Briseis' Fehler

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Die Türen zur großen Halle des Rathauses wurden aufgestoßen und ein tosender Applaus drang Bri entgegen. November war außer sich. Überall standen die Menschen, um den Piratenprinzen sehen zu können.

Am Ende des langen Raumes stand der Rat der Piratenjäger, vor ihm Emil Fross und Stina Soto. Beängstigend stolz blickten sie den sechs Piratenjägern entgegen, die den Raum betraten.

Und dem Jungen in ihrer Mitte.

Neben Briseis ging Charlie, der sich angesichts der tobenden Menschenmenge mindestens genauso unwohl fühlte wie sie. Bri spürte ununterbrochen Henrys Blick auf sich ruhen. Er achtete nicht auf die Menschen um sich herum, auf den Lärm oder auf die Fesseln, die er ihretwegen trug. Seine ungeteilte Aufmerksamkeit galt ganz allein Briseis Bandowski.

Emil Fross trat vor, nach und nach verstummte die Menschenmenge, und der Präsident begann zu sprechen. „Der Dank der Sechsundzwanzig Städte gilt diesen jungen Menschen", rief er feierlich und wies auf die Gruppe Piratenjäger vor ihm. Somit begann die Lobrede auf die Piratenjäger der Sechsundzwanzig Städte fernab des Wassers, am Wasser und im Wasser erneut.

Briseis konnte kaum hinhören. Sie sah nur Henry. Ihretwegen vor den Piratenjägern. Die Schuld erdrückte das Mädchen und ließ ihr kaum Luft zum Atmen.

„Und nun", schloss Fross seine Rede und nickte den Männern zu, die Henry Fitz–Becket festhielten und auf die Knie zwangen. „Nun, sehr verehrte Bürger, haben wir lange genug zugesehen, wie die Piraten wie Ratten aus allen Ecken Septentrios kriechen und unsere wunderschönen Städte zerstören wollen." Fross sah kalt auf Henry hinab, der hart zurückstarrte. Nicht einmal jetzt sah man ihm die Angst an. „Denn hier ..." Der Piratenjäger legte den Kopf schräg. „Hier haben wir einen Anfang." Er holte mit der Faust aus und schlug Henry ins Gesicht. Er spuckte Blut auf den Boden.

Briseis wandte den Blick ab. Es fühlte sich an, als würde sie ertrinken. Da war einfach keine Luft mehr, die sie atmen konnte.

Sie ging mit tauben Ohren in die aufgeheizte Menge hinein. Niemand beachtete sie, während sie sich an den Leuten zu einer Tür am Ende des Raumes vorbeikämpfte. Briseis stieß sie auf, schlug sie zu und lehnte sich dagegen. Nein, nein, nein, nein ... Briseis rannte durch die leeren Flure des Rathauses zu einem Treppenhaus und immer höher, bis sie oben die Tür zum Dach aufstieß und ihr ein beißender Wind ins Gesicht fuhr.

Da war das Meer. So weit und grau. Da war November. Und da war ihre Atemlosigkeit, ihre Angst und da war die Schuld.

Bri schrie. Nach so vielen Jahren sank Bri auf die Knie und schrie in die Ferne Septentrios hinein.

Die Tür hinter Briseis öffnete sich, doch sie drehte sich nicht um. Sie starrte nur ausdruckslos in die Ferne.

„Briseis?" Charlie setzte sich neben sie und zog seinen Mantel enger um sich. Lange Zeit saßen sie nur schweigend da. „Ich bin echt nicht gut in so etwas", sagte Charlie irgendwann und atmete tief durch. „Aber ich werde es trotzdem versuchen."

Charlie tätschelte unbeholfen ihren Arm. Bri lächelte. „Du versuchst, mich zu trösten?", fragte sie mit gebrochener Stimme.

Er zog seine pinke Klaviaturkrawatte zurecht. „Du fühlst dich nicht gut."

Bri hob eine Augenbraue und sah ihn an. „Du bist ja wirklich schlau."

Er zuckte die Schultern. „Ich weiß." Bri wandte ihren Blick wieder nach vorn. „Was ich aber eigentlich sagen wollte ... Du hast das Recht dich schuldig zu fühlen."

Sie schüttelte den Kopf. „Du bist der mieseste Tröster aller fünf Richtungen", stellte sie müde fest. „Wie wär's, wenn wir einfach aufhören zu reden?"

16521 Band 1: Der Pirat, der Bär und der RegenWhere stories live. Discover now