31. März 1997 (Teil 3)

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Es sind nicht unsere Fähigkeiten, die zeigen, wer wir wirklich sind, sondern unsere Entscheidungen. - Albus Dumbledore

31. März 1997

Mein Fluch zerschmettert die Wand in einer ohrenbetäubenden Explosion, als Dumbledore sich in einer für einen alten Mann viel zu geschmeidigen Bewegung aus dem Weg duckt. Der majestätische Phoenix, seine feuerroten Flügel weit ausgebreitet, ist augenblicklich von seinem nachmittäglichen Spaziergang wiederaufgetaucht und schwebt nun beschützerisch über seinem Herrchen. Eine schnelle Bewegung seiner Zauberstabhand und bevor ich es mir versehe, liegt mein Zauberstab in seiner Hand.

Entsetzt starre ich auf meine leere Handfläche. „Dann töte du mich eben, Dumbledore. Ich habe eh alles verloren, was mir lieb war. Ich bin dieses elende Spiel leid." Ich wage einen hasserfüllten Blick hoch zu meinem Schänder, doch entgegen meiner Erwartung befindet sich kein hämisches oder gar gewinnendes Lächeln auf seinem alten Gesicht. Stattdessen scheint er beinahe selbst den Tränen nahe zu sein.

„Grey, ich hatte gehofft, deine Seele retten zu können", murmelt Dumbledore schmerzerfüllt, „stattdessen gibst du dich deiner Wut hin. Selbst ohne getroffen zu haben, dieser Fluch, er wird eine tiefe Narbe in deinem Inneren hinterlassen."

„Tu nicht so, als würde es dich kümmern, alter Mann", stoße ich hervor, „und selbst wenn, deine Hingabe ist ein Fluch."

Ich sehe mit Genugtuung und Verwirrung, wie sich meine Worte wie scharfe Messerspitzen in Dumbledores Körper zu bohren scheinen. Für einen Moment scheint der Schulleiter mit sich zu ringen. „Ich wollte nie, dass es soweit kommt. Gellert, er hat mir alles bedeutet. Viel mehr, als es richtig gewesen wäre, bis zum Ende."

„Ach ja, genau", erwidere ich mit vor Sarkasmus triefender Stimme, „ich hatte ganz vergessen, dass man seine Liebe mit Folter und Gefangenschaft ausdrückt."

Dumbledore schüttelt den Kopf und richtet seinen Stuhl. Mit einer geschäftsmäßigen Stimme fährt er fort: „Nun, Grey, am liebsten wäre es mir natürlich, wenn du den Tarnumhang freiwillig zurückgibst." Er sieht mich auffordernd an, wie ein Lehrer seine Schülerin, als wäre nichts gewesen.

Meine Augen fliegen von dem Phoenix auf Dumbledores Schulter zu meinem Zauberstab in seiner Hand. Dann nicke ich bitter. „Meinetwegen kann der Junge ihn haben. Dann kann er ein so mächtiges Objekt weiterhin mit dummen Streichen missbrauchen."

„Danke", erwidert mein Feind. Er hält mir meinen Zauberstab hin und ich greife ihn mir so schnell, dass ich ihn dem alten Mann beinahe aus der Hand reiße.

„Darf ich jetzt gehen?", frage ich erschöpft.

„Bist du dir sicher, dass du mir nicht noch etwas zu sagen hast?"

Ich bin kurz davor, abzulehnen, dann fällt mir doch noch etwas ein. Irgendwie dumm seinen Feind um Rat zu beten, aber egal. „Ich hätte eine Frage und ich glaube, Sie sind der einzige, der sie möglicherweise beantworten könnte."

Dumbledore neigt den Kopf, als hätte er es erwartet.

„Wissen Sie, weshalb ich diesmal in Gryffindor bin? Ist es wirklich nur wegen dem scheiß Muggelblut?", sprudelt es aus mir heraus.

„Ich werde jetzt so tun, als hätte ich deine Wortwahl überhört, Ms Gant", meint der Schulleiter streng. „Nun zu deiner Frage. Leider war es der Wunsch von Salazar Slytherin, dass keine Muggelgeborenen in sein Haus kommen."

