- Kapitel 6 -

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Lukes Sicht

Ich ließ Jules keine Sekunde aus den Augen.

»Luke. Damit wir uns verstehen... Im Moment bin ich auf deiner Seite und nicht auf der meiner Schwester. Ich hab gesehen was die Angst mit dir macht und ungerne möchte ich, dass das noch einmal passiert. Trotzdem möchte ich dir zeigen, dass ich, so wie ich jetzt bin, ohne Dienstkleidung und Equipment, ungefährlich bin.« Skeptisch schaute ich ihn an.

»Eine Sache möchte ich dir zeigen, dass sie nicht schlimm ist. Dafür brauche ich nichts weiter als die hier.« Er zeigte mir seine rechte Hand. »Und ein Handgelenk von dir«, fuhr er fort.

»Was will er mit meinem Handgelenk?«, fragte ich mich. Unsicher darüber, ob ich ihm eine Chance geben sollte, schaute ich zu Akira. Versuchte aus ihrer Körpersprache etwas rauszulesen, was mir bei der Entscheidung hilfreich sein konnte. Sie schaute Jules mit nachdenklich gerunzelter Stirn an. Sie schien ebenso wenig zu wissen, was Jules vorhatte, wie ich und war sich genauso unsicher.

»Was hast du vor?«, brachte ich die Frage hervor. »Puls messen. Mehr nicht. Versprochen«, versicherte er mir. »Wirklich nicht mehr?.« Die Frage kam von Akira. »Ihr habt mein Wort«. Dann nickte sie, wachsam blieb sie trotzdem.

Ab den Moment lag es an meiner Entscheidung, ob ich Jules ließ oder nicht.

»Er hat gesagt, er hält sein Wort und misst nur Puls. Nur Puls messen. Das ist nichts Schlimmes. Nichts wovor ich Angst haben muss«, redete ich mir ein. Mein Herz raste dennoch und mein Körper zitterte.

In einem innerlichen Kampf gegen mich selbst versuchte ich stärker zu sein als die Angst und Jules mein rechtes Handgelenk hinzuhalten.

»Er ist mein Onkel. Wieso sollte er mir wehtun wollen? Dazu hat er keinen Grund«, versuchte ich mich weiter zu überzeugen.

Tief atmete ich durch, schloss die Augen und schaffte es meine Hand nach Jules auszustrecken. Sie zitterte.

Angespannt wartete ich darauf, dass ich die Berührung spürte. Doch es passierte nichts. Irritiert öffnete ich die Augen und schaute zu Jules. Er lächelte leicht, und griff Vorsichtig nach meinem Handgelenk. Das Verlangen es zurückzuziehen war enorm, doch ich kämpfte dagegen an.

Gefühlte Minuten vergingen und niemand bewegte sich großartig. Wie viel Zeit wirklich vergangen war, bis Jules mein Handgelenk losließ, wusste ich nicht.

»Ich bin stolz auf dich. Jetzt lasse ich dich in Ruhe«, lobte er mich und zog dabei die Mundwinkel nach oben. Daraufhin stand er auf und verließ das Wohnzimmer.

Ohne was zu sagen, schaute ich ihm nach. Noch Sekunden nachdem er durch die Tür verschwunden war, starrte ich dorthin.

Aus meiner Starre geholt wurde ich von Akira, die mich in ihre Arme zog. »Ich bin auch stolz auf dich«, äußerte meine Zwillingsschwester und drückte mich.

Erschöpft legte ich meinen Kopf an sie und schloss die Augen. Die Wärme, die von ihr ausging, ermüdete mich mehr, sodass ich nach wenigen Minuten eingeschlafen war.

Die nächsten Tage zogen ins Land. Der Juli endete, der August begann. Am ersten August, etwa eine Woche nach dem Zwischenfall mit Jules und meiner bis da heftigsten Panikattacke, hatte Mom ihren ersten Ausbildungstag und Dad seinen ersten Arbeitstag bei seinem neuen Arbeitgeber.

Außerdem kam der Tag des ersten Schultags an der neuen Schule immer näher.

Am Sonntag des letzten Wochenendes vor dem ersten Schultag nach den Ferien war ich alleine nach draußen gegangen und erkundete das Viertel. Von dem kannte ich bis da nur den Weg zur Bushaltestelle und die Straße, wo unser Haus steht.

Ziellos lief ich umher. Schaute mich um.

»Ob es hier einen Ort gibt, der sich zum Parkour Trainieren eignet?«, kam die Frage in mir auf. Ab dem Moment hatte ich ein Ziel und hielt Ausschau nach einem passenden Ort.

Den zu finden war schwer. Doch nicht unmöglich.

Irgendwann fand ich einen Ort der perfekt für Leute wie mich geeignet war. Kleine Hindernisse zum Überspringen und runterspringen für Tricks. Etwas höhere Hindernisse, die Mauern glichen und Stangen dazwischen.
Zwar war ich auf eine Trainingseinlage nicht vorbereitet, das hinderte mich jedoch nicht meine Fähigkeiten an dem Ort zu testen.

»Den Ort muss ich mir merken.«

Die weitere Erkundung des Viertels war vergessen. Völlig ins Parkour-Training fokussiert, versuchte herauszufinden, wie sehr meine Fähigkeiten unter der Pause gelitten haben. Es stellte sich heraus, dass sich nichts großartig geändert hatte.

»Besser so. Falls Mom wieder auf komische Ideen kommt. Zum Beispiel mich zum Arzt oder so schleppen zu wollen.«

Irgendwann musste ich das Training beenden. Schließlich hatte ich nichts zu trinken dabei und ich musste noch den Weg zurück nach Hause laufen. Im Sommer nicht wirklich schlau ohne was zu trinken länger rauszugehen.

Zu Hause angenommen war das Erste was ich tat etwas Trinken. Zwei Gläser Wasser gingen ohne Probleme runter.

»Wie war's?«, wurde ich gefragt. Akira stand im Türrahmen. »Gut. Ich hab einen Ort gefunden, an dem ich trainieren kann.« »Freut mich. Aber Pass bitte auf dich auf, wenn du trainierst«, bat sie mich drum. »Keine Sorgen. Ich bin vorsichtig«, versicherte ich. »Danke«. Dann verließ sie die Küche. Wenig später tat ich es ihr gleich und ging duschen.

Mit jeder Stunde, die der nächste Tag näher rückte, wurde ich nervöser. Schulangst hatte ich keine. Eher lag es daran, dass ich nicht wusste, was mich erwartete. Noch nie zuvor hatten wir die Schule gewechselt.

»Wie unsere Klasse wohl sein wird? Und die Lehrer? Hmm ...«

Kopfschüttelnd beschloss ich nicht weiter darüber nachzudenken und mich mit dem Schauen von Youtube Videos zu beschäftigen. Das lenkte mich gut ab.

Pünktlich um 22 Uhr ging es ins Bett. Der Wecker war für 6 Uhr gestellt.
Müde wegen des Trainings schloss ich die Augen. Trotz der Nervosität war ich schnell eingeschlafen.

WKM - Angst vor ihnen Donde viven las historias. Descúbrelo ahora