17. Kapitel

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„Purer Selbstmord!" Dallos trat mit seinem Stiefel durch eine dichte Schlammpfütze, verteilte dicke Flecken auf dem Umhang von Leonar. „Ich meine, dass müssten sie wissen, oder?"

   Die drei Blutsverräter standen am Rand der Kaiserreichs Hauptstadt Calicedam. Eine hohe Mauer zog sich um Türme, Brücken und Paläste herum. Weißer, blauer und gelber Stein schmückte die Außenwände der Gemäuer, die Flaggen des Kaiserreichs hingen überall sichtbar, stolz und trotzig. Das Symbol darauf war jedem in Auervam bekannt. Ein Schwert ohne Griff, ein viereckiger Schild und ein Buch mit leeren Seiten drehten sich um einen Kreis. An den Mauern sah man noch die alten Wunde. Risse, Splitter und ganze Löcher klafften in dem sonst so glatten Stein. Manche davon waren bereits mit Holzplatten bedeckt, andere lagen offen wie ein frisch geplatzter Pickel.

   Die großen Hallen der Wohlhabenden und Einflussreichen wirkten seltsam leer, doch in Gossen vor der Stadtmauer blühte das Leben auf wie frischer Schimmel. Unzählige Holzhütten aus morschen, gebrochenen Planken reihten sich an und von den Mauern zusammen. Aus der Vielzahl dieser Slums bildeten sich Hauptstraßen und Gassen und eine jede war von dutzenden Menschen bewandert. Man schrie, brüllte, lachte, weinte und schaffte. Trotz sieben Jahre Herrschaft unter der bleichen Königin kehrte das Leben beinah frech wieder zurück.

   Leonar verzog bei dem Anblick nur die Lippen zu einer schmalen Linie. „Marah, Assistentin und bekanntes Gesicht neben Schwester Fabienne. Dallos, Verräter seines Hauses, soweit bekannt. Und Leonar von Badazan, der Mann, der den Kaiser tötete. Und diese drei treten auf die Hauptstadt zu." Ein Grinsen flog über sein Gesicht, selten und scharf. „Wo bleibt dein Sinn für das Unmögliche, der Rausch des Dienstes?!"

   Dallos schüttelte geschlagen den Kopf. „Sie haben Angst, das merkt man, sehr sogar. Sonst würden sie nicht drei gebrochene Fleischsäcke wie uns losschicken. Vor allem uns. In die bei Defala verschissene Hauptstadt des Kaiserreichs!"

   Leonars Blick härtete sich. „Recht hast du. Sie haben Angst. Alle. Aber deine Stimme ist nun zu bändigen. Wir sind wieder unter Menschen. Und frei und ungebunden sprechen konnten wir unter diesen noch nie. Achte auf deine Zunge. Du kannst nicht so anstandslos und wie eine Göre reden, nicht so wie es Schwester Fabienne tut."

   Dallos hob warnend einen Finger. „Vorsicht Großer. Solche Gedanken sind schnell zu verstecken. Frag dich mal, warum sich gerade Fabienne solch ein Verhalten herausnehmen darf, gerade im Vergleich zu den anderen. Vampire herrschen nicht mit Titel allein, Macht muss dahinterstehen. Warum darf sie sich also wie eine Göre aufführen, hä?"

   „Nicht in die Stadtmauern, sondern in die Slums davor." Leise krächzte sich Marahs Stimme unter Leonars breiten, groben Umhang hervor. Die schmale Frau traute sich kaum von dessen Seite. Mit ihren nun zwangsweisen kurzgeschnittenen Haaren und ihrem eingefallenen Gesicht sah sie wie ein frischer, kaiserlicher Flüchtling aus. Auch ihr fehlender Arm half bei dieser Erscheinung, ließen Vampire doch selten Krüppel davonziehen. „Die Slums sind besser, hier waren wir kaum."

   Leonar formte einen kleinen Kreis. „Flüchtlinge, aus dem Süden. Versteckten uns in den Steppen von Rapapalosch und kehren jetzt wieder. Haben niemanden gesehen, niemanden. So ist unser Unwissen geschützt. Lebten alleine, nur wir drei. Verstanden?!"

   Schweigen betonte ihre Zustimmung.

   „Der Gabara, der Keckdrache, er ist ein Schatz. Wir wollen ihn jagen und sein Inhalt verkaufen. Goldgier, das treibt uns an, verstanden? Kennen den Handel mit solchem Fleisch aus den Steppen. Nicht zu viele Muskeln anheuern, sonst wird die Beute zu sehr geteilt."

   Dallos kicherte in sich hinein. „Sollen wir fragen, ob sie bereits einen neuen Kaiseranwärter gefunden haben? Dann kannst direkt zweimal in die Geschichte eingehen."

Die bleiche Königin - Geburt des TerrorsWhere stories live. Discover now