„Erzählen Sie niemandem von meinem Blutstatus als Grey Gant", unterbreche ich ihn scharf.

Der Graubart ignoriert mich. „Allerdings glaube ich nicht, dass es bloß an deinem Blutstatus liegt. Ansonsten wäre sich der Hut kaum so sicher gewesen."

„Was ist es dann?", frage ich beinahe verzweifelt.

„Ich kannte Victoria Collins nie persönlich, deshalb kann ich nur eine Vermutung anstellen. Dafür musst du wissen, dass die Ideale eines Menschen lange nichts über die Charaktereigenschaften aussagen. Du scheinst dich als Victoria Collins zu fühlen, aber ich weiß nicht, inwiefern du noch derselbe Mensch bist. Dafür müsstest du jemanden fragen, der dich in beiden Leben gekannt hat. Gellert vielleicht. Ich glaube aber, der Hut hat gesehen, dass dein Potential bei den Gryffindors am besten aufgehoben ist. In manchen Fällen entscheidet er nicht nur nach dem Charakter, sondern nach dem Besten für alle Beteiligten."

„Wie meinen Sie das?", frage ich leicht verwirrt.

Dumbledore stöhnt leise. „Stell dir vor, für den jungen Tom Riddle, der später zum dunklen Lord Voldemort wurde, wäre ein Haus außer Slytherin in Frage gekommen. Wenn der Hut sich für dieses andere Haus entschieden hätte, wäre Tom mit einer anderen Ideologie und einer anderen Gruppe von Menschen aufgewachsen. Dies hätte möglicherweise dazu geführt, dass er niemals zu Voldemort geworden wäre. Natürlich ganz hypothetisch gedacht."

„Wollen Sie mir unterstellen..."

„Nein, Grey. Ich möchte dir bloß sagen, dass du dein neues Haus, sowie dein neues Leben, nicht als Fluch, sondern als neue Chance betrachten solltest. Versuche neue Menschen in dein Leben zu lassen. Gebe den Muggelgeborenen eine Chance. Dann kannst du ja sehen, ob sie wirklich so übel sind."

Ich rolle mit den Augen, sage jedoch nichts.

Dumbledore sieht mich wissend an. „Mein Ziel ist es nicht, dich zu manipulieren, Grey. Allerdings möchte ich dich wissen lassen, dass du eine Wahl hast. Wie du sicher weißt, ist die Zukunft flexibel und nur du allein hast die Macht, zu entscheiden, was für ein Mensch du sein willst."

Ich will etwas Schnippisches erwidern, doch Dumbledore lässt mich nicht zu Wort kommen. „Wenn ich mich nicht irre, solltest du jetzt eigentlich in Zaubertränke sein, Ms Gant."

„Ich muss absolut gar nichts. Ich bin eine erwachsene Frau und Ihre Fledermaus..."

„Als erwachsene Frau solltest du auch mehr Respekt gegenüber anderen Menschen aufbringen können", erwidert Dumbledore streng.

„Würden Sie das Professor Snape auch bitte sagen?", frage ich gespielt freundlich.

Dumbledore lacht leise. „Nun, Gellerts Unterricht beginnt in weniger als zehn Minuten. Ich vermute, diese Übung kannst du dir als erwachsene Frau auch sparen?"

„Bei Merlins Bart, das habe ich glatt vergessen", rufe ich.

Ich bin schon an der Tür, als Dumbledore mich zurückruft. „Grey?"

Ich bleibe abrupt stehen.

„Ich hoffe sehr, dass du mit deiner Entscheidung das Richtige für dich wählst. Solltest du aber jemals merken, dass du...", er zögert kaum merklich, „zum Beispiel den falschen Menschen... vertraut hast, bist du jederzeit bei mir und meinen Leuten willkommen, selbst dann, wenn ich nicht mehr unter euch weilen sollte."

Ich reagiere nicht auf sein Angebot, sondern stürze die Wendeltreppe hinab, am Wasserspeier vorbei und weiter, bis ich vor Gellerts Klassenzimmer halte.

Gellerts VictoriaWhere stories live. Discover now