- Kapitel 18 -

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Lukes Sicht

Verwirrt blinzelte ich, als ich begann wieder zu mir zu kommen. Die weiße Zimmerdecke war das, was ich zuerst sah.

Ziemlich direkt nach meinem Erwachen kam meine Erinnerung wieder, was überhaupt geschehen war. Schneller als ich sollte, setzte ich mich auf und schaute mich um.

»Vorsichtig. Mach nicht so schnell«. Jules. Aber nur er. Beschämt drehte ich mich weg und schaute aus dem Fenster. Ich konnte es wieder nicht verhindern. Wieder einmal hatte die Panik gewonnen und ich konnte nichts dagegen tun.

»Mach dir nichts draus. Du hast heute gut mitgemacht. Das ist ein Fortschritt«, versuchte er mich aufzuheitern. »Trotzdem ist die Panikattacke gekommen und hat mich mitgerissen, ohne das ich was dagegen tun konnte«, widersprach ich. »Ich bin trotzdem stolz auf dich«, meinte er. Das ließ ich so stehen und schaute weiter raus.

Für den Moment hatte die Panik ihr Pulver verschossen. Nur ein klein wenig Unbehagen war zu spüren. Aus den Erfahrungen der letzten Wochen wusste ich, dass die Panik schneller als mit lieb ist wiederkommen konnte. Deshalb genoss ich den Moment ohne erdrückende Paniksymptome.

Ich hatte Durst und stand auf. Jules Blick lag auf mir. »Ich gehe in die Küche. Was Trinken«, gab ich ihm mein Vorhaben bekannt, damit er Bescheid wusste und nicht fragen musste. Er blieb, wo er war und ich konnte alleine in die Küche. Dort holte ich ein Glas aus dem Schrank und füllte es mit Leitungswasser auf.

In Ruhe trank ich es aus. Das kühle erfrischende Gefühl im Hals tat gut. Danach stellte ich es in die Küche und kehrte zu Jules zurück.

»Wie fühlst du dich gerade?«, wollte er wissen. »Ausgelaugt, etwas seltsam im Kopf, aber sonst geht es«, schilderte ich ihm, wie ich mich fühlte.

»Versprichst du mir, dass du dich meldest, wenn etwas sein sollte. Ich hab eingesehen, dass du deine Ruhe brauchst, auch wenn ich dich noch nicht alleine lassen möchte. Meine Nummer hab ich dir hier auf einem Zettel hinterlassen. Speicher die Nummer ein. Darüber kannst du mir zur Not schreiben«. »Okay. Versprochen«, ließ ich mich darauf ein. Es war die einzige und richtige Lösung. Wenn ich mich dafür auf das Versprechen einlassen musste mich im Notfall zu melden, war das okay.

»Dann bin ich jetzt weg. Wir sehen uns morgen. Wahrscheinlich ohne Dienstkleidung«, verabschiedete er sich. Ich zeigte ihm einen Daumen nach oben und schaute wieder aus dem Fenster auf die Wiese unseres Gartens.
Schritte entfernten sich. Die Haustür öffnete sich und fiel wenig später wieder ins Schloss. Ich war wieder alleine.

Meinen Kopf lehnte ich an die Fensterscheibe. Tief atmete ich ein und wieder aus.

»Wie lange soll ich das noch ertragen? Bis vor ein paar Wochen, nämlich bevor der Umzug war, hatte ich kaum damit zu kämpfen und jetzt sind es mehrere Panikattacken die Woche. Die Scheiße hat mein Leben im Griff. Ich muss was dagegen tun, damit ich die Angst im Griff habe und nicht sie mich.
Aber wie? Mom würde mit Therapie um die Ecke kommen, aber welcher Therapeut nimmt einen Patienten mit Angst vor medizinischen Personal und Dingen ernst? Es ist eine Angst vor Leuten, die den Personen helfen, denen es schlecht geht. Total bescheuert!«, ging es mir durch den Kopf.

Musste ich mich zwangsläufig mein Leben lang damit abfinden?
Das schaffte ich nicht. Jede Panikattacke brachte mich an meine Grenze.

Einen Schritt entfernte ich mich vom Fenster und fuhr mir mit der linken durchs Gesicht. Für ein paar weitere Sekunden schaute ich auf die Wiese, bevor ich es mir wieder auf dem Sofa bequem machte und versuchte mich auf das Video zu konzentrieren, was ich angefangen hatte zu schauen, bevor Jules aufgetaucht war.

Es funktionierte nicht auf Anhieb und meine Gedanken wanderten ab und an wieder zu der Angst Thematik. Nach einer Weile hatte ich dieses Thema erfolgreich in den Hintergrund verbannt und konnte mich aufs Entspannen konzentrieren.

Zwischen zwei Videos kümmerte ich mich ums Mittagessen. Dafür stellte ich eine Fertiglasagne in den Ofen. So hatte Akira später auch noch was zu essen und über Lasagne freute sie sich sicher. Sobald das Essen fertig war, aß ich und beschäftige mich weiter mit YouTube schauen.

Lange dauerte es nicht, bis Akira nach Hause kam. Der Schultag Dienstags war kurz. Der Unterricht ging nur bis 13 Uhr.
13:35 Uhr war es, als sie mit Krücken ins Wohnzimmer gehumpelt kam. Geräuschvoll ausatmend ließ sie sich neben mir nieder. Sie schnappte mir die Gabel aus der Hand und gönnte sich einen Happen meines Mittagessens. »Ey! Deine Portion steht in der Küche auf dem Tisch«, beschwerte ich mich und versuchte die Gabel zurückzubekommen. Akira musste kichern: »Sorry. Ich konnte nicht widerstehen. Du weißt doch, dass Lasagne vor mir nicht sicher ist«. Sie gab mir die Gabel zurück. »Wie war denn dein Vormittag?«, hängte sie die Frage dran.

»Jules war da und hat sich die OP Wunde angeschaut. Eigentlich kann ich meine Angst ihm gegenüber mittlerweile etwas eingrenzen. Leider war er im Dienst und in Dienstkleidung. Die Angst konnte ich mit etwas mehr Mühe in Schach halten, während er sich die Wunde angeschaut hat, aber danach kam die Panikattacke und flupp. Blackout. Ich kann von Glück reden, dass er mich alleine gelassen hat. Dafür musste ich ihm versprechen mich notfalls zu melden. Das war okay, wenn ich dafür meine Ruhe hatte. Und sonst hab ich hier gesessen und hab Videos geschaut«, erzählte ich ihr von meinem Vormittag.
Sie fiel mir um den Hals. »Vergiss die Panikattacke. Du hast ihn schauen lassen und bist nicht weggelaufen«, meinte sie und sagte damit fast dasselbe wie Jules bevor er gegangen war. Leicht lächelte ich. Ihr Umarmung tat gut.

»Ich gehe mir jetzt mein Essen holen«. Kurze darauf hüpfte sie auch schon in die Küche, holte ihr Essen und kam damit wenig später zurück. Nicht hüpfend, sondern auf den Knien "gehend", um ihren verletzten Fuß nicht zu belasten. Mit dem Teller machte sie es sich neben mir bequem. Einen Moment dachte ich darüber nach ihr etwas von ihrer Portion zu klauen, leider war ich pappsatt und musste davon absehen. Schade.

So saßen wir nebeneinander und schauten YouTube. Schließlich waren keine Erwachsenen da, die den Fernseher für sich beanspruchen konnten.

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt