drehte er sich um und sah, dass Anna still am Tisch saß und auf ein Glas Wasser starrte. Er stutzte. Irgendwas war vorgefallen. Hatte sich die Arbeit gemeldet? Oder was war sonst? Sie wirkte wie betäubt.

Er betrat den Raum und setzte sich ihr gegenüber. Entgegen seiner Erwartungen flogen ihre Augen sofort zu ihm und dann zurück zum Glas, ehe sie seinen Blick suchte.

„Hey. Was ist los?", erkundigte er sich und sah, wie sie kurz seinen Augen wieder auswich.

‚Zittern ihre Hände?', fragte er sich, als sie Luft holte, ihn ansah und meinte: „Ich möchte nicht lange drumherum reden. Ich bin überfällig."

Jetzt machte sein Herz einen Satz in seiner Brust, während er wiederholte: „Überfällig?"

„Ja. Ich weiß nicht, wieso ich geguckt hab, wann ich das letzte Mal meine Tage hatte, doch plötzlich war der Gedanke da, dass ich sie eigentlich schon gehabt haben müsste. Hab ich aber nicht. Ich glaube, ich hab Mist gebaut. An dem Wochenende, an dem ich mich so betrunken hatte. Ich hab gesehen, dass ich die Pille trotzdem genommen hatte, weil da die Wochentage daneben stehen, und da war keine zu viel. Deswegen dachte ich, es wäre alles ok. Aber vielleicht hab ich sie geschluckt und wieder gebrochen? Keine Ahnung. Jedenfalls bin ich überfällig", sagte sie und er schluckte.

„Wie lang?", fragte er und sie zuckte mit den Schultern.

„Fünf Tage. Ich hab einen Test besorgt. Aber ich hab mich noch nicht getraut, ihn zu machen. Außerdem muss ich gar nicht pinkeln. Weswegen ich die ganze Zeit das Wasser anstarre und mir sage, dass ich es trinken muss, damit ich den Test machen kann, doch ich hab Schiss. Jonah ist süß. Ich hab mich gleich in ihn verknallt. Aber ein Kind steht nicht auf der Agenda. Ich komm nicht mal mit meinem Leben klar. Wie soll ich dann Mutter sein?", erwiderte sie kaum hörbar und er hörte die Angst in ihrer Stimme.

Er griff nach ihrer Hand und meinte: „Du zäumst das Pferd von hinten auf. Ich bin kein Experte auf dem Gebiet, aber es muss nicht bedeuten, dass du schwanger bist, Anna."

„Das stimmt. Ich habs gegoogelt. Es gibt viele Gründe für das Ausbleiben der Regel. Stress, Schwangerschaft, Gewichtsprobleme, jedoch eher bei Magersucht, Schwankungen der Sexualhormone, aber auch Krankheiten. Doch meine Periode kam immer pünktlich. Sogar, als das angefangen hat, hab ich nur etwa drei Monate gebraucht, bis sie regelmäßig kam. 26 Tage. So lang ist der Abstand. Ich konnte die Uhr danach stellen. Darum spukt mir die ganze Zeit im Kopf herum, dass ich vielleicht schwanger bin und frage mich, was wir dann tun. Ich meine, ich bin in der Ausbildung, du studierst deinen Traumjob. Wie soll da ein Kind reinpassen? Und dann eben noch das Ding, dass ich absolut ungeeignet als Mutter bin. Schau nur, was ich mit Lina gemacht hab. Sie hat eine Zeitlang nicht nur gekifft, verstehst du? Sie hat auch Pillen versucht. Das ist meine Schuld. Wie soll man sowas auf Kinder loslassen?", fragte sie und er bemerkte, dass sie nahe dran war, in Panik auszubrechen.

„Hm", machte er und stand auf, um sich ein Glas Wasser einzugießen.

‚Mein Mund ist eh ganz trocken', entschied er und fügte an: „Ich hab dich mit Jonah beobachtet, ich glaube, du würdest das hinbekommen. Wir würden das schaffen. Es würde uns schon was einfallen. Aber das sind bisher sowieso nur böhmische Dörfer. So lange wir nicht wissen, was Sache ist. Da können wir das Spielchen ewig weiterspielen. Also, Vorschlag: Wir trinken jetzt beide so viel, bis unsere Blasen platzen und dann machen wir diesen Test. Du machst ihn. Falls ich da drauf pinkle, wird er mit Sicherheit negativ sein. Das bringt uns also nicht weiter. Aber ich bin im Händchenhalten ziemlich gut. Denk ich zumindest. Da es uns beide betrifft. Nicht nur dich, im Übrigen."