- Kapitel 35 -

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Lukes Sicht

Mom parkte das Auto auf den Parkplatz des Krankenhauses und wir stiegen aus. Ich als Letzter.

Wir liefen auf das Hauptgebäude zu. Nach Mom und Dad ging ich rein.

Akira fehlte mir an meiner Seite. Zum Glück war Dad stattdessen an meiner Seite. Immerhin etwas.

Wie die letzten beiden Male zuvor, ging es wieder zur Ambulanz. Mom meldete mich an und wir nahmen auf den hellblauen Plastikstühlen Platz.

Ich konzentrierte mich aufs Atmen. Blendete alles andere um mich aus.

Erst als Dad mich anstupste, war ich mit meiner Aufmerksamkeit wieder in der Gegenwart.

»Komm. Du wurdest aufgerufen«, gab er mir Bescheid.
Mir brach der Schweiß aus und für einen Moment war der Impuls zur Flucht da. Mit einiges an Selbstbeherrschung unterdrückte ich es und folgte Mom und Dad in den Raum.

Dr. Kühnert erwartete uns bereits.

»Hallo Luke. Freust du dich schon heute, die Schiene loszuwerden?«, sprach mich der Arzt direkt an. Er schien optimistisch, dass ich ab diesem Tag von der Schiene erlöst wurde.
Leicht nickte ich als Antwort.

»Dir wird die Schiene jetzt abgenommen, dann geht's zum Röntgen. Das kennst du ja schon. Wenn die Bilder okay sind, bist du das Ding los«, erklärte er und ich hörte zu.

Dad zog mich zu sich und der anwesende Krankenpfleger nahm mir die Schiene ab.

Leicht bewegte ich die Finger und bildete eine leichte Faust. Keine Schmerzen.

»Wie vor zwei Wochen auch, hältst du die Schiene trotzdem an dem Arm. Einfach zur Sicherheit«, wies Dr. Kühnert mich an und ich kam dem nach. Mit Mom und Dad zusammen ging es in die Radiologie.

Nach einer Wartezeit, die ich zeitlich nicht einschätzen konnte, holte mich eine Frau zum Röntgen. Das war der schwerste Part. Ich musste alleine da rein.

»Ich habe es einmal geschafft, also schaffe ich das auch noch einmal«, rief ich mir in Erinnerung. Trotzdem war mir alles andere als wohl dabei.

Drinnen wurde mein rechter Unterarm so positioniert, dass es stimmte. Zwei Bilder wurden gemacht. Beide in verschiedenen Winkeln. Bei beiden konnte ich mich zusammenreißen und stillhalten.

Erleichtert fiel ich Dad in die Arme, als dieser Teil vorbei war.

»Pass auf deinen Arm auf«, ermahnte er mich. Darauf brummte ich. Die Müdigkeit machte sich bemerkbar.

»Komm. Wir gehen zurück«, sagte Mom und es ging zurück zur Ambulanz.

Auch da mussten wir wieder warten, bis wir erneut aufgerufen wurden.

Als wir eintraten, saß der Arzt vor dem Bildschirm und schien sich darauf was anzusehen.

»Ich hab gute Nachrichten. Der Bruch scheint gut verheilt zu sein«, teilte er uns mit, was mich sehr erleichterte. »Die Schiene kann ab und bei der Physiotherapie kann mit der Mobilisation begonnen werden. Das Metall bleibt noch ein Viertel bis halbes Jahr. Dann wird auch das entfernt«, fuhr er fort.

Ein Viertel bis halbes Jahr, bis die nächste OP anstand.

Erschöpft lehnte ich mich an Dad, der einen Arm um mich legte. Ich hörte gar nicht mehr zu, was der Arzt sagte.

Der Tag hatte mich viele Nerven und Energie gekostet und das machte sich bemerkbar.

»Luke?«, ich schaute auf und sah dem Arzt ins Gesicht, der plötzliche einen Meter vor mir stand.
»Du hast das gut gemacht. Ich weiß ja, dass dir das nicht leicht fällt«, lobte er mich.

