24. Kapitel

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Vor den großen Toren der Hauptstadt des Kaiserreichs lebte ein kleiner Mann. Und dieser Mann kannte seit vielen Jahren kein anderes Leben als das in seiner bescheidenen Hütte vor der gewaltigen Mauer von Calicedam. Die Hauptstadt war voll mit ehrbaren Menschen und solchen, die Ruhm ihren stetigen Begleiter nannten.

   Nicht so jedoch der kleine Mann. Seine Familie trug einst einen ehrvollen Namen und wohnte tief im hohen Kreis der mächtigen Stadt. Doch nun lag eben dieser Name seit Jahrzehnten in Ungnade. Und das schmerzte ihn sehr, wenn nicht das Leben so hastig an ihm vorbeiziehen würde. Seit vielen Jahren schon hegte er die Vermutung, das Sein wolle ihn abschütteln, wie eine lästige Fliege.

   So verbrachte er seine Jahre in seinem Heim und ging nur dem Handwerk nach, das einst seinen Eltern Ruhm schenkte. Von morgens bis abends hämmerte und feilte der kleine Mann aus Calicedam an seinen Statuen. Sein Haus gehörte einst zu den engsten Kreisen der höchsten Künstler des Kaiserreichs, dessen Werke seltener als eine Audienz beim Kaiser selbst.

   Doch diese Zeiten endeten, da war der kleine Mann aus Calicedam nicht einmal zehn Jahre alt. Schließlich war er der Einzige, der sich der alten Handwerkskunst seiner Familie annahm, war er doch der letzte ihrer.

   Seine Eltern gingen früh, noch kein Mann war er gewesen. Der Diebstahl ihres Ruhmes, die Schändung ihrer Kunst, Mutter und Vater nahmen sich selbst aus dem Sein. So blieben nur er und seine unzähligen Geschwister übrig. Doch selbst in seinem eigenen Blut war der kleine Mann nicht äußerst willkommen.

   Nach dem Tod ihrer Eltern verloren sich seine Brüder und Schwestern in andere Handwerke, doch er hielt an der Bildhauerei fest. So schenkten sie ihm die kleine Hütte eines ehemaligen Bediensteten, die Werkzeuge ihrer Eltern und endlos Stein. Seine Geschwister sperrten den kleinen Mann damit aus ihrem neuen Leben aus.

   Auch kamen sie kaum mehr zu Besuch. Jedes Klopfen an seiner Tür erinnerte mehr an eine mühselige Pflicht, als an einen willkommenen Austausch mit dem eigenen Haus. Doch auch das Klopfen seiner Geschwister hörte auf. Tatsächlich fand alles Klopfen ein rasches Ende, an einem Tag vor sieben Jahren.

   Calicedam schrie unter Qualen, als die bleiche Königin vor den Toren aufgetaucht war und den Stolz des Kaiserreichs in einer Nacht allein eingenommen hatte. Erstes Opfer der Vampire soll der Kaiser selbst gewesen sein, fand der kleine Mann aus Calicedam dies nur all zu fair. Seit diesem Tag herrschte die Stille über die Gassen der Hauptstadt.

   Für sieben Jahren lebte der kleine Mann wie ein flüchtiger Schatten unter der bleichen Königin, denn wenig hatte sich für ihn geändert. Er kaufte sein Gemüse beim selben Stand, wenn auch nun bei neuem Verkäufer. Er verbrachte immer noch jeden 5. Tag in der kleinen Ecktaverne, hörte dort nun weniger Worte der Freude, sondern solche der Angst. Und er spazierte einmal in der Woche durch die Felder hindurch, knackte der Boden nun lauter, dank all der Knochen in ihm begraben. Der kleine Mann saß seine Zeit auf diesem Bild ab, fühlte sich sein Sein doch schon so lange nicht mehr wie Leben an.

   Doch dann, vor nicht allzu langer Zeit, stürmten die Feinde der Vampire aus den Wäldern. Die Rotsonnen, ein Volk voller Mythen und Magie, sie eroberten die Hauptstadt in weniger als drei Tagen. Und die Gassen jubelten wieder mit Freude und Trauer auf, die Stille verlor mehr an Raum. Die letzten sieben Jahren wurden wie Dreck auf einem Pflasterstein hinweg gespült und man traute sich wieder zu leben.

   Doch nicht so der kleine Mann aus Calicedam. Der Sieg der Rotsonnen, der Völker mit Puls, ging an ihm so spurlos vorbei wie die Eroberung durch die bleiche Königin. Er kaufte sein Gemüse, trank in der Taverne und lief durch die Felder wie zuvor. Allein und tüchtig.


Eines Sommerabends stand der kleine Mann in seiner winzigen Hütte und schlug auf seinen Stein, formte Sein aus dem Nichts. Nur wenige Kerzen erleuchteten die Kammer und flackerten immer wieder gierig auf, wenn sich eine Mücke zu nah an die Flammen traute.

Die bleiche Königin - Geburt des TerrorsWhere stories live. Discover now