38 - Gewitterwolken

51 15 27
                                    

Er musste grinsen. So hatte er sie auf dem Schlafzimmerspiegel verewigt. Das liebte sie nämlich genauso, wie sich bei einem Wettrennen erstmal auszupowern.

„Sag mal, gibt es in Stuttgart einen See, der ein bisschen abgelegen ist und wo wenig Publikumsverkehr herrscht oder zumindest ruhige Ecken sind?", fragte er automatisch und sah, wie Ela die Stirn runzelte.

„In Plüderhausen gibt es schon stillere Abschnitte, aber ich glaube, ich würde mit Anna eher an den ‚Waldsee in Fornsbach-Murrhard' fahren, da sind mehr lauschige Plätzchen. Es gibt auch noch die ‚Bürgerseen' oder den ‚Ebnisee' im schwäbischen Wald, die kenn ich aber nicht so gut", sagte die Rothaarige und er nickte.

„Ok. Vorgemerkt", entschied er und nahm sich vor, die Seen in der Umgebung ihrer neuen Heimat erstmal allein zu erkunden, während ein Windstoß das Zeltdach zum Wackeln brachte.

„Merda, Bellezza. Du kommst jetzt besser heraus", murmelte Massimo und er warf nochmal einen besorgten Blick in den Himmel.

Da ballten sich die Wolken mittlerweile. Heilige Scheiße. Aber Anna kam sicher gleich zurück. Sie war ja nicht blind. Sie sah, dass sich da ein Gewitter zusammenbraute. Oder? Er starrte auf die Stelle, an der seine Liebste seelenruhig trieb und flehte sie im Stillen an, sie müsse losschwimmen. Er schreckte auf, als der erste Blitz über den Himmel zuckte und automatisch zählte er, bis der Donner ertönte. Fuck. Nicht gut.

„Anna!", schrie er panisch und wollte loslaufen, doch Massimo hielt ihn fest.

*

Sie riss die Augen auf, als etwas Grelles in der Dunkelheit ihrer Lider aufzuckte und schluckte.

„Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vierundzwanzig, fünfundzwanzig, sechsundzwanzig... scheiße", fluchte sie, als der Donner krachte und spürte plötzlich, dass ziemlich Wind ging.

Der trieb das Gewitter entweder vom See weg oder zu ihr. So oder so: Sie musste hier weg. Blitz. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vierundzwanzig, fünfundzwanzig, Sechsund... Donner! Fuck. Fuck! Das war schnell gegangen. Sofort hier raus! Sie drehte sich herum und biss sich auf die Lippen, während sie sich am Boden abstieß, den sie gerade noch so erreichte. Sie teilte das Wasser unter dessen Oberfläche mit kräftigen Zügen, um sich so schnell wie möglich darin fortzubewegen. Aber ihre nassen Klamotten bremsten sie. Sie hingen vollgesogen wie Steine an ihr und nahmen ihr die Stromlinienförmigkeit. Sie hatte keine Zeit, sich ihr Shirt auszuziehen.

Schon wieder zuckte ein grelles Licht in ihrem Augenwinkel und sie fing erneut zu zählen an. Sie kam bis fünfundzwanzig. Fünf Sekunden mal 340 ergaben, dass das Gewitter keine 2 km von ihr entfernt war. Und der See war groß. Wenn der Blitz da einmal einschlug, war sie im Arsch, dachte sie und gab Gas. Sie würde hier nicht draufgehen, entschied sie und tauchte an die Oberfläche, um hastig Luft zu holen und das letzte aus sich herauszuholen. Fuck. Ihre Muskeln schmerzten jetzt schon. Sie war nicht mehr im Training. Nicht wirklich.

Ihre Lunge brannte auch wie Feuer. Wegen der Anstrengung. Aber sie wollte hier nicht wie ein Fisch mit dem Gesicht nach oben schwimmen, falls der Blitz in das Gewässer einschlug. Sie schätzte die Entfernung zum Ufer. Etwa 500 Meter noch. Warum war sie so weit rausgeschwommen? Weil es sich so gut angefühlt hatte, als sie merkte, wie der Ballast auf ihren Schultern abgefallen war, dachte sie und sah, dass Massimo, Thomaso und Erik Flo festhielten, der offenbar zu ihr ins Wasser wollte.

Ihr Freund war völlig panisch und außer sich, erkannte sie und erneut blitzte es. Scheiße. Sie musste Gas geben. Noch mehr. Das würde knapp werden. Wieder eine halbe Sekunde weniger. Sie holte tief Luft, biss sich auf die Lippen und beschleunigte nochmal. Mehr ging nicht. Ihre Arme waren so schwer, dass ihr trotz der Kühle des Wassers der Schweiß ausbrach und ihre Lunge brannte, als würde sie heißen Rauch einatmen.

Mein Name ist Anna!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt