- Kapitel 21 -

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Lukes Sicht

Noch immer zitternd stand ich auf und lief zu meinem Schreibtisch rüber, der vor meinem Fenster stand. Aus diesem Fenster schaute ich nach draußen.

Eine Träne lief mir über die Wange, dann noch eine.
Die linke Hand ballte ich zur Faust.

»Was muss ich tun, um die Angst in den Griff zu bekommen?«, war die Frage, die ich mir stellte.

Bevor ich mir darum weitere Gedanken machen konnte, klopfte es an meiner Tür. Es kam jemand herein. Dabei konnte es sich um eine einzige Person handeln.

»Bei dir alles in Ordnung?«. Ohne Frage war es Akira. »Ja, alles gut«, verleugnete ich mein wahres Wohlbefinden. »Sicher? Du hast gerade gesagt bekommen, dass du am Montag in die Klinik musst und dir geht es gut? Das nehme ich dir nicht ab.«
Was machte ich mir eigentlich vor? Natürlich durchschaute sie das, weshalb ich auch nicht darauf einging. Es hatte keinen Sinn.

Ich schaute nach wie vor aus dem Fenster und konnte sie hinter mir auf ihren Krücken angehumpelt kommen hören.
»Keine Sorgen. Dieses Mal musst du das nicht alleine durchstehen. Egal was Mom versucht, um mich eventuell davon abzuhalten dich zu begleiten, dieses Mal gebe ich nicht so leicht nach. Das verspreche ich dir«, versuchte sie mir Sicherheit zu geben.
»Danke«, sagte ich darauf. Mehr wusste ich nicht, was ich hätte sagen sollen.

»Bin ich so sehr auf ihre Sicherheit, die sie mir bietet, angewiesen?«, kam mir die Frage in den Sinn.

Daneben erinnerte ich mich an den Montag zuvor. Den Tag der Operation. An den Tag, von dem mir ein großer Anteil an Erinnerungen fehlte.

»Diese Erinnerungslücke ... Was, wenn es wieder passiert? Kann es vielleicht durch Akiras Dasein verhindert werden? Wieso überhaupt kann ich mich an diesen Zeitraum nicht erinnern?«, flogen mir noch mehr Fragen durch den Kopf.

Fragen dessen antworten mir noch nicht bekannt waren.

Eines war klar: Bevor ich nicht wusste, wie das mit der Erinnerungslücke zustande kam, so lange konnte ich nicht anfangen was gegen die Angst zu tun. Mit der Gefahr, dass ich mich an das Ereignis nicht mehr erinnern kann im Nachhinein, hatte es keinen Zweck.

Ein Picken zwischen meinen Rippen ließ mich zusammenzucken und aus meinen Gedanken herauskommen.
»Wo bist du mit deinen Gedanken?«, wollte meine Zwillingsschwester wissen. Ich drehte mich zu ihr um.
»Ich Versuche mir Fragen zu beantworten, die mir in den Kopf kommen«, meinte ich und setzte mich aufs Bett. Sie ließ sich neben mir nieder, sodass sie sich nicht die ganze Zeit auf die Krücken stützen musste.
»Was für Fragen?«, hakte sie nach. »Zum Beispiel wieso ich mich nicht an den Zeitraum nach der Abfahrt von hier ins Krankenhaus bis zu meinem Erwachen nach der Operation erinnern kann. Die Erinnerungen fehlen mir aus einem mir unbekannten Grund.«
»Ich glaube, die Antwort darauf zu finden, ist schwierig«.
Brummend stimmte ich ihr zu.

»Hast du Angst, das es wieder passiert?«
»Ja, wenn ich mich nicht selbst erinnern kann, bin ich auf die Erzählungen von anderen angewiesen und diese könnten gelogen sein. Natürlich lügt nicht jeder, aber das ist auch eine Sorge die ich habe, seitdem mir das mit der Erinnerung aufgefallen ist« erklärte ich. »Ich verstehe, was du damit sagen möchtest, aber wie gesagt, die Erklärung dafür zu finden ist schwer. Die Ursache kann alles Mögliche sein. Wahrscheinlich ist es etwas wovon wir überhaupt keine Ahnung haben.«
Leider musste ich ihr da recht geben.

»Zum Glück ist es nichts weiter als Röntgen. Das sollte schnell erledigt sein«, meinte meine extrovertiertere Hälfte. »Hoffentlich.«

»Ich muss mich jetzt wirklich Mal an die Hausaufgaben machen. Sonst wird das heute nichts mehr«, wechselte ich das Thema und setzte mich an den Schreibtisch. »Was musst du denn noch machen?«, wollte Akira wissen. »Mathe. Die Arbeitsblätter, dir du mir mitgebracht hast.« »Wie willst du die machen? Aufs Blatt schreiben kannst du mit der Schiene nicht.« »Ich übertrage die Aufgaben aufs Tablet. Dauert zwar etwas, aber es muss gemacht werden.«

Akira kam zu mir an den Schreibtisch gehüpft. »Wenn wir es zusammen machen geht es schneller.« Sie schnappte sich einen Stift und schaute auf das Arbeitsblatt vor uns. »Ich schreibe und du rechnest«, erklärte sie mir, was sie vorhatte. Keine schlechte Idee. So war es mir erspart alles abtippen zu müssen.

Keine halbe Stunde später war es geschafft. Alle Aufgaben waren gelöst und die Hausaufgaben für den Tag waren erledigt.
Im Anschluss daran packte ich schonmal die Schulsachen für den nächsten Tag zusammen.

»Was machen wir heute noch?«, fragte meine Zwillingsschwester, die mittlerweile wieder auf meinem Bett saß.
»Was spielen? Was schauen auf YouTube?«, gab ich eine ganz grobe Auswahl, während ich das Mathebuch in meinen Rucksack packte. »Lass uns Faul sein und was gucken«, entschied sie. Ich setzte mich zu ihr aufs Bett und wir schauten zusammen etwas auf YouTube.

Das war unsere Beschäftigung für den Rest des Tages.
Ab und an kam mir der Termin am Montag wieder in den Sinn. Das nervte. Leider konnte ich dagegen nicht mehr tun, als mich aktiv abzulenken und diese Gedanken wegzuschieben.

Zum Glück war Akira da und holte mich aus meinen Gedanken, wenn sie merkte, dass ich wieder mit meinen Gedanken abdriftete.

Ohne sie wäre ich ziemlich aufgeschmissen manchmal.

WKM - Angst vor ihnen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt