1. Mai 1997 (Teil 5)

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Ohne Misserfolge zu leben ist unmöglich. Es sei denn, du lebst so vorsichtig, dass du genauso gut gar nicht gelebt haben könntest – was einem totalen Scheitern gleichkommt. - J.K. Rowling

1. Mai 1997

„Grey?", murmelt Perseus Collins und macht einen zögerlichen Schritt auf mich zu. „Wir haben verloren."

„Was?!", fauche ich ihn an. „Aber..."

„Ich und Mathilde waren die ersten, die den Pokal berührt haben. Du kamst leider zu spät und sonst war keiner von uns hier oben. Das Heer der Schlangen hat ebenfalls zwei Berührungen, doch dann hat Ginevra Weasley Malfoy weggeschlagen und Potter war schnell. Sehr schnell. Es tut mir echt leid, aber Dumbledores Armee hat gewonnen", erklärt er mir in sachlichem Ton.

„Neeeiiin!", heule ich auf, „Das kann nicht sein! Du hast dich versehen, Perseus."

„Grey, es tut mir leid", wispert Collins.

„Geh weg. Lass mich allein!", brülle ich zurück.

Zögernd dreht er sich mit einem letzten unsicheren Blick zu mir um und verlässt den Turm.

Lange Zeit sitze ich unbewegt auf dem Boden und starre auf die einzelnen hellen Pünktchen der Sterne am Nachthimmel. Wie das tiefe Loch des Versagens in mir, ist die Stille um mich herum vollkommen. Auf einmal wird mir die Ruhe schmerzlichst genommen, als ich wie aus weiter Ferne die Freudenschreies und Jubelrufe der Gryffindors höre. Wütend lehne ich mich über die Brüstung des Astronomieturms, von wo aus ich die lachenden Schüler sehen kann. Einige davon fliegen auf ihren Besen umher und lassen buntes Feuerwerk in den Himmel steigen. Mit zusammengepressten Augen beobachte ich, wie eins davon in die Dunkelheit der Nacht aufsteigt und mit einem Knall in leuchtenden Farben explodiert. Einige Sekunden wirbeln die Funken in schwindelerregenden Kreisen durch die Schwärze, bis sie sich zu riesigen Buchstaben zusammensetzen und die Wörter „POTTER IST EIN STAR!" und „LEBE DUMBLEDORES ARMEE!" im dunklen Himmel aufleuchten lassen.

Ein kläglicher Laut, wie von einem verletzten Tier, dringt tief aus meiner Kehle. Ich hebe meinen Zauberstab und bin kurz davor die Wörter in „COLLINS IST EIN STAR!" umzuzaubern, als sich eine kalte Hand auf meine Schulter legt.

„Victoria", sagt Gellerts Stimme leise.

Statt mich zu ihm umzudrehen, sind meine Augen auf die bunten Buchstaben fixiert. Als ich mich endlich zum Sprechen durchringen konnte, ist meine Stimme heiser und gebrochen. „Du solltest mich nicht mehr so nennen, Gellert." Ich stocke, als meine Brust wie im Takt zu meinen Worten schmerzt. „Inkompetente Muggelbrut wäre schon passender."

„Wenn du wegen einem bloßen Spiel so über dich denkst", flüstert er mit rauer Stimme, „wie denkst du dann über mich?"

Ich öffne meinen Mund, um ihm zu widersprechen, nur um ihn wieder zu schließen. Es hat keinen Zweck den Mann zu belügen, der mich besser kennt, als ich mich selbst.

„Warum bist du hergekommen?", flüstere ich mit krächzender Stimme.

„Weil du sonst hier oben verdorren und verhungert wärst", antwortet er sachlich.

„Na und? Wäre doch nicht schlimm", murmle ich und schaue über das Geländer nach unten auf die Baumwipfeln des Verbotenen Waldes. Die nervtötenden Kinder scheinen inzwischen reingegangen zu sein.

Ich wünschte, er würde protestiert, doch als er schweigt, spreche ich weiter und jedes einzelne Wort fällt mir dabei schwer. „Es tut mir so leid, dass du mitansehen musst, wie ich so schwach geworden bin. Ich wünschte, ich könnte noch immer deine Victoria sein, stattdessen bin ich nichts, als eine Schande für dich."

Gellerts VictoriaWhere stories live. Discover now