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Die vierzehn geforderten Piratenjäger fuhren eine Stunde später in drei Autos vor. Adrian Zimmerman und Stina Soto führten die kleine Gruppe an, als alle ihre Waffen abgeben mussten und in den Kreis der Nordpiraten-Armee traten.

Helen und Mia waren ebenfalls unter den Piratenjägern des Rates, den Rest kannte Bri nur vom Sehen. Als Helen Bri gefesselt am Boden entdeckte, entgleiste für einen Moment ihre so undurchdringliche Miene. Mia griff nach Helens Arm und drückte ihn kurz.

Levi Fitz–Becket und seine Offiziere standen auf der einen, die Piratenjäger auf der anderen Seite. Für viel zu lange Zeit sagte niemand einen Ton.

„Stina Soto", sagte Levi Fitz–Becket irgendwann. „Ich meine, mich zu erinnern, dass wir bei der Schlacht an den Äußeren Inseln einst das Vergnügen hatten, unsere Flotten gegeneinander antreten zu lassen. Man erzählte mir, Sie hätten mit nur fünf Matrosen auf einem Floß zurück nach November paddeln müssen, da nichts mehr sonst übrig gelassen worden war."

Wenn ihr Blick töten könnte, fuhr es Bri durch den Kopf. Doch Stina Soto hob nur ihr Kinn ein wenig an und entgegnete nichts.

Fitz–Beckets Blick glitt weiter. „Und Adrian Zimmerman ... Warum Sie? Habt ihr gelost, wer mit mir reden muss? Nehmt's mir nicht übel, aber ich hatte eigentlich auf Emil Fross gehofft. Warum Sie überhaupt Präsident sind habe ich ohnehin nie wirklich verstanden."

Adrian sah ihn erschöpft an. „Fitz–Becket, lassen wir das unnötige Gerede. Ihr habt Henry zurück. Ihr habt November eingenommen. Gebt uns Briseis."

Raunen und ungläubiges Gelächter gingen durch die Reihen der Nordpiraten.

Auch Levi Fitz–Becket lachte. „Würde ich ja." Er drehte sich zu Bri um. „Aber mir gefällt die Vorstellung, dass mir euer kleines Wunderkind hier ein paar Koordinaten sagen kann."

Mia schüttelte den Kopf. In ihrer Stimme war ein kaum wahrzunehmendes Zittern auszumachen. „Sie kennt die Koordinaten nicht, Fitz–Becket."

Ein Offizier der Nordpiraten schnaubte. „Aber natürlich nicht."

„Was sagt Henry dazu?", fragte Adrian und sah den jungen Piraten unverwandt an. Auch sein Vater wandte sich mit frostiger Miene an Henry, der sich vermutlich fragte, wie viele Demütigungen er an diesem Tag seiner Rettung noch über sich ergehen lassen musste. Adrian schüttelte den Kopf. „Nicht mal Henry hätte Briseis den Nordpiraten vorenthalten, wäre er der festen Annahme gewesen, dass sie die Zahlen kennt."

Levi Fitz–Becket sah Henry auffordernd an. „Ja, Henry. Was meinst du? Kennt Briseis die Zahlen?"

Henrys Blick wanderte von seinem Vater über die Piratenjäger zu Briseis. Er sah sie an. Die Verzweiflung in seinen Augen brachte Bri beinahe um ihren Verstand. Schließlich schüttelte er den Kopf. „Ich ... ich weiß es wirklich nicht."

Als niemand etwas sagte, fuhr Stina Soto mit ihrer üblichen, scheinbar teilnahmslosen Art fort: „Das Mädchen kennt Supras Lage nicht. Somit habt ihr da nur eine siebzehnjährige Piratenjägerin vierten Ranges sitzen, die das Unglück hatte, Gegenstand eines fatalen Geschichtsirrtums zu werden."

Adrian nickte. „Ihr werdet Briseis töten. Und was dann?"

Levi Fitz–Becket lächelte nachsichtig. „Dann sind wenigstens meine Rachegefühle besänftigt. Briseis bleibt."

Einen Augenblick war wieder alles still. „Wir bieten einen Tausch", sagte Stina Soto und atmete geräuschvoll aus. Anscheinend war das nicht der erhoffte Ausgang dieses Treffens gewesen.

Levi Fitz–Becket schnaubte. „Nennen Sie mir eine Person in Septentrio, die wertvoller wäre als das kleine Miststück hier."

„Ich." Bri traute ihren Ohren kaum, doch Adrian war einen Schritt nach vorn getreten, scheinbar die Ruhe selbst.

Die Armee der Nordpiraten starrte erst ihn, dann ihren Anführer ungläubig an. „Warum tun Sie das, Zimmerman?", fragte Levi Fitz–Becket – es klang nicht argwöhnisch, viel mehr neugierig.

