Der Tod der Briseis Bandowski

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„Anna?"

Anna schreckte hoch, Selma stand über ihr. „Hast du gut geschlafen?"

„Äh – schon, ja?", murmelte Anna ein wenig benommen. Henry lag neben ihr und schlief nach wie vor seelenruhig.

„Hatten wir nicht abgemacht, dass du in Helens Zimmer schläfst?"

Anna rieb sich das Gesicht. „Hm?" Das hatte sie tatsächlich vorgehabt, aber sie hatten bis tief in die Nacht auf Henrys Bett Karten gespielt und sich dann so lange unterhalten, bis Anna mitten im Satz eingeschlafen war.

Selma schnaubte. „Hilf mir im Hühnerstall."

Teils mürrisch, teils lächelnd stand Anna auf. Es war genau wie früher. Es war keine Bitte, es musste einfach gemacht werden. Fünf Minuten später stand Anna in der kalten Morgenluft im Hühnergehege und suchte Eier zusammen. Es war ein schöner, ruhiger Moment. Aber Selma wusste natürlich, wie sie das zunichtemachen konnte.

„Ich will nicht, dass du gehst", sagte sie nach einer Weile und ging in die nächste Ecke. „Ich kann es nicht zulassen."

Seit Tagen ging das nun schon so. Anna sagte, sie würde gehen, Selma sagte, sie könne das nicht zulassen. Es war ihr vierter Tag auf dem Anwesen von Selma und Fritz, weshalb Henry immer nervöser wurde. Er wollte etwas gegen die Südpiratenkoalition unternehmen. Ihnen lief die Zeit davon.

„Selma, wir werden gehen." Anna verscheuchte ein besonders hässliches Huhn und legte das Ei in den Korb. „Ich kann die Piratenjäger in November warnen."

Sie schnaubte. „Glaubst du wirklich, sie brauchen dich, um das mit Elsa Li und den Südpiraten rauszukriegen? Sie werden es schon längst wissen."

„Ich will trotzdem zurück zu den Städtern. Da gehöre ich nun mal hin. Ich will meine Ausbildung abschließen und ..." Anna holte tief Luft. „Wir werden gehen. Und zwar Morgen. Ganz gleich, ob du es mir gestattest oder nicht."

Tante Selma drehte sich wütend zu ihr um. „Das hast du nicht zu entscheiden."

„Wie bitte?", fragte Anna halb amüsiert, halb fassungslos und ließ den Korb sinken.

„Die Zahlen gehören dir nicht", fauchte Selma. „Deshalb wirst du hier bleiben und –"

„Sie gehören mir nicht?" Anna umklammerte wütend den Henkel. „Die Zahlen gehören mir nicht?" Sie schüttelte den Kopf, da es nicht das war, worüber sie sich zum hundertsten Mal in ihrem Leben streiten wollte. „Ich habe lange genug euch anderen für mich Entscheidungen treffen lassen. Und das habe ich satt, da es nie das Beste für mich war, sondern immer für diese ... diese verfluchten Zahlen!"

„Es geht hier nun einmal um etwas viel Größeres. Dein Vater –"

„Lass meinen Vater da raus. Seien wir ehrlich, Augustin ist vermutlich tot. Nein, ich bin mir sogar sicher, dass sich der Mann in irgendeinem Loch zu Tode gesoffen hat. Er war so enttäuscht von mir, dass er mich, dass er euch, dass er uns alle verlassen hat. Er sagte, er wäre bald wieder da." Anna schnaubte. „Wie viele Jahre ist das jetzt her? Vier? Fünf?"

Selma sah sie jetzt beinahe flehend an. „Bitte, tu das nicht. Geh nicht. Vor allem nicht mit diesem Jungen –"

„Wir sind Freunde", stellte Anna wütend klar.

Selma lachte bitter. „Glaubst du etwa, ich weiß nicht, wer er ist?", keuchte sie fassungslos.

Jegliche Farbe wich aus Annas Gesicht. Sie wusste nichts zu erwidern.

Doch Selma fuhr fort. „Henry Fitz–Becket wurde hier in der Gegend gesichtet – und du schleppst einen Piraten namens Henry hier an. Welch ein Zufall, was? Sag mir, dass ich mich irre."

16521 Band 1: Der Pirat, der Bär und der RegenOnde as histórias ganham vida. Descobre agora