11. Kapitel

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Marah spürte sich fallen, fremde Luft zischte an ihrem Körper entlang. Die Bilder des großen, rothaarigen Fremden kamen ihr wieder vors innere Auge, der Wisch mit dessen mächtige Gleve, ihr Arm, der wie eine tote Möwe durch die Luft flog. Marah blickte auf den Stumpf an ihrer Rechten und langsam formte sich ein Schrei auf ihren Lippen.

   Da packten sie Finger, dünn und kalt. Sie griffen nicht mit der Behutsamkeit einer Mutter, sondern mit dem Hunger eines Sterbenden. Gewiss die Finger des Todes.

   Marah schloss die Augen und ließ von den kalten Fingern hinwegziehen. Würden diese sie tatsächlich ins nächste Sein schicken, sie wäre ihnen nicht einmal böse.

   Plötzlich drückte sie jemand zu Boden. „Leonar, hol Hilfe, jetzt." Die sonst so falsche Stimme von Dallos drang nun panisch in ihr Ohr und der bärtige Mann begutachtete ihren Körper mit größter Sorge. „Ich muss das abbinden, sonst ist es um Sie vorbei."

   „Der ... Herr Dorrash?!" Neben dem keuchenden Vampir stand auf eine seltsame Weise verloren Leonar von Badazan. „Was ist mit ..."

   „Kannst du Vampire heilen? Kannst du?" Dallos warf ihm einen feurigen Blick zu. „Wir brauchen jeden, jeden sonst ist es aus! Hast du nicht gesehen, was dort geschah?!"

   „Mein Arm ... ich ... wo ist er?" Marahs Stimme begann zu brechen, sie spürte sich ihren Halt über ihren Geist verlieren.

   Dallos blickte sie halb belustigt, halb äußerst besorgt an. „Ruhig, ganz ruhig, wir dienen den Ewigen, schon vergessen? Ihnen und ihrer unendlichen Magie. Alles wird wieder hergestellt. Ganz ruhig, doch vorher müsst ihr leben! Haltet meinen Gürtel fest, lasst ihn nicht locker!" Er legte das Leder oberhalb des Stumpfes an und zog es fest, gab es Marah in ihre verbliebende Hand. „Leonar, hol jetzt endlich Hilfe!"

   "Er ist zu dumm, ihr seid zu dumm, ich mach das, ich schaff das." Mit der Kraft einer Verlorenen hob sich Marah auf die Beine und taumelte blind vor. "Ich führe euch, ich."

   Dallos und Leonar fassten sie nicht, stattdessen begannen sie heftig zu schreien, streiten voller Wut.

   Marah hatte nicht die Kraft ihnen zu zuhören. Sie taumelte weiter ziellos davon. Der Raum, der Weg, nichts davon wurde von ihr wahrgenommen.

   Plötzlich stand sie auf einem Balkon in der Größe einer Festhalle. Ihre Augen zuckten umher und mit dem wiederkehrenden Schmerz an ihrem Stumpf und dem Pulsieren des Lebens in ihren warmen Adern nahm sie ihre Umgebung endlich wahr.

   Es war eine Höhle von einer solchen Größe, die kein Zwergenreich je so hätte schlagen können. Dunkler Stein verlor sich in einer ewig tiefen Decke, die Ränder der Höhle nicht auszumachen. Die Höhle fiel beinah genauso tief, gerade so konnte Marah deren Boden ausmachen, verschwommen unter den Schatten. Doch dieses unnatürliche Meisterwerk stand nicht leer.

   Inmitten dieser atemberaubenden Weite ragten unzählige Säulen. Eine jede war so breit wie ein Königspalast und sie fielen vom höchsten Punkt der Höhlendecke auf den kaum gesehenen Boden. Brücken zahlloser Art verliefen zwischen den gigantischen Bauwerken und unendliche Fenster in den Säulen zeugten von unbegrenzt vielen Räumen, Hallen und Sälen.

   Die Bauwerke glänzten beinah pechschwarz, nur ein matter Schimmer flog über deren Stahl hinweg. Jeder Winkel sah einfach, robust und wenig verziert aus, jedes Gemäuer wirkte zeitlos.

   Marah nahm all dies auf, sie erblickte inmitten der Säulen ein anderes Werk.

   Dort lauerte auf dem Boden der endlosen Höhle schwarzer, kantiger Stahl in der Form eines Käfigs. Die Streben waren in einem Halbkreis über den Höhlenboden gezogen worden, dies in einer nie gesehenen Größe. Zur Decke des gigantischen Käfigs brachen die Streben auf, was immer einst dort gehalten wurde, es hinterließ Spuren seines Ausbruchs.

Die bleiche Königin - Geburt des TerrorsWhere stories live. Discover now