Adrian sah Briseis eine lange Zeit an, die ihn genauso fassungslos anstarrte wie alle anderen Menschen in dem Hafen. Er beantwortete nicht Levi Fitz–Beckets Frage, sondern sagte: „Entweder Briseis oder ich. Entscheiden Sie sich, Fitz–Becket."

Fitz–Becket rieb sich das Kinn und blickte zu seinen Offizieren. Eine Frau schüttelte kaum merklich den Kopf und ein Lächeln umspielte Fitz–Beckets kantigen Mund. „Nein, mein junger Freund." Er machte eine Geste, die alle Piratenjäger hinter Adrian umfasste, die zu der Verhandlung erschienen waren. „Briseis darf gehen, dafür bleibt ihr alle hier."

Die Piratenjäger regten sich nicht. Doch als Bri die Mienen ihrer Schwestern sah, wurde ihr klar, dass das von Anfang der Plan gewesen war. Sie alle waren gekommen, um ihr Leben gegen das von Briseis zu tauschen. Und sicher nicht, weil sie Bri so gerne hatten oder fanden, dass sie zu jung war, um zu sterben. Es ging hier einzig und allein darum: Die Piratenjäger glaubten, dass Bri die Koordinaten wirklich kannte.

Tut's nicht, tut's nicht, tut's nicht, schrie alles in Bris Kopf. Verdammt, ihr verschenkt euer Leben, ich kenne keine Zahlen!

Soto nickte und sagte: „Abgemacht."

Bri wurde umgehend von mehreren Piraten hochgezogen, die ihre Fesseln durchtrennten. Sie rieb sich die schmerzenden Hände und sah unsicher ihre Schwestern an.

„Na los, Briseis, sag deinen Schwestern Lebe wohl", schlug Levi Fitz–Becket vor.

In großem Bogen ging Bri an dem Piraten vorbei zu den Piratenjägern, die ungewohnt reglos dastanden. Helen kam ihr entgegen und schlang die Arme um sie.

„Es tut mir so leid, Bri", hauchte Helen in ihr Ohr. „Bitte verzeih mir, dass wir das von dir verlangt haben."

Mia kam zu ihnen und die drei umarmten sich.

„Tut das nicht", wisperte Bri. „Das könnt ihr nicht machen, ihr wisst genau, dass –"

Mia schüttelte den Kopf. „Du musst hier sofort weg, Bri."

„Ich werde euch finden", sagte Bri mit brüchiger Stimme.

Mia lachte, sah sie an und strich ihr die Haare hinters Ohr. „Das hoffe ich für dich, kleine Schwester."

Adrian legte eine Hand auf Bris Schulter. „Renn zum Rathaus. Fross und die anderen warten dort auf dich. Sie werden dich rausbringen", sagte er schnell und leise. „Und jetzt schüttelst du meine Hand, Briseis."

Sie drehte sich zu ihm um. Verwirrt, doch mit scheinbar gleichgültiger Miene schüttelte Bri Adrians Hand und fand in ihrer einen kleinen Zettel wieder. Sie schob ihn – unauffällig, wie sie hoffte – in ihren Ärmel. „Danke, dass ihr das macht", war das Einzige, was Bri einfiel. Sobald es raus war, bereute sie die Worte.

Soto hob die Augenbrauen. „Wir tun das nicht für dich, Briseis", knurrte sie.

Bri nickte. „Ich weiß."

„Geh", sagte Helen mit einem Blick auf Levi Fitz–Becket, der sie beobachtete.

Bri ging einen Schritt zurück, sah ihre beiden Schwestern noch einmal verzweifelt an und wollte gehen.

„Ach, Briseis?"

Sie drehte sich zu Levi Fitz–Becket um.

Er lächelte. „Ich bin kein Narr. Ich weiß, warum diese Menschen bereit sind, ihr Leben für das deine zu geben." Bri erwiderte seinen Blick. „Aber zu deinem Glück bin ich ein Mann, der zu seinem Wort steht. Du bekommst eine halbe Stunde. Und wenn diese halbe Stunde um ist, werde ich jeden Stein in November – nein, in ganz Septentrio – umdrehen, bis ich dich gefunden habe." Er griff nach dem Arm einer seiner Offiziere und sah auf dessen Armbanduhr. „Und diese halbe Stunde beginnt ... jetzt."

Bri drehte sich um und durchbrach schnellen Schrittes den Kreis, die Piraten machten ihr bereitwillig Platz.

Bevor sie in die verlassene, zerbombte Straße zum Rathaus hoch abbog, drehte sie sich noch einmal zu der Menschenmenge um. Sie konnte nicht anders. Ihr Blick wanderte zu Henry, der den ihren erwiderte. So endet unsere gemeinsame Reise also, fuhr es ihr bitter durch den Kopf.

Dann rannte Bri los.

16521 Band 1: Der Pirat, der Bär und der RegenDonde viven las historias. Descúbrelo ahora