Der Rat der 26 Städte

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„Wie geht es dir, Bri?"

Bri starrte ihre große Schwester an. Sie waren in einem großen Saal, in dessen Mitte ein riesiger Tisch stand. Die Wände waren aus Fensterglas, sodass man einen atemberaubenden Blick über November und das weite Meer hatte – eindeutig eine Verbesserung zu der Zelle, die sich tief unter der Erde befunden hatte. Die Decke über ihnen bestand ebenfalls aus Glas und war der Fußboden einer weiteren Halle, in der Leute hin und her eilten.

Bri saß Helen Bandowski gegenüber. Ihre Hände wurden mit Handschellen zusammengehalten. In jeder Ecke des großen Saals stand ein Piratenjäger.

Bris große Schwester hatte sich verändert. Aus dem sechzehnjährigen Mädchen, welches sie gewesen war, als sie und Mia Selmas Haus verlassen hatten, war eine Frau geworden. Helen war schon immer die Schönheit in der Familie gewesen, mit ihren strahlenden langen Haaren, die ihr in perfekten Locken die schmalen Schultern hinabfielen; mit den langen Wimpern und den rosigen Wangen. Sie lächelte. Und das drehte Bri beinahe den Magen um.

„Ihr habt mich verraten", flüsterte Bri. Mehr brachte sie nicht heraus.

Helen verlor das Lächeln nicht. „Hast du Hunger?"

Ja, doch Bri brauchte eine Antwort. „Warum?"

Helen erhob sich seufzend und drehte sich zu den Piratenjägern um. „Würden Sie uns bitte allein lassen?"

Ohne ein weiteres Wort verschwanden die Piratenjäger durch die riesigen Flügeltüren am Ende des Saals und keine drei Sekunden später waren sie allein. Helen zog Bri in eine Umarmung, die das Fass beinahe zum Überlaufen brachte. Am liebsten wäre Bri umgehend in Tränen ausgebrochen. Wie lange hatte sie sich gewünscht, ihre Schwester wieder in den Armen halten zu können?

Helen löste sich von ihr und kniete sich vor sie. „Anna – ich meine Bri, versteh doch", sagte sie mit leiser Stimme und sah sie verzweifelt an. „Als du mit Henry Fitz–Becket aus Foxtrot geflohen bist, gaben die Piratenjäger den Befehl, dich umgehend zu erschießen. Die einzige Möglichkeit, das zu verhindern, war, ihnen zu erzählen, wer du wirklich bist", erklärte sie eindringlich. „Mia und ich haben das nicht getan, um dich in Gefahr zu bringen!"

Sie haben es getan, um mir das Leben zu retten.

„Elsa Li und die Südpiraten haben sich zusammengeschlossen und wollen den Rat stürzen", sagte Bri schnell und stand auf. „Ich habe sie bei Lucius Fitz–Becket getroffen."

Helen setzte sich und knetete mit ihrem Daumen ihre Handfläche durch, eine Geste, die Bri schmerzlich an früher erinnerte. „Ja", nickte ihre Schwester. „Sie haben Foxtrot und die vier anderen Südstädte eingenommen. Sie hatten nach den Anschlägen noch einige Zeit standhalten können. Aber letztendlich ... haben wir sie verloren."

„Wie lange habt ihr mich in dieser Zelle eingesperrt?", fragte Bri schockiert.

„Bri", sagte Helen ruhig. „Du warst eine Woche da unten, aber nur weil –"

„Ich kenne die Zahlen nicht, Helen", rief Bri, komplett aus dem Kontext gerissen.

Helen presste die Lippen aufeinander und nickte. „Ja. Das weiß ich doch."

„Sie werden alle die Zahlen wissen wollen", sagte Bri laut, während Helen sich erhob und zum Fenster ging.

„Umso besser, dass du nun hier bist und nicht bei den Piraten, Anna – ich meine Bri."

Bri sah das ganz anders. Bei Henry hatte sie sich beschützt gefühlt. Doch hier ... obwohl Helen ihre Schwester war, misstraute Bri ihr.

Die Tür sprang auf und Adrian Zimmerman trat ein.

16521 Band 1: Der Pirat, der Bär und der RegenWhere stories live. Discover now