Kapitel 3: Überraschung im Unterricht

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Am nächsten Morgen ist unser erstes Malseminar. Livia ist schon vor mir auf den Beinen, was selten vorkommt, und packt aufgeregt ihre Malutensilien zusammen.
"Was denkst du werden wir alles bauchen?", fragt sie mich.
Ich rolle mich stöhnend auf die andere Seite. "Warum müssen wir uns noch mal ein Zimmer teilen?", murmele ich in das Kissen.
"Geld, Geld, Geld", summt sie wie ein Lied.
Ich hieve mich aus den warmen Laken und strecke mich. "Keine Ahnung, nimm Pinsel und ein paar Farben mit."
"Soweit war ich auch schon", meint sie ironisch.
Letzten Endes verlassen wir unser Hotel mit einem Collegeblock, zwei Pinseln und den Grundfarben. Im Notfall können wir uns immer noch Farben ermischen. Das Seminar findet in einem kleinen Nebengebäude der Universität von New Orleans statt, das wir mittels Googlemaps schnell gefunden haben. Wir betreten einen Saal, dessen Boden mit Zeitungspapier und farbigen Laken ausgelegt ist. Es gibt fünfzehn Staffeleien, einige von ihnen sind schon besetzt. Livia und ich nehmen die freien gleich an der Tür und warten, dass unser Dozent hereinkommt.
Das tut er auch mit wenigen Minuten Verspätung. "Ruhe, Leute, sonst kommen wir heute zu nichts."
Ich wende mich von dem Gespräch mit einem anderen Mädchen ab und schaue zur Tür, durch die der junge Mann gerade gekommen ist. Bei seinem Anblick werden meine Augen groß und ich ziehe scharf die Luft ein. Mein Herz klopft wild in meiner Brust. Das darf nicht sein, denke ich. Nicht hier. Nicht jetzt.  Ich brauche einen ruhigen Ort, um mit ihm zu reden. Nicht einen Saal voll herangehender Maler und Malerinnen. 
Im Gegensatz zu meiner letzten Begegnung mit ihm gestern auf der Straße scheint Nik jetzt die Ruhe selbst zu sein. Er trägt keinen Anzug wie normale Dozenten, sondern schwarze Jeans und ein abgewetztes Tshirt. Ganz anders als noch im neunzehnten Jahrhundert mit seinem Jackett und dem Zylinder. Sein typisches Klaus-Grinsen spiegelt sich auf seinem Gesicht und einen Moment lang schaut er mir direkt in die Augen. Ich erkenne nur das dunkle Blau, aber ich weiß, dass das Grün auch da ist. Ich habe ihm so oft in die Augen geschaut, mir seine Iris eingeprägt. Ich kenne Nik in und auswendig. 
Sein Grinsen wird noch breiter. Er hört meinen schnellen Pulsschlag. Ich atme ein paar Mal langsam ein und aus und versuche, wieder zur Ruhe zu kommen. Dass er währenddessen redet, beschleunigt den Prozess nicht gerade.
"Ich bin Klaus Mikaelson. Nennt mich Klaus, wir wollen hier eine entspannte Atmosphäre aufbauen. Ihr seid hierher gekommen, um die hohe Kunst des Malens zu erlernen oder euch darin fortzubilden. In welche Richtung gehen eure Bilder?"
Das Mädchen, mit dem ich vorhin gesprochen habe, meldet sich. Nik ruft sie auf. "Ja? Wie ist dein Name, Kleines?"
Ich sehe, wie das Mädchen rot wird. Sicher, Nik sieht attraktiv aus und verhält sich diesem Anschein entsprechend auch so, jedenfalls im Moment. "Maggie O'Larrey. Ich male hauptsächlich Menschenporträts."
Nik wandert in ihre Richtung, und damit zwangsläufig auch in meine. "Tatsächlich? Hast du ein paar davon dabei, Maggie?"
Das Mädchen schüttelt verlegen den Kopf. "Nein. Aber wenn Sie möchten, kann ich morgen welche mitbringen."
"Lass nur. Ich bin wahrscheinlich erst Donnerstag wieder da, bis dahin hast du schon bessere Bilder gemalt, glaub mir."
Maggies Mundwinkel zeigen ein kleines, unsicheres Lächeln. Innerlich verdrehe ich die Augen. Das ist die typische Reaktion eines Mädchens in einem Gespräch mit Klaus.
"Was ist mir dir, Liebes?"
Ich zucke zusammen und sehe Nik wenige Schritte vor mir stehen. Er schaut mich abwartend an, wie auch der Rest der Gruppe. "Ich ... Mein Name ist Chloe Silver und ich male Landschaftsgemälde", sage ich. Klaus' Augen funkeln amüsiert. "Chloe Silver, ja?"
Ich nicke.
"Ich habe mal ein Mädchen gekannt, dass auch so hieß. Chloe."
"Haben Sie es gemocht?", ruft eine männliche Stimme aus der hinteren Ecke des Saals.
Mein Blick huscht zu dem Jungen hinüber. Er hat ein vorlautes Auftreten, das ist das einzige, was ich in diesem Moment feststellen kann. Klaus erkennt es auch und lächelt kurz. Wenn der Junge nicht aufpasst, ist er bald tot. Nik mag keine Menschen, die ihn unaufgefordert ansprechen.
"Nein, ich habe es gegen Ende sogar gehasst." Mit diesen Worten dreht sich Klaus auf dem Absatz um und geht auf die Tafel zu. "Ich bin sicher, dass New Orleans einige malenswerte Szenerien vorzuweisen hat, Chloe."
Den Rest des Vormittages versuche ich mich so unauffällig wie möglich zu verhalten. Trotzdem spricht mich Nik immer wieder laut an und lobt meine Pinselstriche auf der Leinwand. Ich spüre, dass zwischen den Mädchen im Kurs das altbekannte Kräftemessen abläuft. Wer am meisten mit dem Dozenten redet und von ihm gelobt wird, der hat Chancen auf ein Date und die anschließende Schüler-Lehrerbeziehung. Und den eifersüchtigen Blicken der anderen Mädchen nach zu urteilen, bin ich auf dem besten Weg dorthin.
In den Gängen zur Mensa werden ich und Livia von Maggie und ein paar anderen aufgehalten. Sie bedenken mich mit feinseligen Blicken. 
Ich hebe eine Augenbraue. "Ist was?"
Maggie tritt nahe an mich heran, sodass sich unsere Nasenspitzen schon fast berühren. "Du - hast - dich - in - Zukunft - zurückzuhalten", zischt sie in mein Gesicht. "Klaus gehört mir, ich werde diejenige sein, in die er sich verliebt. Du stehst mir dabei im Weg."
Livia stemmt empört die Hände in die Hüften. "Also hör mal! Chloe hat nichts gemacht, sie hat ihn nicht absichtlich ihr Bild loben lassen!"
"Ist schon gut, Livia", sage ich zu ihr. Ich lächle Maggie an. "Du hast nichts vor mir zu befürchten. Ich glaube sowieso nicht, dass Mr. Mikaelson der Typ für spontane Verliebtheiten ist."
Maggie lächelt zuckersüß zurück. "Es interessiert mich nicht, was du glaubst."


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