28. Kapitel

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Der Anblick des kaiserlichen Thronsaals wäre für jeden Sterblichen eine nie zu vergessene Augenweide gewesen. Die weiße, hohe Halle war mit solch großen, feinverzierten Glasscheiben versehen, man könnte meinen, im ewigen Licht der Welt zu stehen. Das eigene Bild wurde zehnfach mächtig und imposant zurück gespiegelt.

   An der strahlenden Steinwand zogen sich die Statuen der ehemaligen Herrscher von Calicedam entlang.

   Als letztes in der Reihe ruhte das Ebenbild des toten Kaisers Sevus Brale. Davor sein Vorgänger und danach wieder ein Kaiser, solange herunter, bis man zu der Zeit der Könige kam, bevor es überhaupt ein Kaiserreich gab.

   Am Ende des Geschlechts der Herrscher stand die Figur des ersten Königs von Calicedam, Klen aus dem Volk der Knarebe, erster König, Erster unter den Menschen.

   Neben ihm tänzelte die Statue des ersten Prinzen Jol, wuschiges rotes Haar fiel auf ein strahlendes und verspieltes Gesicht.

   Auf der anderen Seite prahlte die majestätische Figur der Mala, Körper kräftig und breit, das Haar gerade und dunkel. Die erste Prinzessin von Calicedam und Erste der Vam Ir.

   Der Thronsaal erzählte Geschichte älter als manches Volk oder Königreich, doch kein Augenpaar lag auf den Hallen. Stattdessen sah man nur auf sie, die gerade Geschichte schrieb, anstatt sie zu begutachten.

   Langsam schlenderte die bleiche Königin den langen, roten Teppich auf den Thron am Ende des Saals zu. Ihre Figur stolzierte mit Triumpf, ihr Gesicht ehrgeiziger als je zuvor. Ein jeder Vampir vor Ort schätzte ihre Kraft.

   Sämtliche Mitglieder ihres Ratgeberkreises, bis auf Ritter Ankis, standen in Reihe neben dem Thron. Vor ihnen kauerte eine Gruppe älterer Menschen in feinen Roben.

   Milana wanderte so langsam wie die Sonne selbst und setzte sich schließlich mit der Ruhe eines Gottes in ihren Kaiserstuhl. Bei der Berührung mit dem kalten Stein verlor das Licht der Sonne außerhalb des Saals an Stärke.

   Es herrschte absolute Stille, als sie ihre Lippen öffnete. „Und ihr seid die weisen und klugen Menschen, die einen Ersatz für diesen Thron suchten. Einen nächsten Kaiser?"

   Die Sterblichen zitterten, keiner schaffte es die bleiche Königin länger als einen flüchtigen Moment anzusehen.

   Milana musste nichts erfragen, was sie nicht schon wusste. Ein Schwank ihres Kopfs und die Menschen atmeten ihren letzten Schwall Luft. Alle fielen stumm und tot zu Boden.

   „Sevus Brale und seine Erben sind im nächsten Sein. Kein Sterblicher trägt einen Anspruch auf den Thron in Calicedam mehr. Das Volk der Rotsonnen, Nachfahren von Jol, dem lachenden Prinzen, sind an mir gescheitert. An mir, der bleichen Königin, Tochter von Malum dem Apfelkönig, wiederum Sohn von Mala der Ersten, Prinzessin aus Calicedam. Einzig Recht auf diesen Thron, dieses Reich, trage ich."

   Bei diesen Worten schnitt sich ein jeder Vampir in die Hand und legte seine roten Finger auf die Brust über stille Herzen. „Am Ende die bleiche Königin!" So hallte es durch den Saal, in Einheit, in Ehre und Treue.

   Milana sah zu Fabienne, welcher hinter sich winkte. Augenblicklich trat die schöne Frau Lisa hervor, vor ihr ein kleiner Junge. „Er wäre es gewesen, meine Herrin, er wäre der nächste Kaiser geworden."

   Das Kind lag stumm zu Boden, schaut nicht hoch, nässte sich ein.

   Milana erhob sich aus ihrem Thron und glitt zu dem Häufchen Elend, trat um dieses herum wie um einen toten Welpen am Straßenrand. „Hereingezogen in einen Krieg, eine Pflicht gar sicherlich tödlich. Aus welchem Haus hat man dich geholt? Holzbranden? Rhui? Tragebun? Sag es mir nicht, vielleicht wollte man gar ein Neues mit dir gründen."

Die bleiche Königin - Geburt des TerrorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt