- Kapitel 25 -

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Lukes Sicht

Freitag. Der Tag, an dem Jules nach Dienstende vorbeikommen wollte, um das tägliche Pflasterwechseln zu erledigen. Genau definiert hatte er "nach Dienstende" nicht. Das einzige, was ich wusste, war, dass es nach dem Abendessen war.

Das Abendessen war bereits vorbei und ich saß in meinem Zimmer und machte die neuen Physio Übungen, die ich von der Physiotherapie am Donnerstag neu gezeigt bekommen habe.

Mitten drin klopfte es an meiner Tür und ich konnte ahnen, wer es war.

Trotz, dass ich wüsste, dass Jules vor der Tür stand, rollte nicht, wie noch zu Beginn, bereits zu diesem Zeitpunkt die Panikwelle los. Einzig und allein und unwohles Gefühl ließ mich wissen, dass die Angst im Hintergrund lauerte und darauf wartete zuschlagen zu können. Wie ein Raubtier, das auf der Lauer lag, um im richtigen Moment seine Beute zu packen.

Ich gab meinem Onkel die Erlaubnis reinzukommen und die Tür öffnete sich. Wie vermutet war es wirklich er.

»Hey. Alles klar?«, begrüßte er mich und schloss die Tür hinter sich. Auf die Frage nickte ich. Er setzte sich zu mir aufs Bett.

Ich richtete meinen Blick in Richtung Wand gegenüber. Wie immer wollte ich nicht sehen, was er da machte.

»Stimmt es, dass du am Dienstag einem Jungen aus deiner Schule geholfen hast, als es diesen schlecht ging?«, wollte Jules wissen, als er die Schiene entfernte.

Wie hatte er das denn mitbekommen? Nicht mal Mom und Dad wussten davon.

»Ja, habe ich. Woher weißt du das?«

»Der Junge heißt Marius, stimmt's?«

Ich nickte.

»Ich soll dir ein Danke von seinem Vater ausrichten. Er ist ein Kollege von mir«, gab er mir die Quelle bekannt, woher er davon wusste.

Kaltes Desinfektionsmittel traf auf meine Haut und mir lief ein Schauer über den Rücken.
Es ziepte leicht, als er das Pflaster entfernte.

»Kennst du Marius auch selbst?«, interessierte es mich
»Er ist öfter mal nach der Schule auf der Wache, wenn sein Vater Dienst hat. Deshalb kenne ich ihn, ja«.

Das erklärte, wieso er keine große Angst vor dem Rettungsdienst hatte, als diese sich um ihn gekümmert hatten.

Im Gegensatz zu mir, der allein bei dem Gedanken einen flauen Magen bekam.

Paradoxerweise schwächte sich die Angst gegenüber dem täglichen Pflasterwechsel von Jules immer weiter ab.

»Wie geht's Marius? Weißt du das?«, versuchte ich rauszufinden.
»Ihm geht es mittlerweile wieder ganz gut.«

Immerhin.
Mein schlechtes Gewissen wegen meiner plötzlichen Flucht war immer noch da.

Wieder das Desinfektionsmittel. Dieses Mal zum Saubermachen statt Pflaster aufweichen.

»Ich finde es übrigens bemerkenswert, wie ruhig du mittlerweile dabei bleiben kannst«, wechselte er das Thema.

»Was normal sein sollte«, meinte ich.

»Für viele ist es was Normales, aber für dich ist es etwas, wo du lernen musst, dass es nichts Schlimmes ist. Das ist nicht verwerflich. Auch wenn es noch so klein ist. Jeder Fortschritt zählt«, versuchte er mich dazu zu bringen diesen Fortschritt anzuerkennen und machte ein neues Pflaster auf die OP Wunde.

»Das klappt jetzt zwar, ohne, dass ich sofort in Panik verfalle, aber es gibt noch so viel, was gar nicht klappt.«

Jules atmete etwas lauter aus als normal und hielt beim neuen fixieren der Kunstoffgipschiene inne, um mich anzuschauen.

»Hör auf, deinen Fortschritt als nichts wert abzustempeln. Nimm es als Motivation, weiter an der Angst zu arbeiten.«

»Und das ist das Schwierige. Wie soll ich daran weiter arbeiten?«

Da war sie wieder. Die Frage um das Wie, die mir immer und immer wieder durch den Kopf flog.

»Übrigens, das hätte ich fast vergessen ...«, wechselte er erneut das Thema und wickelte die Mullbinde weiter um meinen Arm und die Schiene.
»Marius selbst hat mich gebeten, dich zu fragen, ob du dich mit ihm außerhalb der Schule treffen willst«, fuhr er fort.

Damit hatte ich nicht gerechnet. Eher war ich davon ausgegangen, dass er sauer auf mich war, weil ich nicht bei ihm geblieben war. Und nun wollte er sich mit mir treffen?

Perplex schaute ich zu Jules.

»Ist diese Frage für dich so eine Überraschung?«, war seine Frage auf meinen offensichtlich verwunderte. Gesichtsausdruck.
»Ich hab gedacht er ist sauer auf mich«, sagte ich leise, fast murmelnd.
»Wieso sollte er sauer auf dich sein?«
»Ich hab ihn mit den Rettungskräften allein gelassen, obwohl er meine Hand festgehalten hat und wohl wollte, dass ich da bleibe. Meine Angst hat leider gewonnen und ich hab wortlos die Flucht ergriffen«, schilderte ich ihm, was passiert war, damit er es besser verstand.
»Achso. Nein. Er ist nicht sauer. Mach dir darum keine Gedanken«, erlöste er mich etwas von dem schlechten Gewissen.

Erleichtert atmete ich aus und ein Teil der Anspannung fiel von mir ab.

»Hättest du denn Lust dich mit ihm zu treffen?«, kam er auf seine Ursprungsfrage zurück.

Ein unsicheres Schulterzucken war das einzige, was ich in dem Moment als Antwort parat hatte. Zu unsicher war ich mir bei dieser Entscheidung.

»Du bist dir unsicher?«

Zustimmend nickte ich.

Es waren mehrere Dinge, die mir die Entscheidung erschwerten.

Eines der Dinge und das wohl ausschlaggebendste war, dass Jules erwähnt hatte, dass Marius Vater sein Kollege ist. Also muss dieser einen medizinischen Beruf ausüben.

»Ich brauche Bedenkzeit«, meinte ich, da ich in diesem Moment und in der begrenzten Zeit, die er da war, keine Entscheidung fällen konnte.

Jules nahm das mit einem Nicken zur Kenntnis.
»Er ist Montag wieder in der Schule. Vielleicht kommt er dann auf dich zu und fragt dich selbst nochmal. Bis da hast du ja noch etwas Zeit zum überlegen.«

Drei Tage. Außerdem stand an diesem Tag der nächste Termin im Krankenhaus an.

Jules entsorgte den Müll, der beim Verbandswechsel entstanden ist und schaut danach zu mir.

»Ich muss jetzt wieder los. Meine Freundin wartet auf mich. Wir sehen uns morgen wieder. Und denk an meine Worte: Rede dir deinen Fortschritt nicht kleiner als er ist!«, verabschiedete er sich.
»Bis morgen«, erwiderte ich die Verabschiedung, woraufhin er mein Zimmer verließ.

Stille durchzog mein Zimmer.

»Marius will sich mit mir treffen, aber wie soll ich mit seinem Vater umgehen? Wenn die Panik greift, ist das Treffen ruiniert und zwei Leute mehr wissen von meiner Angst. Das soll nicht passieren!«

Entweder ich fand eine Lösung oder ich musste absagen.

Keinesfalls sollte es in einer Katastrophe enden, weil ich mich nicht im Griff hatte!

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt