22. Februar 1986

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Man kann nicht lächelnd in die Zukunft schauen, wenn die Augen noch voller Tränen der Vergangenheit sind.

22. Februar 1986

Viele Monate lang muss ich die Demütigung über mich ergehen lassen, die Windelwechseln, lispelnde Worte und zaghafte Schritte mit sich bringt. Oft habe ich das Gefühl zwischen Ohnmacht und Wachsein zu schwanken. Ich fühle mich nicht schlecht. Eher ist es ein schönes Gefühl. Ich lebe nur im Hier und Jetzt. Es gibt keine Sorgen und keine Verantwortungen. Ich schwebe in den Wolken.

Das Gefühl erinnert mich gefährlich an den Imperius-Fluch. Das bedeutet, dass ich aufpassen muss! Meine Konzentrationsspanne als Säugling reicht nur wenige Sekunden, doch ich bin eine talentierte Okklumentikerin. Ich kann und muss das bekämpfen und mein altes Bewusstsein sowie meinen messerscharfen Verstand zurückgewinnen. Für Gellert! Für das größere Wohl! Und allem voran für mich selbst.

Doch was geschah damals an jenem Tag, als mich ein tödlicher Fluch traf, wirklich? Obwohl ich mich an keine Einzelheiten erinnere, habe ich es mir einigermaßen zusammenreimen können. Gellert hat schon immer an Wegen geforscht, sein Leben künstlich zu verlängern. Er muss diesen Trank entwickelt haben. Vage kann ich mich an den Geschmack von Blut erinnern. Wahrscheinlich Einhornblut, dem heilende Kräfte nachgesagt werden.

Irgendetwas muss jedoch schiefgelaufen sein. Mein Körper ist gestorben, mein Geist hingegen wurde wiederbelebt. Bin ich vielleicht zwischenzeitlich in eine Art Limbus geschickt worden, während ich durch den Trank allerdings noch am Leben festhalten konnte?

Was auch immer. Ich werde es nicht verstehen können. Die Magie ist eben voller Rätsel und Mysterien, vor allem, was das Leben angeht. Was zählt, ist, dass ich nun hier bin und ich muss das Beste draus machen. Hier bin ich ein von allen Seiten bewundernswürdiges Kleinkind. Alle nennen mich talentiert und malen sich die großen Sachen aus, die ich mal tun werde.

Sobald ich sicher auf den Beinen stehe, versuche ich mich an meinen alten Kampfstellungen und Bewegungsabfolgen. Ich nutze einen einfachen Stock als Zauberstab, fuchtele damit herum, gehe in einen Ausweichschritt, ein Tritt, ein Schlag. Mein gedanklicher Gegner geht ebenfalls in die Attacke über. Mit einer Drehung um die eigene Achse und einem Schutzschild pariere ich.

Mein Fuß bleibt in einem der vielen Kuscheltiere, die meine Mutter mir ins Zimmer stellt, hängen und ich vornüber zu Boden. Schimpfend stehe ich schnell wieder auf, wende ein Ausweichmanöver an, täusche einen Tritt vor, schlage mit dem Ellenbogen zu. Dann der entscheidende Fluch und mein unsichtbarer Gegner geht zu Boden.

Die Tür meines Zimmers öffnet sich und meine Mutter blickt mich entgeistert an. „Aber Grey, was machst du denn da?" Langsam verzieht sich ihr Gesicht in ein kleines Lächeln. „Bist du etwa meine kleine Kämpferin?"

Da kommt mir eine brillante Idee. „Grey... will sum Kämfän," presse ich mir die Worte über die Lippen und versuche das Verhalten und die Redensweise normaler Kleinkinder nachzuahmen. Ich will ja schließlich keinen Verdacht schöpfen.

Meine Mutter sieht mich erstaunt an. Habe ich etwas Falsches gesagt? Ich erinnere mich vage daran, mal mitbekommen zu haben, dass auch Muggel Kämpfen als Sportart betreiben.

„Aber Grey, du bist doch noch viel zu jung," bringt meine Mutter zu meiner Enttäuschung hervor.

Kindsein ist so langweilig!

Gellerts VictoriaWhere stories live. Discover now