8. Kapitel

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Die dunklen Wolken sahen aus wie die verlorene Gischt eines pechschwarzen Meeres. Der kalte Nordwind jaulte widerlich durch die finstere Nacht über die Insel Skjaldir und traf gezielt auf zitterndes Fleisch.

   Leonar war jedoch schlimmere Nächte gewöhnt. Kälte oder Nässe machte dem schweigsamen Mann aus dem Geschlecht von Badazan wenig aus, er hasste stattdessen die Geräusche anderer in seiner Nähe. Zu oft übernachtete seine Familie in einem Stall oder einer verlassenen Ruine, mussten sich wie die Tiere nebeneinanderlegen. Das Schmatzen, Schnarchen und Stöhnen um ihn herum, das verabscheute er am meisten. Luxus war es, alleine in Stille zu ruhen, egal wie kalt es war. 

   Er trat leise durch die Dachluke. „Wo ist Dallos?"

   Die zierliche Frau Marah hielt sich die Arme um den Leib und starrte ihn genervt an. Ihre Kleidung hätte in jeder Stadt des Kaiserreichs für eine Einladung zu wunderschönem Ball gereicht, doch hier in der harschen Wildnis barg sie keinen solchen Vorteil. „Läuft den Turm einmal nach unten ab und kommt dann. Wurde dir gefolgt?"

   Leonar schüttelte den Kopf. „Ich traf einen Nordmann. Sagte, ich könne nicht schlafen und würde frische Luft suchen. Er nickte mir müde zu, scheint es zu kennen." Die Kühle zischte über seine halbe Glatze und schenkte Leonar ein seltenes Lächeln.

   „Der Mann kann also doch schmunzeln?!" Marah grunzte höhnisch und rieb sich die Hände. „Und dass bei dieser Eiseskälte. Welche Wurzeln sind bei dir falsch gewachsen, wie die Waldelfen sagen?"

   „Stille ... Nur der Wind und sein Rauschen ... Ruhe." Leonar fing sein Lächeln wieder ein, ertrank es wie einen Welpen im Brunnen. „Sie sagen mir schlicht zu."

   Marah schnalzte mit der Zunge. „Der Wahnsinn rennt freier auf dem Land herum. Keine Stunde vergeht, ohne dass ich die Farben von Calicedam vermisse, das Belauschen, Planen, Schmieden. Unser Handwerk hier ist trunkenes Kinderspiel dagegen."

   „Weil Schwester Fabienne es ebenso wünschte."

   Die schmale Frau stöhnte geschlagen. „Gewiss. Und ich werde nicht den Fehler begehen, auf Fabiennes schlechter Seite zu stehen. Und lehren tut es mich auch. Aber ich hätte mir gern weniger primitive Ziele gewünscht. Oder Begleitung." Ihr verspieltes Zwinkern fuhr zu Leonar herüber, doch der Mann hielt seine Miene ruhig. Zu oft wurde er provoziert, deutlich Schlimmeres hatte er sein Leben lang erdulden müssen.

   „Was ein Mundwerk!" Rasch war Dallos von Rehmar durch die Dachluke getreten und schlug Leonar vertraut auf die Schulter, als seien sie beide alte Freunde oder sogar Brüder. Die Geste fühlte sich gänzlich leer an. „Die gute Marah redet so frech wie Fabienne selbst."

   „Weil die gute Marah sich dies erlauben kann!" Die gerissene Frau schnipste dem frechen Mann zu. „Rede. Der Turm?"

   „Wir sind ungestört. Man hört nichts von hier oben, erst auf der Leiter." Der bärtige Mann übergab Marah mit einem formalen Handwinken das Wort, war sie doch offiziell deren Anführerin.

   Und die Frau brauchte keinen Atemzug, um den Ton an sich zu reißen. „Wirkliches Aushorchen kann man hier nicht, aber ein paar wenige Informationen habe ich. Der Turm hier dient, wie vermutet, als Wachturm für das Dorf Flispa inmitten der Insel. Nun, im Norden liegt ein Wald, der zitternde oder auch kalte Wald wird er von den Primitiven hier genannt. Und jetzt wird es interessant. Eigentlich leben dort Waldelfen, manchmal Eiselfen. Die Stämme hier sind anscheinend im Dauerkonflikt, jeder hasst jeden und kann doch nicht ohne. Jedenfalls verbirgt sich unter dem Wald ein Höhlensystem, man munkelt alte Ruinen der Wasserzwerge, Uk'haral. Die Nordmänner von Flispa nutzen diese in besonders schlimmen Kriegszeiten als Schutz und Zuflucht."

Die bleiche Königin - Geburt des TerrorsDonde viven las historias. Descúbrelo ahora