»Ja, ich habe es hinbekommen, aber ich hatte vorher enorme Panik«, kam mir der Gedanke, der das Lob ablehnte.

»Wir sehen uns dann zur zweiten OP wieder. Pass auf dich auf, okay?«

Ich nickte, danach waren wir entlassen.

»Wollen wir noch einmal zu Akira? Ein bisschen Zeit bis zum Ende der Besuchszeit bleibt uns noch«, schlug Dad vor.

Akira.

Schaffte ich das noch oder war es zu viel?

Ich war müde, keine Frage, aber mich selbst davon überzeugen zu können, wie es Akira ging, da konnte ich schlecht nein sagen. Deshalb nickte ich und wir liefen in Richtung Aufzüge. Mit diesem fuhren wir ins siebte Obergeschoss.

Aus dem Aufzug raus, ging es nach rechts auf eine Tür zu, wo auf dem Glas Pädiatrie mit milchig weißen Buchstaben foliert ist.

Mom ging vor, hielt uns die Tür auf, durch die Dad und ich durchgingen.

Durch den Gang liefen ein paar Kinder, Erwachsene und Personen in Krankenhausuniformen mit allerlei Farben.

Am Ende des Ganges klopfte Dad an der Tür des Zimmers 724.

Mein Herz klopfte. Wie ging es Akira? War sie wach?

Hinter Dad her ging ich rein. Mom blieb draußen.

Das Zimmer ist ein vier Bett Zimmer. Zwei davon waren belegt. In einem der Betten in Fensternähe saß Akira und schaute in unsere Richtung. Im anderen lag ein anderes Mädchen und las in einem Buch.

»Luke!«, rief Akira erfreut und streckte ihre Arme aus. Ihr schien es bereits besser zu gehen. Nur der Zugang in ihrem linken Handrücken und das Pflaster ab ihrer Schläfe auf der rechten Seite, ließen darauf schließen, dass es ihr vor kurzer Zeit noch schlechter ging.

Unsicher ging ich zu ihr und nahm sie in den Arm.

»Du bist die Schiene los«, bemerkte sie.
»Seit ein paar Minuten«, erklärte ich.
»Das freut mich«, sie drückte mich leicht.

»Wie geht's dir?«, fragte ich sie leise. »Besser. Der Kopf tut noch ein wenig weh, aber das ist nichts mehr im Vergleich zu vorgestern oder gar gestern. Trotzdem soll ich noch bis Mittwoch hier bleiben.«

Bis Mittwoch?

»Hoffentlich komme ich dann wirklich hier raus. Es ist so langweilig, wenn man wegen der Gehirnerschütterung nichts tun darf«, beschwerte sie sich. Leicht schmunzelte ich. Sie beschwerte sich bereits wieder. Das war ein gutes Zeichen.
»Wenns dir bereits wieder gut geht, wieso halten die dich hier noch fest?«, wollte ich wissen. »Die wollen sichergehen, dass ich genug esse und trinke«, gab sie mir den Grund. »Und irgendwer hat einen Psychologen oder Psychiater oder sowas auf mich angesetzt. Vermutlich Moms Werk«, flüsterte sie mir zu.

Würde zu Mom passen. Sie hat bereits versucht, für uns psychologische Hilfe zu finden.

»Der Psych Typ war heute das erste Mal bei mir und ich sag's dir. Seine Ausstrahlung. Den kann gefühlt nichts aus der Ruhe bringen. Auch als ich ihn ignoriert habe. Davon hat er sich null Komma null beeindrucken lassen!«, erzählte sie mir. Die Beschreibung kam mir bekannt vor.
»Er hat vor, heute nochmal herzukommen. Wobei ich mich frage, wann er nochmal hier auftaucht. Es ist ja bald Zeit fürs Abendessen.«

Ich wollte sie gerade fragen, wie die Person aussah, als es an der Tür klopfte und jemand reinkam.
In dem Moment hatte sich meine Frage automatisch beantwortet.

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt