Kapitel 26: Das Telefonat

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Ich weiß nicht, wie lange wir so standen. Ich, im Rücken unangenehm die Waschbeckenkante, und Klaus, dicht an mich gepresst angesichts des engen Raumes. Seine Lippen warm auf meinen, sanft, behutsam. Seine Hand in meinem Haar. Wie sehr ich es vermisst habe. Es ist nicht dieselbe Art von Kuss wie damals in der Universität. Das hier ist einfach, und doch intimer. Es weckt Erinnerungen.
Wir hätte ewig so weitermachen können.
Doch plötzlich klopft es an der Tür und eine barsche Stimme sagt: "Hey, beeilen Sie sich mal. Andere müssen auch."
Ich spüre, wie Klaus leicht unter dem Kuss lächelt, und automatisch muss ich auch lächeln. Es wie damals. Ich liebe ihn, er liebt mich. Sein Mund fährt meinen Hals hinunter und bedeckt ihn mit Küssen. Meine Hand ruht in seinem Nacken und ich spüre den weichen Flaum seines Haares. So vertraut, und doch ungewohnt.
"Hey! Hören Sie mich?"
Klaus' Mund verweilt an meinem Ohr und seine Stimme klingt heiser, als er flüstert: "Wir sollten wirklich zurückgehen. Bevor die noch die Tür aufbrechen."
Ich ziehe ihn zu mir hoch und küsse ihn noch ein letztes Mal. Ich lege all meine Liebe in diesen Kuss hinein, die tiefen Empfindungen, die ich für verloren geglaubt habe. Doch wahre Liebe hält anscheinend ewig.
"Das wird so peinlich", wispere ich schließlich.
Nik lacht nur und sieht mich liebevoll an. "Wenn er dir etwas antun will, breche ich ihm das Genick."
Ich kichere. "Bitte nicht."
Er lehnt sich ein Stück zurück und mustert meine Visage. Mit einem kritischen Blick streicht er das Haar an meinem Hinterkopf glatt und zupft mein T-Shirt wieder zurecht. "So", meint er, als er fertig ist. "Damit die Leute nicht auf falsche Gedanken kommen."
Ungläubig schaue ich ihn an. "Falsche Gedanken? Wir kommen zusammen aus der Toilette, nach einer Ewigkeit." Meine Augen werden groß. "Oh Gott, Stefan!"
Beruhigend legt er eine Hand an meine Wange. "Keine Sorge, wenn er jemanden ausgesaugt hätte, wüssten wir es. Glaub mir."
Wieder grinst er, doch nicht sein typisches Klaus-Grinsen. Dieses Grinsen, und dieser Ausdruck in seinen Augen ... Es ist so lange her, doch ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen.
"Nik", flüstere ich.
"Ja?" Er sieht mich fragend an.
Ich beiße mir auf die Lippe. "Ich-"
"Jetzt beeilen Sie sich, verdammt nochmal!"
Klaus' Miene verfinstert sich und er reißt die Tür auf. "Wir waren beschäftigt", fährt er den Mann an, der einen ziemlich verdatterten Eindruck macht, als er sieht, dass sich zwei Personen in dem kleinen Raum aufhalten. Er starrt mich wahrscheinlich mit ebenso großen Augen an, wie ich es tue.
Mit gesenktem Kopf folge ich Klaus zurück auf unseren Platz. Sobald wir uns gesetzt haben, seufzt Klaus auf und wendet sich an mich.
"Also, was wolltest du mir sagen?"
Zögernd betrachte ich ihn. Er ist derselbe, der er noch vor zwei Minuten war, derselbe, der er vor einem Jahrhundert gewesen ist. Aber er ist auch derselbe, der mich vor einer Stunde zusammengeschlagen hat, derselbe, der mich mit Pfahl und Feuer aus New Orleans verjagt hat.
Seine blonden Haare sind noch etwas verwuschelt. Manchmal haben sie leichte Wellen, so wie gerade. Seine Augen funkeln lebensfroh, blau mit einer Spur Grün. Seine Lippen... sie sind rot wie Kirschen, und können nicht nur Todesdrohungen sprechen.
Mit Pfahl und Feuer. Das habe ich beim Kuss vergessen. Dieser Mann kann mich nie wieder so lieben, wie er es vor 128 Jahren getan hat.
"Chloey?" Ungeduld liegt in seiner Stimme, aber er versucht Ruhe zu bewahren, mir zuliebe.
Oder vielleicht doch?
"Ich-" Ein Kloß sitzt in meiner Kehle. Nein, schießt es mir auf einmal durch den Kopf. Keine gute Idee. Ich darf nicht schon wieder mein Herz an diesen Urhybriden verschenken. Nie wieder.
Ich schüttle den Kopf. "Es ist nichts. Ich dachte nur ..." Noch ein Kopfschütteln. "Es ist nichts."

Als das Flugzeug nach sechs einhalb Stunden gelandet hat, und wir aussteigen dürfen, sondere ich mich als erstes von den anderen zwei ab und krame mein Handy aus der Handtasche.
Nach zwei Wählzeichen wird abgehoben, und ich höre Elijahs Stimme: "Chloe? Seid ihr gut angekommen?"
Ich halte das Telefon fest an mein Ohr gedrückt. Beim Klang von seiner Stimme hätte ich am liebsten sofort wieder aufgelegt.
"Hallo? Chloe? Stimmt etwas nicht?" Unruhe schwingt in seinem Ton mit. Er macht sich Sorgen um dich, Chloe.
"Elijah?" Meine Stimme klingt gepresst, klein. Sie wackelt. Tränen schnüren mir die Kehle zu. Verdammt, warum bin ich den letzten Tagen so weinerlich? Ich bin doch ganz anders! Ich bin stark.
"Chloe." Schwere Schritte. Er läuft. "Was ist passiert?"
Ich schüttle den Kopf. "Nichts." Ein Schluchzen entweicht mir. Ich will auflegen, doch gleichzeitig will ich nicht auflegen. Elijah ist immer mein Trost, mein Anker gewesen. Ich vertraue ihm.
"Hat Niklaus irgendetwas getan?"
Ich nicke, auch, wenn er es nicht sehen kann. "Er hat etwas getan."
"Chloey, sag mir sofort was los ist. Wenn er dir weh getan hat, dann -"
"Nein. Er ... nein. Er hat mich geküsst."
Stille am anderen Ende der Leitung. Die Schritte haben abrupt angehalten. Dann ein Räuspern. "Das ... habe ich am wenigsten erwartet."
"Ich liebe ihn noch."
Durch das Telefon dringt ein gedämpftes Geräusch. Stimmen. Elijah hat seine Hand auf das Mikro gelegt. Als er sie wieder wegnimmt, frage ich: "Wer ist da bei dir?"
Elijah geht nicht auf meine Frage ein. "Hast du es ihm gesagt?", erkundigt er sich mit einem ernsten Ton.
"Was? Meinst du ..."
"Genau das. Hast du es gesagt?"
"Nein. Ich wollte, aber dann war der Moment vorbei."
"Gut." Er seufzt. "Chloe, ich will nicht, dass du verletzt wirst. Ich habe dich gern. Du warst mal eine von uns, eine Mikaelson."
Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. "Was willst du damit sagen?"
Eine leise Stimme im Hintergrund ertönt. Sie kommt mir bekannt vor. Er legt wieder seine Hand auf das Mikro und erwidert was.
"Elijah, wer ist da bei dir? Ist das Livia? Hat sie schon fertig gelesen?"
"Was? Livia? Deine Freundin?" Er klingt verwirrt. "Nein, warum sollte sie bei mir sein? Chloey, hör mir zu." Wieder Schritte. "Du wirst immer das Mädchen für ihn sein, das seine Tochter - Au. Okay. Auch wenn er sich wieder in dich verlieben sollte, das wird er niemals vergessen. Klaus vergibt nichts."
Meine Lippen werden ein dünner Strich. "Klaus vielleicht nicht, aber Nik ist zu so was fähig."
Bevor Elijah zu einer Widerrede ansetzen kann, wird ihm das Handy aus der Hand gerissen und die Stimme einer Frau ertönt. "Chloe? Sag mal was."
Ich runzle die Stirn. Ich kenne diese Stimme ... "Wer ist da?"
"Ja, du bist es." Ein freudiger Ton schwingt in der Stimme mit. "Ich habe ganz vergessen, wie du dich anhörst."
Scharf ziehe ich die Luft ein, als ich die Stimme endlich wiedererkenne.
"Zoey?"
Sie lacht. "Richtig!"
"Was ... was machst du in New Orleans? Ich dachte -"
"Keine Zeit für Erklärungen, Chloeylein. Elijah, lass mich doch mal. Was Elijah sagen möchte, ist ..."
An der anderen Leitung schlägt eine Tür zu. "So, jetzt sind wir allein. Mister Nobleman ist ganz schön ziemperlich, wenn es um sein Handy geht. Also Süße, was er eigentlich sagen wollte: Niklaus hat nie aufgehört dich zu lieben. Stell dir mal vor, nach deinem Rauswurf hat er wochenlang nicht geschlafen und so viele Menschen ausgesaugt, dass niemand sie mehr zählen konnte. Deswegen bin ich auch abgehauen, aber lassen wir das. Er. Liebt. Dich. Und das hat sich nie geändert. Vielleicht hat dein Handeln damals dem einen kleinen Dämpfer versetzt, aber wahre Liebe hält ewig. Und das bei euch ist wahre Liebe. Das wusste ich schon immer."
 "Was soll ich damit anfangen? In New York hat ... war er nicht sonderlich nett zu mir."
 "Er hat eben seine Ausbrüche. Er ist ein Psychopath."
 Ich lache trocken. "Danke für die Info."
 "Ich will damit nur sagen, dass du ihm deine Gefühle sagen solltest. Die Welt ist sicherer, wenn er mit dir zusammen ist."
 "Dann sollte ich vielleicht den Friedensnobelpreis dafür bekommen."
 "Herrgott Chloe, sei doch nicht so sarkastisch!" Ein Schnauben ertönt. Unwillkürlich sehe ich vor meinem geistigen Auge, wie sie die Finger gegen die rechte Schläfe gepresst und entnervt die Augen geschlossen hat. "Es ist nun mal so, auch wenn es dämlich klingt. Niklaus ist mit dir ein ganz anderer Vampir."
 "Zozy, das Thema ist abgeschlossen. Ich werde es ihm nicht sagen."
 "Was nicht sagen?"
 Beinahe hätte ich mein Handy fallen lassen, so sehr hat mich seine Stimme aus den Gedanken gerissen. Nik steht hinter mir und liebkost meinen Nacken. Er streicht mir die Haare nach vorne und verteilt federleichte Küsse auf der empfindlichen Haut.
 Ich schließe die Augen und massiere meine Stirn, um die Konzentration mitsamt meines Verstandes aufrecht zu erhalten. "Ich muss Schluss machen, wir können später nochmal telefonieren. Und dann erklärst du mir, was du in New Orleans suchst."
 "Nein, Chloey, warte, leg nicht-"
 "Bis später."
 Entgegen der protestierenden Rufe aus dem Lautsprecher beende ich das Telefonat und drehe mich zu Nik um. "Nicht am Flughafen", weise ich ihn zurecht.
 Er schenkt mir ein Lächeln, das den Weg zum Weltfrieden eine Spur erleichtert hätte. "Verstanden, ab sofort Knutschereien nur auf Flugzeugtoiletten."
 Spielerisch schlage ich ihm auf die Brust, kann mir ein Lachen jedoch nicht verkneifen.
 "Ab jetzt hast du das Steuer in der Hand. Wo befinden sich diese bösen Hexen, die euren Bruder festhalten?"
 



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